Die Auswahl der Geschworenen im New Yorker Schweigegeld-Prozess ging schneller als erwartet. Doch auf dem Spiel steht viel: das Grundrecht auf ein faires Verfahren.
Es ist ein Massen-Casting. Hunderte ganz normale Bürgerinnen und Bürger melden sich zum «jury service» an der Centre Street im unteren Manhattan. Im nüchternen Gerichtssaal wird unter Neonlicht entschieden, welche Juroren im Schweigegeld-Prozess gegen Donald Trump das Verdikt verkünden werden. Falls sie ihn schuldig sprechen, droht dem Ex-Präsidenten eine Gefängnisstrafe. Die meisten werden gleich wieder nach Hause geschickt, weil sie sich selbst für parteiisch erklären. Kein Wunder: Von Donald Trump haben viele Menschen in der liberalen Hochburg New York eine akzentuiert schlechte Meinung – und verfügen über das nötige Mundwerk, um es laut zu sagen. Auch von denen, die übrig bleiben, bestehen die allermeisten eine nähere Gesinnungsprüfung nicht.
Es geht schneller vorwärts als erwartet. «Wir haben die Jury», verkündet Richter Juan Merchan am späten Donnerstagnachmittag. Insgesamt zwölf Juroren werden eingeschworen, darunter zwei Anwälte, ein Softwareingenieur und eine Lehrerin aus Harlem. Ein gebürtiger Ire aus dem Sales-Geschäft wird den Vorsitz der Jury übernehmen. Gewählt werden zudem sechs Ersatzjuroren. Am dritten Tag der Prozedur zeigt sich aber auch, wie knifflig es ist, eine faire Jury zusammenzustellen: Eine Geschworene zieht sich zurück, weil sie befürchtet, aufgrund der Medienberichte identifiziert zu werden. Ein anderer Geschworener wird nachträglich entschuldigt, weil er widersprüchliche Aussagen gemacht haben soll.
Es ist kein Schauprozess
Anwesend im Gerichtssaal: der Angeklagte Donald Trump. Er sieht im New Yorker Strafprozess den konzertierten Versuch eines parteiischen Justizapparates, ihn von einer zweiten Amtszeit als Präsident abzuhalten. Vier Tage die Woche muss er im Gerichtssaal sitzen. Bloss mittwochs und am Wochenende, wenn das Gericht ruht, darf er Wahlkampf betreiben.
Die Maulkorb-Verordnungen des Richters tun ihre Wirkung: Trump kann sich vor Gericht diesmal nicht in Szene setzen. Die wenigen im Gerichtssaal zugelassenen Journalisten berichten dafür über jede seiner Handbewegungen, seiner Grimassen, seiner Nickerchen. Als er bei einer Befragung eines Geschworenen zu dessen Facebook-Posts ärgerlich murmelt, verweist ihn der Richter laut den Berichten anwesender Medien scharf. Überprüfen lässt sich das alles nicht. Es gibt weder Video noch Audio, nicht einmal ein öffentliches Protokoll der Verhandlung.
Viele – und nicht nur Trumps Freunde – halten diesen politisch aufgeladenen Schweigegeld-Prozess für frivol. Richter Juan Merchan, 2006 vom damaligen, parteilosen Bürgermeister New Yorks, Michael Bloomberg, zum Richter berufen, steht deshalb unter gewaltigem Druck, zu beweisen, dass es dabei fair zu und her geht. Donald Trump bezeichnet Merchan wegen eines früheren Zivilprozesses gegen sein Unternehmen als untragbar und führte vor der jetzigen Gerichtsverhandlung auf Truth Social eine hetzerische Kampagne gegen den Richter und – nach dem richterlichen Maulkorb – gegen dessen Tochter, die in progressiven Kreisen verkehrt.
Unvoreingenommene Juroren gesucht
Die amerikanische Verfassung gewährt jedem Angeklagten, wie er sich auch benimmt, ein «zügiges und öffentliches Verfahren vor unparteiischen Geschworenen». Dass es möglich ist, solche unparteiische Geschworene zu finden, darauf baut der Rechtsstaat. Der Prozess in Manhattan bringt dieses Fundament zum Wackeln. Wie soll es möglich sein, unvoreingenommene Juroren zu finden bei einem Angeklagten, der die Gemüter in den USA spaltet wie kein anderer?
Diese Frage sorgt im Gerichtssaal für Beklemmung. Die Anklage will sichergehen, dass sich nicht ein Trump-Anhänger wie ein U-Boot in die Jury schmuggelt und den Schuldspruch mit einer Einzelstimme verhindert. Die Verteidigung bezweifelt, dass im links-progressiven New York überhaupt Juroren zu finden sind, die offen für die Argumente der Verteidigung sind.
Strenge Selektion soll garantieren, dass die Geschworenen fähig sind, ungeachtet ihrer persönlichen Meinung der Beweisführung zu folgen. Die Juroren mussten zuerst 42 Fragen eines Katalogs beantworten, die der Richter in Absprache mit den Parteien zusammengestellt hatte. Da finden sich Fragen wie: Welche Medien konsumieren Sie? Waren Sie schon einmal an einem Trump-Rally oder jemals Mitglied der Antifa? Danach nahm die Staatsanwaltschaft und Trumps Anwälte die Kandidaten in die Mangel. Es stehen zwei Werkzeuge zur Verfügung, um Juroren zu verhindern: die Ablehnung aus sachlichen Gründen (challenge for cause), wobei der Richter das letzte Wort behält, sowie die zwingende Anfechtung (peremptory challenge), die keiner Begründung bedarf. Im Trump-Prozess haben beide Seiten zehn «peremptory challenges» zur Hand. Der Verteidigung gingen diese am Ende aus.
Ist Schweigegeld ein Wahlkampfmittel?
Die Juryauswahl ist der erste Stresstest im Schweigegeld-Prozess. Das zügige und ordentliche Auswahlverfahren zeigt: Zwölf genügend unvoreingenommene New Yorker zu finden, ist nicht einfach, aber möglich. Der Moment der Wahrheit wird aber erst am Schluss des Prozesses kommen. Wird die Jury ein Verdikt auch entgegen der in New York verbreiteten Abneigung gegen Trump verkünden, sollte es die Beweislage diktieren? Sicher ist: Die Trump-Anwälte werden die Anklage zerpflücken. Ist ein Hauptzeuge glaubwürdig, der Meineid beging? Ist Schweigegeld wirklich ein Wahlkampfmittel? Angriffspunkte bieten sich genügend, Präzedenzen sind in diesem Fall rar.
Zu welchem Schluss die Jury in etwa sechs Wochen auch kommen mag, das Urteil wird bei der einen Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner kaum auf Akzeptanz fallen. Denn diese sind sich schon länger nicht mehr einig, was Fairness bedeutet.