Einfach verdientes Rohstoffgeld ist eher Fluch denn Segen. Es hilft autokratischen Regimen, an der Macht zu bleiben und sich ums Volk zu foutieren. Dafür kommt es häufiger zu Kriegen. Doch es gibt interessante Ausnahmen.
Iran schiesst Raketen nach Israel und unterstützt Milizen und Terrororganisationen, die den israelischen Staat vernichten möchten. Russland will die Ukraine als unabhängigen Staat von der Weltkarte tilgen, hat dazu eine Invasion gestartet und überzieht sein Nachbarland seit mehr als zwei Jahren mit Tod und Zerstörung.
Damit hören die traurigen Gemeinsamkeiten nicht auf. In beiden Ländern sitzt eine relativ kleine Elite unter diktatorischer Führung fest im Sattel, obwohl grosse Teile der Bevölkerung diese Art von Herrschern gerne loswerden würden. In Russland ist dies der von alten KGB-Seilschaften geprägte Zirkel um den Kremlherrscher Wladimir Putin, in Iran sind es die unter dem Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei und Staatspräsident Ebrahim Raisi agierenden Revolutionswächter.
Beide Staaten sind international mit Sanktionen belegt. Russlands Präsident droht offen mit seinem Atomwaffenarsenal, Iran strebt danach, selber zu einer Atommacht zu werden. In beiden Ländern bleibt dabei die wirtschaftliche Entwicklung weit hinter ihrem Potenzial zurück. Die Kluft zwischen der reichen Elite und dem armen Volk ist riesengross.
Rohstoffreichtum für Machterhalt statt Wachstum
Alles nur Zufall?
Nein, sagen die Ökonomie und Politikwissenschaft. Russland und Iran sind, wenn auch recht extreme, so doch typische Opfer des sogenannten Ressourcenfluchs. Sie fördern Bodenschätze und können diese weit über ihren relativ geringen Produktionskosten international verkaufen.
Laut Berechnungen der Weltbank erzielten die Länder grosse Gewinne (sogenannte Ressourcenrenten) aus dem Verkauf von Erdöl, Erdgas, Kohle und Metallen. Im Fall von Russland machten diese vor dem Krieg 19 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus, in Iran gar 30 Prozent. Betrachtet man nur die Exporte, so betrug der Anteil der Rohstoffe in Russland gar 78, in Iran 70 Prozent.
Iran und Russland sind nicht allein. Leicht verdientes Rohstoffgeld dominiert auch Zentralasien, den Nahen Osten und grosse Teile Afrikas. In vielen dieser Staaten profitiert vor allem eine zahlenmässig kleine Elite von dem grossen Rohstoffreichtum, während es der breiten Bevölkerung nicht gut geht, in vielen afrikanischen Ländern oder in der Mongolei sogar ausgesprochen schlecht.
Die Länder mit der grössten Rohstoffabhängigkeit sind meist Autokratien, in denen das Volk wenig zu sagen hat. Das überrascht nicht. Kontrolliert die politische Elite in autokratisch regierten Systemen wie Russland oder Iran das leichte Rohstoffgeld, so muss sie sich weniger um die Gunst des breiten Volkes kümmern. Ob das Land wirtschaftlich erfolgreich ist und Steuersubstrat erwirtschaftet wird, ist für die Elite sekundär.
Der Herrscher kann sich die Loyalität seiner Elite und des Beamten- und Sicherheitsapparats erkaufen, indem er den Rohstoffsegen verteilt.
Weil sich die politische Führung wenig um ein gutes Investitionsklima und eine hohe Standortattraktivität schert, weisen viele reich mit Rohstoffen ausgestattete Länder ein geringes Wirtschaftswachstum auf. Ihre Rohstoffe sind mehr Fluch als Segen.
Der Mechanismus spielt in Russland, wo neben der Polizei die gefürchteten Sondereinheiten des Innenministeriums und der Geheimdienste, der von Putin eigens aufgebaute präsidiale Sicherheitsapparat und eine willfährige Justiz die Elite vor dem Volk schützen.
Sie alle werden mit Einkünften bei Laune gehalten, die sie dem Volk abpressen oder die sie durch intransparente Verbindungen zu den Staatsunternehmen im Rohstoffsektor erhalten. Das System trägt mafiose Züge; jenseits des Rohstoffsektors und des Rüstungssektors entwickelt sich die Wirtschaft kaum.
In Iran wiederum kontrollieren die Revolutionswächter nicht nur den Zoll und die Landesgrenzen, sondern auch die einträglichsten Bereiche der Wirtschaft. Ohne die Erdöleinnahmen wäre das Regime der Mullahs und Sittenwächter wohl längst zusammengebrochen.
Im Nahen Osten oder in Kasachstan haben die Herrscher das viele Rohstoffgeld stärker in die nicht sehr zahlreiche Bevölkerung diffundieren lassen. Herrscher wie der Emir von Katar oder Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudiarabien investieren die Rohstoffeinnahmen in eine Diversifizierung der Ökonomie, welche den Ländern Wohlstand über das fossile Zeitalter hinaus sichern soll. Gemein ist allen Erdölstaaten in der Region, dass sie autokratisch regiert werden.
Rohstoffe machen verletzlich und aggressiv
Stark von Rohstoffeinnahmen abhängige Regime sind allerdings oft verletzlich. Rohstoffpreisschocks können dazu führen, dass plötzlich viel weniger Geld als geplant verfügbar ist und viel Kapital das Land verlässt. Solange es an verlässlichen Institutionen und Rechtssicherheit mangelt, zieht es auch die lokale Elite meist vor, ihren Reichtum im Ausland in Sicherheit zu bringen, statt in künftiges Wachstum im Inland zu investieren. Daraus resultieren starke Wechselkursschwankungen, die den offiziellen Staatshaushalt besonders unter Druck setzen, wenn sich dieser in ausländischer Währung verschuldet hat.
Verletzlich sind autokratische Regime in stark rohstoffabhängigen Ländern auch deshalb, weil andere Gruppen auch auf das leichte Geld aus sind; ein Machtverlust ist meist mit dem Verlust des persönlichen Wohlstands und Reichtums verbunden.
Es ist deshalb kein Zufall, dass in rohstoffabhängigen Ländern wie Russland das System immer repressiver wird. Auch häufen sich in rohstoffreichen Ländern Kriege und innere Konflikte. Es gilt, die regionale Vorherrschaft zu verteidigen oder sich gegen konkurrierende Gruppen zu behaupten. In Afrika sind Erdölländer wie Libyen, Angola oder der Sudan, wo jahrelang verheerende Bürgerkriege tobten, traurige Beispiele dafür.
Russland und Iran illustrieren auch, dass aus der Sicht des Herrschers äussere Feinde oder gar ein Krieg die Repression im Innern legitimieren und die Fronten schliessen können.
Auch deshalb geben wohl rohstoffreiche Länder oft einen hohen Anteil ihres Bruttoinlandprodukts für das Militär aus. In Russland waren das laut den Daten des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Sipri) 2021 3,7 Prozent. Das vom Alijew-Clan autokratisch geführte Aserbaidschan hat 5,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung fürs Militär ausgegeben – und im vergangenen Jahr das armenische Nagorni Karabach militärisch eingenommen.
Auf Nummer sicher gehen will offensichtlich auch der saudische Herrscher, der 7,6 Prozent für die Armee ausgeben liess. Der Emir von Katar doppelte mit 6,5 Prozent nach. Iran wirkt mit Armeeausgaben von 2,2 Prozent seines Bruttoinlandprodukts geradezu moderat.
Es geht auch anders
Ganz so eindeutig, wie es theoretisch erscheint, ist der Zusammenhang zwischen Rohstoffreichtum, Diktatur, ungenutztem wirtschaftlichem Potenzial, Ungleichheit, Kriegen und Konflikten allerdings zum Glück nicht. Wer in die Daten (und die abgebildeten Karten) schaut, kann interessante Gegenbeispiele entdecken.
Norwegen, Australien, Kanada, Chile und auch Botswana sind Länder mit gut funktionierenden Demokratien, deren Exporte relativ stark von Rohstoffeinnahmen abhängig sind. Das Diamantenland Botswana und Chile mit seinem Bergbau demonstrieren, dass Rohstoffreichtum über die Zeit ein Segen sein kann, der es armen Ländern erlaubt, sich zu entwickeln, sich zu modernisieren und dadurch zu relativ breitem Wohlstand und einer funktionierenden Demokratie zu gelangen.
Was aber macht den Unterschied?
Ökonomisch gesehen hängt es erstens davon ab, ob der Rohstoffreichtum primär von der herrschenden Elite konsumiert wird, um sich Macht und Reichtum zu sichern, oder ob dieser in die Entwicklung des Landes und damit in ein breites Wirtschaftswachstum investiert wird.
Damit Rohstoffeinnahmen nicht bloss unter der Elite aufgeteilt werden und zu einem grossen Teil ins Ausland abfliessen, braucht es zweitens funktionierende Institutionen wie ein Rechtssystem, das Eigentumsrechte garantiert.
Um zu verhindern, dass diese Institutionen früher oder später von wenig wohlwollenden Diktatoren gekapert werden, hilft drittens eine funktionierende Demokratie mit geordneten Machtwechseln.
Viertens muss es gelingen, die Rohstoffeinnahmen den unmittelbaren Begehrlichkeiten der Politiker zu entziehen – und stattdessen für künftigen Wohlstand zu investieren. Norwegen ist mit seinem staatlichen Pensionsfonds das Paradebeispiel dafür.
Die grosse Frage lautet somit, wie es gelingen kann, die Ausnahmen zur Regel zu machen. Wie können Russland, Iran, Libyen, Aserbaidschan oder auch der Sudan dem Rohstoffluch entrinnen? Was muss geschehen, damit sie die Einnahmen für Wohlstand nutzen, um ohne Kriege und Konflikte breiter zu prosperieren?
Der Schlüssel liegt in der Politik und ihren Institutionen sowie in einer Zivilgesellschaft, die – wie in der Ukraine – nicht länger gewillt ist, in einem sich selbst bedienenden, korrupten System zu leben.