In Barcelona legte Nadal einst den Grundstein für seine Laufbahn. Jetzt wurde er dort noch einmal emotional gefeiert. Die grösste Sportkarriere, die Spanien je erlebte, geht unweigerlich zu Ende.
Das Turnier im Reial Club de Tennis Barcelona 1899 hatte gerade erst begonnen. Doch der Center-Court, der hier Pista Rafa Nadal heisst, war gefüllt bis auf die Treppenaufgänge. Der Efeu an den Säulen, die Häuser der vornehmen Oberstadt im Hintergrund, dahinter die Hügel der Collserola: Alles, wie Nadal es schon so lange kennt.
Mit elf kam er erstmals her. Bald wurde Nadal Mitglied im Klub, der so etwas wie seine Festlandbasis wurde, wenn er seine Heimatinsel Mallorca verliess. Hier lernte er Vertrauensleute und Tennisgrössen kennen, hier trainierte er unzählige Male. «Der Klub, der mich aufwachsen sehen hat», so nannte er ihn selbst mal, und das macht seinen Auftritt beim Barcelona Open jetzt so emotional: «Ihr wisst alle, wie wichtig dieses Turnier immer für mich war.»
Auf den Rängen sitzen die Eltern, die jüngere Schwester, seine Frau mit dem kleinen Sohn. Angekündigt ist ein Erstrundenmatch gegen den Italiener Flavio Cobolli. Kommt er wirklich? Nadal, 37 inzwischen, hat in den letzten 15 Monaten nur ein Turnier bestritten. Auch in der Vorwoche in Monte Carlo hat er noch absagen müssen, und bis vor kurzem konnte er nicht einmal aufschlagen. Abschiedstournee. Noch einmal zu Hause spielen, das wollte er, «ich nehme es als mein letztes Mal». Lila Trikot, orange Schweissbänder: Ja, er kommt wirklich.
Man prophezeite ihm ein Scheitern
Eine grosse Karriere geht zur Neige – die grösste, die Spanien im Sport je gesehen hat. 22 Grand-Slam-Titel, 14 allein auf der Asche von Paris. Nadal hat dabei immer alle Widerstände überwunden, das wurde sein Mythos. Anfangs prophezeite man ihm, die Knie würden seinen kraftraubenden Spielstil nicht lange aushalten. Dann wurde er als Sandplatzspezialist abgetan, bis er seinen grossen, geliebten Rivalen Roger Federer 2008 in der Mutter aller Wimbledon-Finals schlug, 9:7 im letzten Satz, es war schon fast dunkel.
In der Folge: Verletzungen und Schmerzen, aber immer wieder imposante Comebacks. «Tennis ist nicht das Problem, war es nie», sagt jetzt Nadal. Das Problem war und ist der Körper. Gestattet er ihm noch einen letzten Tanz?
Trippeln zwischen den Ballwechseln, sein markantes Zupfen an der Hose, nervöser Beginn. Als bei 1:1 ein Return des Gegners ins Aus geht, sein erstes «Vamos», aber leiser als früher, fast schüchtern. Nadal spielt «mit angezogener Handbremse», mehr mit Kopf als mit Kraft, mehr Stoppbälle als Vorhandpeitschen. Erst im zweiten Satz auch einmal einer seiner berühmten Konter aus der Defensive. Nadal dreht sich mit geballter Faust zum Publikum; der Blick des Matadors, der Ort und Gegner definiert. Da trommeln die Fans auf die Stahlrohrtribünen, sie tun das so dezent, wie es hier nur geht.
Der Reial Club hat wenig zu tun mit den modernen Events der Masters-1000-Serie wie jenem in Madrid, der nächsten Station im Kalender. Hier sind die Plätze noch von Hecken umgrenzt, der Kies knarzt unter den Füssen. «Einer der wenigen Orte auf der Tour, wo man wirklich Tennis atmet», hat Nadal mal gesagt.
Lange Haare, schulterfreie Hemden, Piratenhosen
Und sosehr er am Anfang seiner Karriere selbst als Traditionsbruch galt mit langen Haaren, schulterfreien Hemden und Piratenhosen, sosehr jetzt, an ihrem Ende, seine Botschafterrolle für Saudiarabien verstören kann – das Heimspiel weckt seine romantische Seite. «Klar gibt es nun Madrid, aber historisch gesehen war dieses das Vorzeigeturnier Spaniens», sagt er. «Hier wird in einem echten Tennisklub gespielt, der ein tägliches Leben hat, das macht es ganz anders als den grossen Rest.» 125 Jahre Bestehen feiert der Klub, die 71. Auflage das Turnier. Natürlich ist er mit zwölf Titeln der Rekordchampion.
Nun hat er Cobolli abgefertigt, die Fans beglückt, Hunderte Autogramme geschrieben, sich durch die schmalen Gänge der Anlage in den kleinen Pressesaal neben den Umkleidekabinen gekämpft, der im normalen Vereinsleben als Fitnessraum dient. Nadals Blick ist weich, die Stimme sanft, als würde er sich gerade selbst noch einmal als Junior hier vor Augen sehen. «Muchiiiiisimos años», so viele Jahre seien vergangen, er zieht das Wort extra lang.
Mag sein Englisch immer etwas hart wirken, kann er auf Spanisch oder Katalanisch durchaus gefühlig klingen. Auch bei der sportlichen Analyse. «Es ist vielleicht nicht die Woche, um so zu forcieren, wie es mein Herz verlangt», kündigt er an. Der furiose Wettkämpfer muss «logisch spielen», wie er es nennt. «Und an einem so speziellen Ort logisch zu spielen, ist emotional schwer.»
Wie schwer, zeigt sich schon am nächsten Tag. Über Nacht ist es grau und kühl geworden, gegen den Weltranglisten-Elften Alex de Minaur scheidet er in zwei Sätzen aus. «Es ist passiert, was passieren musste», sagt er. Rational betrachtet sieht er sein Ziel für Barcelona als erfüllt an, er hat wieder gespielt und sich nicht wieder verletzt, jetzt will er in Madrid und Rom den Körper weiter testen, weiter logisch spielen, um sich die Chance zu geben, dass in Paris «passieren kann, was Gott will». Roland Garros, der Ort einmaliger Krönungen, das Stadion seiner Apotheose.
Den Ort, wo vieles begann, verlässt er so gefasst, wie es halt möglich ist. «Ihr kennt mich, ich versuche immer, alles in Perspektive zu sehen», sagt er. «Alles hat einen Anfang und ein Ende, es ist kein Drama. Aber natürlich bin ich ein bisschen trauriger, wo ich doch nach aller Wahrscheinlichkeit nie mehr dieses Turnier spielen kann.»
Dieses Turnier, alle Turniere. Rafael Nadal geht. Nicht als Mitglied, nicht als Mensch, und schon gar nicht als Mythos. Aber als Tennisprofi.
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