Der ZSC zeigt eine entschlossene Reaktion auf die erste Play-off-Niederlage der Saison und legt im Final wieder vor. Die sommerlichen Überlegungen des Kaderarchitekts Sven Leuenberger tragen Früchte.
Der Lausanne HC dürfte den verpassten Chancen vom Samstagabend noch eine Weile nachtrauern. 2:1 führte der Aussenseiter bis zur Spielmitte. Doch erneut gelang es dem Team des kanadischen Trainers Geoff Ward nicht, eine Führung in der Swiss Life Arena über die Zeit zu bringen. Mit einem Doppelschlag drehte der ZSC innert 84 Sekunden die Partie und gewann am Ende 4:2. In der Finalserie führen die Zürcher 2:1; zum zehnten Meistertitel der Klubgeschichte fehlen nur noch zwei Siege.
Für den ZSC war diese Partie der bisher wichtigste Charaktertest. Der Coach Marc Crawford ist zwar nicht müde geworden, zu beteuern, dass hinter dem ZSC sehr wohl ein beschwerlicher Winter liege. Eine Qualifikation mit Sorgen, mit den üblichen Wellenbewegungen in der Formkurve. Die Stilnote mag nicht immer gepasst haben, aber der ZSC ist so souverän Qualifikationssieger geworden, dass das Fundament dieses Kollektivs nie wirklich getestet wurde. Im Play-off schon gar nicht – in den Viertelfinal- und Halbfinalserien verlor der ZSC keine einzige Partie.
Der Kanadier Derek Grant ist alles was sich der ZSC erhofft hatte – und noch mehr
Es wusste deshalb niemand so richtig, wie die Zürcher auf die erste Niederlage vom Donnerstag in Lausanne reagieren würden – die Launenhaftigkeit dieser Equipe war in den letzten Jahren berüchtigt. Auch Sven Leuenberger tappte im Dunkeln, der Sportchef und Architekt dieses Kaders. Bei der Analyse der verunglückten und im Halbfinal gegen Biel mit 0:4-Siegen jäh zu Ende gegangenen Vorsaison machte Leuenberger, 54, fünf Facetten aus, bei denen die Mannschaft einer Aufwertung bedurfte: Grösse, Kraft, Speed, Skorerqualitäten und Leadership. Der ZSC versuchte bei der Rekrutierung möglichst viel Wert auf diese Aspekte zu legen. Unabhängig vom Ausgang dieser Finalserie lässt sich sagen, dass dieses Vorhaben ein durchschlagender Erfolg war. Der Kanadier Derek Grant etwa, mit neun Treffern mit grossem Abstand bester Play-off-Torschütze, vereinigt all diese fünf Qualitäten auf sich. Und der Rückkehrer Denis Malgin, am Samstag umjubelter Siegtorschütze, ist einer der schnellsten, kreativsten Stürmer Europas.
Auf dem Reissbrett sah der ZSC schon im Sommer wie der wahrscheinlichste Champion aus. Aber Leuenberger sagt, seine inzwischen fast 20-jährige Erfahrung als Sportchef habe ihn gelernt, dass es selten so kommt, wie man sich das als Macher ausmalt. «Man muss ehrlicherweise sagen, dass gerade bei den Ausländern vieles ziemlich unberechenbar ist. Es kann sein, dass Du das Gefühl hast, den perfekten Spieler geholt zu haben. Und dann funktioniert er aus irgendwelchen Gründen doch nicht», sagt Leuenberger. Ein Beispiel war vor einem Jahr der aus der NHL verpflichtete Franzose Alexandre Texier, bei dem alle dachten, er werde hierzulande ein Superstar sein. Doch der 24-Jährige vermochte die riesigen Erwartungen nicht zu erfüllen. Und konnte die Lücke durch den Abgang Malgins nicht schliessen.
Grant dagegen ist in jeder Hinsicht eine positive Überraschung. Selbst ZSC-intern hätte kaum jemand dem am Samstag 34 Jahre alt gewordenen Kanadier so viel Offensivkraft zugetraut. Schon in der Qualifikation hatte Grant mit 39 Skorerpunkten das Soll mehr als erfüllt.
Die starke Mittelachse ist einer der grossen Pluspunkte dieses Kaders
Er ist einer jener Spieler, die diese Mannschaft tragen können. Und das regelmässig auch tun. Leuenberger sagt: «Genau das haben wir gebraucht. Wir hatten einen sehr guten Kern an erfahrenen Zürcher Spielern. Aber heute ist unsere Balance viel besser.» Das stimmt in jeder Hinsicht: Der ZSC ist ein Kollektiv ohne Schwächen und mit einer auffallend starken Mittelachse voller Varianz: Da das Genie von Malgin, dort die Wucht von Lammiko, hier die Routine von Grant und dazu die mannschaftsdienliche Art von Sigrist. Verantwortung und Eiszeit sind auf zahlreiche Schultern verteilt, was beispielsweise beim verlorenen Final von 2022 gegen den EV Zug noch anders war. Es gibt zahlreiche Spieler, die den Unterschied ausmachen können; für die Widersacher ist dieser ZSC deutlich unberechenbarer als zu den Zeiten als das Rezept lautete: Die Scheibe zu Malgin und Andrighetto bringen und dann auf das Beste hoffen.
Im Play-off brilliert beispielsweise Yannick Weber, ein Verteidiger, der sonst kaum in Erscheinung tritt. Weber traf am Samstag zum Ausgleich, er hat bereits acht Play-off-Skorerpunkte produziert, obwohl er kaum Powerplay spielt.
Leuenberger sagt, es erfülle ihn mit Stolz, wie der ZSC in diesem dritten Vergleich aufgetreten sei. Wie entschlossen die Mannschaft aus der Kabine kam. Und wie unbeirrt sie den Rückstand wegsteckte. Er sagt: «Noch letztes Jahr hätte man nicht gewusst, wie die Reaktion der Mannschaft ausfallen wird. Jetzt hat sie diese deutlich gegeben. Das war unser bestes Spiel in dieser Serie.» Hat der ZSC gerade den ultimativen Charaktertest bestanden? So weit will Leuenberger nicht gehen. Er sagt: «Ultimativ würde ich nicht sagen. Wir wissen ja nicht, was noch kommt.»
Das mag sein. Aber mit der Zielline vor Augen und der am Samstag gewonnenen Gewissheit, auch für knifflige Prüfungen gerüstet zu sein, kann der ZSC den finalen Tagen dieser Meisterschaft gelassen entgegenblicken.