Unser Leser will wissen, ob er rohe tierische Produkte ohne Gesundheitsrisiko essen kann. Zwei Fachleute nehmen Stellung und formulieren drei wichtige Regeln.
Leserfrage: Als Jugendlicher habe ich in den 1970er Jahren gern frische rohe Leber vom Metzger gegessen, mit Zwiebeln, Salz und Pfeffer zubereitet. Kann man das heutzutage noch empfehlen?
In vielen Kulturen sind gewisse rohe tierische Lebensmittel gang und gäbe – vom Rohschinken bis zum ungekochten Fisch in Sushi. Gleichzeitig ist klar: Rohes Fleisch oder rohe Eier und Rohmilch bergen ein gewisses Risiko insbesondere für bakterielle Infektionen. Erhitzt man solche Lebensmittel, sterben die Keime ab – die Gefahr ist gebannt.
«Die gesundheitlichen Risiken roher tierischer Produkte werden unterschätzt», sagt Niels Bandick, der am deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung eine Fachgruppe zu Lebensmittelhygiene leitet. Befragungen des Instituts zeigen, dass zwar die meisten Personen schon von Salmonellen und Listerien gehört haben – aber nur wenige von den Bakterien, die am häufigsten Lebensmittelinfektionen verursachen: Campylobacter. Auch sie können zu Bauchschmerzen, Durchfällen, Erbrechen und Fieber führen. In schweren Fällen drohen gar Nervenerkrankungen und Gelenkentzündungen. Die Gefahr droht insbesondere vom Geflügelfleisch.
Regel 1 im Umgang mit rohen tierischen Lebensmitteln sollte daher lauten: kein rohes Geflügelfleisch essen.
Risikogruppen schützen
Neben dieser Regel für alle gilt es insbesondere, Risikogruppen zu schützen. Dazu zählen Schwangere, Kinder und Jugendliche, ältere Menschen sowie Personen mit einem geschwächten Immunsystem.
Unsere Regel 2 für diese Gruppen formuliert Philipp Schütz, Professor für innere Medizin am Kantonsspital Aarau und Präsident der Eidgenössischen Ernährungskommission: «Sie sollten besser grundsätzlich keine rohen tierischen Lebensmittel konsumieren – von der Rohmilch über rohe Eier bis zu Fleisch oder Meeresfrüchten.» Denn wenn es bei diesen Personen zu einer Infektion komme, sei das Risiko für einen schlimmeren Verlauf erhöht. Insbesondere Listerien, die in Käse aus Rohmilch vorkommen könnten, stellten eine grosse Gefahr für eine schwangere Frau und den Fötus dar.
Mögliche Ausnahmen sieht Niels Bandick bei lang gereiftem Rohmilchkäse oder etwa geräucherter Salami und luftgetrocknetem Speck. Diese Fleischarten sind zwar nicht gekocht, aber Räuchern, Pökeln und ähnliche Zubereitungsarten töten Mikroorganismen ebenfalls ab.
Auf die Hygiene achten
Dass Erreger wie Campylobacter, Salmonellen und Listerien überhaupt in gefährlichen Mengen zu den Konsumenten gelangen, geschieht selten. In der Lebensmittelverarbeitung gelten strenge Hygienevorschriften. Allerdings: Geringe Mengen solcher Erreger – unterhalb kontrollierbarer Grenzwerte – können gemäss Philipp Schütz in Lebensmitteln immer enthalten sein: «Schlachten ist kein steriler Prozess.»
Regel 3 soll daher dafür sorgen, dass sich Erreger nicht vermehren können: rohe tierische Lebensmittel kühl lagern, rasch konsumieren und bei der Zubereitung auf die Hygiene achten.
Vor allem sogenannte Kreuzkontaminationen gilt es zu verhindern. Damit ist gemeint, dass Erreger von einem Lebensmittel auf ein anderes übergehen. Der Klassiker: Beim Fondue chinoise sollten die einzelnen Fleischsorten nicht miteinander oder mit anderen Lebensmitteln in Berührung kommen. Wichtig ist zudem, unterschiedliche Schneidbretter und Messer zu benutzen und diese sowie die Hände gut zu waschen, bevor man ein anderes Lebensmittel zubereitet.
Wo die Wahrnehmung hilft
Erreger wie Salmonellen und Campylobacter verändern das Aussehen oder den Geruch von Lebensmitteln nicht – wir können uns also nicht auf unsere Wahrnehmung verlassen. Anders ist dies bei den allgegenwärtigen Mikroben, die nicht Krankheitserreger sind, aber zur Verwesung von Lebensmitteln führen. Diese sind auch in der Küche und bei bester Hygiene vorhanden.
Hier hilft es, das Haltbarkeitsdatum zu beachten und auf die eigene Wahrnehmung zu vertrauen. Nimmt etwa ein Stück Fleisch eine gräulich-bräunliche Farbe an oder beginnt unangenehm zu riechen, hilft auch Kochen nichts mehr. Das Lebensmittel muss entsorgt werden.
Fazit: Wer nicht zu einer Risikogruppe gehört, kann abgesehen von Geflügelfleisch rohe tierische Lebensmittel konsumieren – auch die rohe Leber aus der Metzgerei. Wer aber auf der sicheren Seite sein will, greift zur Pfanne. Beim Kochen mögen zwar gewisse Vitamine verlorengehen. Trotzdem sind sich Philipp Schütz und Niels Bandick einig: Rohe tierische Lebensmittel sind das Risiko einer Infektion nicht wert. Bei einer insgesamt ausgewogenen Ernährung besteht auch mit gekochten Lebensmitteln keine Gefahr eines Vitaminmangels.
Sie haben auch eine Frage rund um Ernährung und Gesundheit? Schreiben Sie uns an [email protected].