Der Genfer Hersteller von Bankensoftware präsentiert einen 65-Jährigen als Nachfolger für den abtretenden Andreas Andreades. Die Börse reagiert wenig begeistert.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Temenos kommunizierte gestern Dienstagabend eine gute Nachricht: Andreas Andreades, der den Genfer Hersteller von Bankensoftware seit Anfang 2023 interimistisch als CEO und zuvor während elf Jahren als exekutiver Verwaltungsratspräsident geführt hatte, tritt per Ende April von seinem Amt zurück.
Das war’s aber auch schon mit den guten Nachrichten. Als neuen CEO ab 1. Mai kündigt der vom knapp 67-jährigen Thibault de Tersant präsidierte Temenos-Verwaltungsrat Jean-Pierre Brulard an. Brulard war zuvor für den amerikanischen Softwarehersteller VMWare tätig, bevor dieser vor rund einem Jahr von Broadcom übernommen wurde. In seiner letzten Position bei VMWare trug Brulard die Verantwortung für die weltweiten Verkäufe.
Damit löst de Tersant sein im jüngsten Geschäftsbericht formuliertes Versprechen ein, bis zur Generalversammlung vom 7. Mai einen neuen CEO präsentieren zu können.
Verwaltungsrat verpasst Chance
Wie gesagt: Es ist grundsätzlich zu begrüssen, dass Temenos endlich mit der Andreades abschliessen kann, der das Unternehmen in den vergangenen Jahren zunehmend selbstherrlich geführt und eine hohe Fluktuation in der Belegschaft zu verantworten hatte. In meiner Einschätzung wurde Andreades schon vor zwei Jahren unhaltbar, als er die Übernahme des Softwareherstellers zu einem attraktiven Preis platzen liess.
Leider verpasst es der Verwaltungsrat aber, Temenos einen echten, zukunftsgerichteten Impuls zu geben. Der neue CEO – wie Thibault de Tersant ebenfalls Franzose – bringt zwar unbestritten Erfahrung im Softwaregeschäft mit. Aber Brulard ist bereits 65 Jahre alt, war nach der Übernahme seines früheren Arbeitgebers schon praktisch in Rente und hat nie als CEO ein Unternehmen geführt.
Dass Temenos nach mehr als einem Jahr Suche kein überzeugenderes Kaliber präsentieren kann, wird an der Börse mit Enttäuschung aufgenommen. Der Aktienkurs von Temenos tauchte heute Mittwochmorgen zeitweise unter 60 Fr. und notiert damit wieder auf dem Niveau, auf das er im Februar nach der Attacke des Short-Sellers Hindenburg Research gefallen war. Die letztwöchige Erholung nach der Widerlegung der Vorwürfe von Hindenburg ist verpufft.
Da waren die Erwartungen der Investoren offensichtlich höher angesetzt.
Vorwürfe von Hindenburg belasten
Ebenfalls gestern Dienstagabend publizierte Temenos die Zahlen zum ersten Quartal. Wie das Unternehmen berichtet, wurde der Geschäftsgang durch die Vorwürfe von Hindenburg belastet. Die negativen Schlagzeilen – der Hedge Fund warf Temenos Manipulationen in der Buchführung vor – hätten dazu geführt, dass potenzielle Kunden mit dem Abschluss neuer Softwareverträge zugewartet hätten.
Für das erste Quartal meldet Temenos 229,9 Mio. $ Umsatz und einen Betriebsgewinn auf Stufe Ebit von 72,9 Mio. $, was leicht unter den Erwartungen der Analysten lag. Eine positive Überraschung lieferte dagegen der freie Cashflow, der auf 48,8 Mio. $ stieg – ein Plus von 26% im Vergleich zur Vorjahresperiode.
Die Prognosen für das laufende Geschäftsjahr sowie die mittelfristigen Ziele, die Temenos am Investorentag im Februar angesetzt hatte, werden bestätigt.
Insgesamt also: Die Zahlen zum Geschäftsgang hätten schlimmer ausfallen können, das erste Quartal dürfte der Tiefpunkt gewesen sein. Temenos wird noch etwas länger benötigen, um die Vorwürfe von Hindenburg zu entkräften, der Vertrauensaufbau benötigt Zeit. Doch auch hier dürfte die intensivste Phase des Sturms vorüber sein.
Die Chance, mit einer Neubesetzung des CEO-Amtes einen echten Neustart zu markieren, hat der Chairman allerdings leider vertan. Brulard kann aus meiner Sicht nicht viel mehr als eine Übergangslösung sein.
Downside dürfte beschränkt sein
Wie ist Temenos aus Aktionärssicht einzuschätzen? Positiv ins Gewicht fallen die starke Stellung im strukturell wachsenden Markt für Bankensoftware. Bis kurz vor der Attacke von Hindenburg war Temenos auf gutem Weg dazu, sich das Vertrauen der Märkte wieder zu erarbeiten.
Negativ ins Gewicht fällt die wenig überzeugende Qualität des VR-Präsidenten – er hatte schon während der Interimsphase von Andreades nicht mit Führungsstärke geglänzt – sowie die auf den ersten Blick enttäuschende Wahl des neuen CEO. Ich lasse mich selbstverständlich gerne von Jean-Pierre Brulard positiv überraschen.
Recht gut sichtbar ist, dass Temenos an der Börse um 60 Fr. je Aktie einen Boden gefunden haben dürfte. Die Bewertung ist nicht mehr anspruchsvoll; für 2024 beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis weniger als 20, was dem Umbau des Geschäftsmodells hin zu mehr wiederkehrenden Erträgen noch kaum Rechnung trägt. Auf dem aktuellen Niveau ist Temenos auch wieder ein Übernahmekandidat. Das Downside dürfte gegenwärtig also beschränkt sein.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Mark Dittli