Die Behörden erweisen sich im Kampf gegen Ausschreitungen rund um Fussballspiele als machtlos. Nun wächst der Druck aus der Bevölkerung.
Seit Jahren beklagen sich Polizeikorps über die stetige Zunahme von Wochenendeinsätzen: Unbewilligte Demonstrationen, Grossanlässe, Sportveranstaltungen und ganz generell die Feierlaune des Partypublikums auf öffentlichen Plätzen belasten vor allem die Städte immer stärker. Hinzu kommen Hotspots, an denen mit Drogen gedealt wird und es zu Ausschreitungen, während und nach Kundgebungen, oder zu Massenschlägereien von verfeindeten Gruppierungen kommt.
Mehr und mehr wächst der Ärger bei den Bürgerinnen und Bürgern. Sie fühlen sich ohnmächtig angesichts der Krawallmacher, die in den meisten Fällen ungeschoren davonkommen. Jetzt versucht die Mitte-Partei in Luzern, aus dieser Wut Kapital zu schlagen. In der vergangenen Woche reichte sie eine kantonale Volksinitiative ein, die gewalttätige Fussballfans ins Visier nimmt.
Abstimmung soll Druck erhöhen
Das erhöht den Druck. Denn Massnahmen, die durch eine Volksabstimmung legitimiert sind, haben eine starke Auswirkung. Dabei setzt die Partei ziemlich genau auf jene Instrumente, die die kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) seit Jahren durchzusetzen versuchen. Nun sollen sie verbindlich im Luzerner Polizeigesetz verankert werden.
- Personalisierte Tickets: Wer ein Fussball- oder Eishockeyspiel der obersten Liga der Männer durchführt, muss die Identität aller Zuschauer vor dem Betreten des Stadions kontrollieren. Die KKJPD verlangt das bei Fussballspielen schon lange und versuchte monatelang, die Klubs ins Boot zu holen. Doch diese wehren sich dagegen – aus Angst vor der Reaktion der Fankurven, die personalisierte Tickets strikt ablehnen. Auch bei Sicherheitsexperten ist umstritten, wie viel diese Massnahme bringt. Denn die meisten Ausschreitungen finden ausserhalb des Stadions statt. Dennoch hat die KKJPD angekündigt, personalisierte Tickets einzuführen.
- Geisterspiele: Kommt es rund um ein Spiel zu Sachbeschädigungen oder Ausschreitungen, wird das nächste Spiel gegen denselben Gegner nur unter zusätzlichen Auflagen bewilligt. Gibt es auch bei dieser Partie Krawalle, kommt es automatisch zu einem Geisterspiel. Das heisst, die Bewilligung wird nur erteilt, wenn einzelne oder sämtliche Zuschauergruppen ausgeschlossen werden. Auch dieses Konzept hat die KKJPD unter dem Titel Kaskadenmodell beschlossen und eingeführt. Doch die anfänglich beteiligte Fussballliga sprang vor einigen Wochen ab. Inzwischen zeigt sich: Das Kaskadenmodell ist in der Realität nur schwer durchsetzbar.
- Streng reglementierte Fantransporte: Der Veranstalter muss der bewilligenden Behörde ein Konzept vorlegen, wie die An- und Rückreise der Fans der Gastmannschaft abgewickelt wird. Bei Spielen gegen Gegner, bei denen es in der Vergangenheit zu Ausschreitungen gekommen ist, muss dieses Konzept ausserdem gemeinsam mit dem Auswärtsteam abgesprochen werden. Solche Transportkonzepte gibt es zwar schon heute – und auch die Diskussionen um Ausschreitungen und Sachbeschädigungen bei der Hin- und Rückreise sind keineswegs neu. Der Bundesrat wollte die Transportpflicht für die Verkehrsunternehmen vor einigen Jahren sogar lockern: Bahn- und Busbetriebe hätten künftig Passagiere, welche als Fans zu Sportveranstaltungen reisen, zur Nutzung von Charter- oder Extrazügen oder -bussen verpflichten können. Doch das Parlament lehnte den Vorschlag ab.
Es ist kein Zufall, dass sich der Zorn auf randalierende Fussballanhänger ausgerechnet in Luzern entlädt. Rund um die Heimspiele des FC Luzern kommt es in den letzten Jahren regelmässig zu Krawallen. Die Partien gegen den FC Basel, den FC St. Gallen und den FC Zürich gelten aufgrund der schlechten Erfahrungen inzwischen generell als Hochrisikospiele. Der Bahnhof Luzern sowie der Anmarschweg zum Stadion werden wegen der Scharmützel zwischen Polizei und Chaoten für normale Bürger jeweils zu No-Go-Areas.
Den vorläufigen Höhepunkt erreichten die Einschränkungen für die Bevölkerung im vergangenen Sommer. Damals blieben die Polizeiposten im ganzen Kanton während dreier Tage geschlossen – ein in der Schweiz einmaliger Vorgang, der über die Region hinaus für Irritationen sorgte. Der Schritt wurde nötig, weil die Einsatzkräfte gebraucht wurden, um Krawalle rund um Europacup-Spiele zu verhindern.
In der Bevölkerung sinkt gleichzeitig das Vertrauen in die Behörden. Mit der Verabschiedung des Kaskadenmodells hatten die Kantone zwar mehr Konsequenz bei der Bekämpfung von Fangewalt angekündigt. Doch sie können sich gegen renitente Fussballfans häufig nicht wirkungsvoll durchsetzen. Beispielhaft zeigte sich dies Anfang Monat, als der FC Luzern in St. Gallen zu Gast war. Für die Fans des FCL war der Gästesektor im Kybunpark damals wegen Ausschreitungen bei einem früheren Spiel zwar gesperrt. Mehrere hundert Luzerner reisten dennoch in die Ostschweiz – und erzwangen die Öffnung des Gästesektors. So verfestigt sich der Eindruck, dass Polizei und Behörden hilflos agieren, solange kein Druck von unten kommt.
Der Unmut über Ausschreitungen hat bereits in Zürich und Basel zu Volksinitiativen geführt – wenn auch nur mit indirektem Bezug zu Fangewalt. Fast zwei Drittel der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kantons Zürich hatten im März einen Gegenvorschlag zur Anti-Chaoten-Initiative der SVP angenommen. Dies, nachdem sich unbewilligte Demos gehäuft hatten und Krawallmacher immer wieder randalierend durch die Strassen zogen.
Der angenommene Gegenvorschlag beinhaltet Verschärfungen bei den Regeln für Demonstrationen. So sollen unter anderem die Polizeikosten den Verursachern «anteilsmässig nach Massgabe ihres konkreten Beitrags auferlegt werden», wie es im Entwurf für eine Revision des Polizeigesetzes heisst. In Basel will die SVP im Sommer eine ähnliche Initiative einreichen.
Schon bei der Überwälzung der Kosten für unbewilligte Demonstrationen hatte Luzern eine Pionierrolle gespielt: Luzern war der erste Kanton, der versuchte, Organisatoren per Gesetz für Polizeikosten zur Kasse zu bitten. Die Justiz stoppte das Vorhaben allerdings: Sie hob die Bestimmung auf, wonach alle Teilnehmer gewalttätiger Kundgebungen zu gleichen Teilen die Kosten des Polizeieinsatzes tragen müssen.
Grundrechte könnten verletzt werden
Der Kanton musste das Gesetz anpassen und einen Höchstbetrag für die Kostenüberwälzung ins Gesetz schreiben. Damit soll verhindert werden, dass Veranstalter vor einer Demo zurückschrecken – aus Angst, plötzlich mit sehr hohen Kosten konfrontiert zu sein, falls sich einige Teilnehmer nicht an Bewilligungsauflagen halten.
Das Beispiel veranschaulicht, wie schwierig es ist, konsequent gegen Chaoten vorzugehen, ohne bei der Justiz wegen der Verletzung der Grundrechte auf Widerstand zu stossen. Das zeigt sich auch bei den Massnahmen gegen Gewalt im Umfeld von Fussballspielen. In Zürich ist ein Rekurs gegen die Sperrung der Letzigrund-Fankurve hängig, die im Januar nach Ausschreitungen in einem früheren Spiel ausgesprochen wurde. Gegen diese Massnahmen haben der FCZ sowie mehrere Fans Rekurs eingereicht, weil für Kollektivstrafen die Grundlage fehle. Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Doch gibt das Gericht dem FCZ und seinen Fans recht, ist das Kaskadenmodell faktisch tot. Schon jetzt ist klar: Ein solcher Entscheid würde die Wut auf die Chaoten weiter anheizen.