Das Oberste Gericht der USA berät darüber, ob Trump für seine Versuche, das Wahlresultat von 2020 zu kippen, strafrechtlich belangt werden kann – oder ob er Immunität geniesst. Möglicherweise kommt es zu einem Kompromissentscheid.
Die Anhörung des Supreme Court hat sich am Donnerstag darum gedreht, ob Donald Trump im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 und seinen Versuchen des Wahlbetrugs der Prozess gemacht werden kann oder ob er – als damaliger Präsident – Immunität geniesst. Im Februar hatte ein Berufungsgericht entschieden, dass Trump nach Ablauf seiner Amtszeit wie ein normaler Bürger behandelt werden soll und deshalb auch vor Gericht gestellt werden kann. Die exekutive Immunität, die ihm während seiner Amtszeit zustand, schütze ihn heute nicht mehr vor Strafverfolgung, argumentierten die Richter.
Ein beispielloser Fall
Trump und seine Anwälte hingegen stellten sich auf den Standpunkt, der Präsident verfüge über eine unbegrenzte und absolute Immunität für seine Handlungen im Amt. Deshalb beantragten sie beim Obersten Gericht, dass es das Urteil einer Prüfung unterziehe. Vor zwei Monaten entschied der Supreme Court, sich der Frage anzunehmen. Der Beschluss wurde von verschiedener Seite kritisiert, weil damit der Prozess gegen Trump, der ursprünglich am 4. März hätte beginnen sollen, verzögert wird. Das passe zu der Verschleppungstaktik, die Trump bei all seinen Prozessen anwende, hiess es.
Je nachdem, wie viele Wochen der Supreme Court braucht, um zu einer Entscheidung zu gelangen, kann der Prozess nicht mehr vor der Wahl im November durchgeführt werden. Falls Trump diese gewinnt, wird er den Prozess voraussichtlich unterbinden. Andererseits leuchtet es ein, dass der Supreme Court diese juristische Grundsatzfrage klären will, die in der Verfassung nicht vorkommt und für die es auch keine Präzedenzfälle gibt. Noch nie ist ein amerikanischer Präsident für Handlungen angeklagt worden, die er während seiner Amtszeit beging.
Trump selbst war bei der Anhörung in Washington nicht anwesend, weil er einem Prozess in New York beiwohnen musste, in dem es um angeblich unrechtmässig verbuchte Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin geht.
Amtshandlungen contra persönlich motivierte Handlungen
Trumps Anwalt John Sauer wiederholte zu Beginn der Anhörung sein Argument, dass ein Präsident nicht regieren könne, wenn er sich dauernd vor strafrechtlichen Konsequenzen fürchten müsse. Unter den höchsten Richtern scheint es eine gewisse Übereinkunft zu geben, dass ein amerikanischer Präsident für offizielle Amtshandlungen Immunität geniesst. Sonst würde die Büchse der Pandora geöffnet, hiess es, und jeder Präsident könnte von der Gegenseite aus politischen Gründen vor Gericht gezerrt werden. Als Beispiele wurden die gezielte Tötung mithilfe von Drohnen unter Barack Obama, die lügenhafte Begründung für die Irak-Invasion unter George W. Bush oder die Öffnung der Grenze für illegal einreisende Migranten unter Joe Biden zitiert.
Allerdings warfen Richterinnen wie Sonia Sotomayor immer wieder die Frage auf, wo die Grenze zwischen Amtshandlungen und persönlich motivierten Handlungen verläuft. Trumps Versuche, die Wahlergebnisse zu kippen, können kaum als offizielle Amtshandlung bezeichnet werden. Der Verteidiger Sauer räumte am Donnerstag – in Abweichung von seiner bisherigen, resoluten Argumentationslinie – ein, dass einige von Trumps Handlungen im Zusammenhang mit der Wahl als privat eingestuft werden müssten. Die Tatsache, dass sich noch nie ein ehemaliger Präsident vor Gericht verantworten musste, war für die einen ein Beleg für das Immunitätsprinzip, das es weiterhin aufrechtzuerhalten gelte, für andere der Beweis, dass es noch nie zu einem so gravierenden Fehlverhalten wie im Fall von Trump gekommen sei.
Weitere Verzögerung wahrscheinlich
Unter Beschuss kam allerdings auch Michael Dreeben; er vertrat bei der Anhörung den Sonderermittler Jack Smith, der Trump wegen Wahlbetrugs den Prozess machen will. Der konservative Richter Samuel Alito äusserte die Befürchtung, dass eine Verurteilung Trumps Schule machen könnte. «Kreative» Juristen könnten fortan bei jedem Präsidenten eine wunde Stelle finden und so die Demokratie destabilisieren. Er verwies auf Länder, in denen der Verlierer einer Wahl jeweils im Gefängnis lande.
Bei der Anhörung entstand der Eindruck, dass der Supreme Court keine absolute, aber zumindest eine gewisse Immunität für ehemalige Präsidenten befürwortet. Sie sollen weder frei sein, straflos beliebige Verbrechen zu begehen, noch sollen sie Angst haben müssen, nach ihrer Amtszeit routinemässig mit Klagen eingedeckt zu werden. Das klingt nach einem vernünftigen Kompromiss, hat jedoch den Haken, dass der Fall dadurch an die unteren Instanzen zurückgeschickt werden könnte, womit er abermals verzögert würde – möglicherweise bis zu einer zweiten Wahl Trumps.