Die Pianisten Lucas und Arthur Jussen besitzen den Charme einer Boy-Combo und sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Künstlerisch sind die jungen Niederländer aber alles andere als austauschbar, wie ihr virtuoses Gastspiel beim Tonhalle-Orchester unterstreicht.
In der Welt der Tastenkünstler ist das junge Pianistenduo Lucas und Arthur Jussen ein Phänomen: Die niederländischen Brüder haben den Charme einer Boy-Combo und sehen mit ihren verwuschelten blonden Haaren und den hellblauen Augen einander so ähnlich, dass man sie für Zwillinge halten könnte. Im einheitlich-smarten Tailleur und mit einer coolen Bühneninszenierung erobern sie die Tonhalle am vergangenen Donnerstag schon optisch mit Leichtigkeit.
Wie es ihnen dann aber gelingt, zusammen mit dem Tonhalle-Orchester unter Leitung ihres Landsmanns, des Barockspezialisten und Leiters der NDR-Radiophilharmonie Jan Willem de Vriend, das musikalische Feuerwerk von Mozarts Konzert in Es-Dur für zwei Klavier zu entfachen, das überzeugt mindestens genauso auf künstlerischer Ebene.
Frischer Ansatz
Das klingt zuweilen so, als würden beide Konzertflügel zu einem Instrument verschmelzen, so dialogisch vernetzt und, wo nötig, aufs Genaueste synchronisiert ist das Spiel des Geschwisterpaares. Gleichwohl: Musikalische Gemini sind sie keineswegs. Das wird bereits an der Soloexposition und den zahlreichen anspruchsvollen Kadenzen und Spielereien im Allegro des ersten Satzes deutlich. Während Arthur Jussen seinen Part kraftvoll-voluminös gestaltet, vermittelt die Darbietung von Lucas Jussen mehr Leichtigkeit, Feinzeichnung und Artikulation in der Stimmführung.
Man traut es den beiden Brüdern zu, dass sie mit dieser Nuancierung sogar bewusst eine Reminiszenz schaffen wollen: an die mögliche Gestaltung des Werkes durch das Geschwisterpaar Wolfgang und Maria Anna Mozart selbst. Der damals 23 Jahre alte Mozart schrieb das Konzert für sich und seine pianistisch nicht minder begabte ältere Schwester «Nannerl», die aber aufgrund der seinerzeit gesellschaftlich vorherrschenden Zwänge ihre vielversprechende Musikkarriere nicht weiterverfolgen konnte und später eine sogenannte Vernunftehe einging.
«Maria Anna wäre heute sicher ein Musikstar», sagt Arthur Jussen im Anschluss an das Konzert und verrät mit der Äusserung zugleich, mit welcher Hingabe sich die Brüder auch auf die Kontexte der von ihnen interpretierten Werke einlassen, um neue und individuelle Lesarten zu finden. Dieser frische Ansatz, dazu noch im Doppelpack, kommt gut an. Die Brüder sind nicht nur beim Prestige-Label Deutsche Grammophon unter Vertrag, sie spielen auch mit etlichen hochkarätigen Orchestern, wie der Academy of St Martin in the Fields, und waren «Artists in Residence» am Konzerthaus Berlin.
Im spielerischen Wettstreit
In Willem de Vriend finden sie an diesem Abend nicht nur einen musikalischen Mentor am Dirigentenpult, sondern einen echten Partner: Er vermag das Tonhalle Orchester mit solcher Dynamik zu einem federnden Miteinander mit den beiden Soloklavieren anzuregen, dass die Spielfreude aller Beteiligten geradezu physisch greifbar wird.
Im abschliessenden Rondeau des Klavierkonzerts lässt der Dirigent die Streicher dann sogar bewusst in einen spielerischen Wettstreit um die virtuose Vorherrschaft der beiden Soloklaviere treten, der den ganzen Satz über anhält und sich erst im heiteren Ende genussvoll auflöst. Da gibt es kaum etwas draufzusetzen – die Jussen-Brüder machen sich und dem Publikum trotzdem einen Spass mit der Zugabe von Igor Romas wildem «Strausseinander», einer lustvollen Klavierbearbeitung von Melodien aus der Operette «Die Fledermaus». Mit einem wilden Ritt über die Tastaturen endet der Auftritt dieses furiosen Geschwisterduos.
Das offizielle Rahmenprogramm mit Johann Christian Bachs Sinfonie in Es-Dur für Doppelorchester und Joseph Haydns letzter Londoner Sinfonie mit dem Beinamen «Salomon» könnte nach und neben diesem Feuerwerk leicht abfallen. Willem de Vriend verhindert dies mit seinem exzellenten Sinn für Spannungsbögen und einer konsequent im Geist der historischen Spielpraxis zugespitzten Interpretation. Auch für ihn gibt es am Ende grossen Jubel in der Tonhalle.