Die Migros muss sparen und räumt in grossem Stil auf. An der deutschen Supermarktkette Tegut hält sie jedoch fest – obwohl Experten raten, sich so schnell wie möglich davon zu trennen.
Die Migros-Streichliste könnte eine ganze Kassenbon-Rolle füllen: Melectronics, Sport X, Hotelplan und der Produktionsbetrieb Mibelle sollen noch dieses Jahr weg. Weitere Fachmärkte stehen auf der Kippe. In den vergangenen Jahren wurden schon Globus, das Einkaufszentrum Glatt und der Gastro-Zulieferer Saviva verkauft. Dazwischen wurde auch noch der Startup-Entwickler Sparrow Ventures eingestampft.
Gnadenlos wird das Unternehmen derzeit auf unrentable Geschäfte –und davon gibt es viele – durchleuchtet. Ein grösserer Stellenabbau steht bevor. Aber an einem Millionengrab will die Migros weiterschaufeln: der deutschen Supermarktkette Tegut. «Die Migros Zürich hält an ihrem Engagement in Deutschland fest, eine Veräusserung von Tegut steht nicht zur Debatte», schreibt die Medienstelle der Migros-Genossenschaft Zürich.
Tegut flog immer ein wenig unter dem Radar. Das liegt daran, dass nicht der zentrale Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) Eigentümer ist. Sondern die Genossenschaft Migros Zürich (GMZ), eine von zehn regionalen Migros-Einheiten. Die sind zuständig für das Supermarktgeschäft in ihrem Gebiet, haben aber grosse wirtschaftliche Freiheiten. So können sie eigene Firmen gründen oder aufkaufen.
Die Migros Zürich ist besonders aktiv. Im Jahr 2012 hat sie Tegut übernommen, eine kleinere Supermarktkette mit vielen Bio-Produkten rund um die Stadt Fulda im Bundesland Hessen. Genug weit weg von der Schweizer Grenze, um keine Konkurrenz für die eigenen Läden zu werden. Aber auch nah genug, um Tegut mit Produkten aus der hauseigenen Migros-Industrie – etwa Käse, Schokolade oder Biskuits – zu versorgen.
Der Deal wurde als Coup des Migros-Zürich-Chefs Jörg Blunschi gefeiert. Die Schweiz wurde der erfolgsverwöhnten Migros zu klein. Die grösste der zehn regionalen Migros wagt den Schritt nach Deutschland im Alleingang. Tegut sollte expandieren und für zusätzliche Einnahmen sorgen.
Zwölf Jahre später muss man konstatieren: Der Plan ging komplett schief. Anfang Woche hat die Migros Zürich einen Verlust von fast 40 Millionen Franken fürs Jahr 2023 vorgelegt. Dies nachdem man schon im Jahr zuvor 35 Millionen rückwärtsgemacht hat.
Massiv in den roten Zahlen
Obwohl das detaillierte Ergebnis von Tegut nicht offengelegt wird, ist klar: Die deutsche Tochter steckt massiv in den roten Zahlen. Ein Blick in deutsche Archive zeigt: Seit sie zur Migros Zürich gehört, hat Tegut nur viermal keinen Verlust geschrieben. Zweimal resultierte eine schwarze Null. Zweimal verbuchte Tegut einen Gewinn – während der Corona-Jahre 2020 und 2021, als die Einnahmen der Supermärkte wie von selbst durch die Decke gingen.
Unter dem Strich hat die Migros mit Tegut wohl bereits mehr als 50 Millionen Franken in den Sand gesetzt – Kaufpreis exklusive.
«Tegut war immer ein Wackelkandidat. Schon bei der Übernahme von Tegut war unklar, was die Migros mit dem Unternehmen wollte», sagt Thomas Roeb, Professor für Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und einer der besten Kenner des deutschen Detailhandels.
Tegut habe ein eigenartiges Profil, so Roeb. Kein reiner Bio-Händler, aber für einen normalen Supermarkt zu teuer. «Bei Tegut kam die Haltung immer zuerst. Aber angesichts der Inflation und des höheren Preisniveaus ist man damit auf verlorenem Posten.»
Während mit Aldi und Lidl zwei deutsche Discounter den Schweizer Markt eroberten, wollte die Migros Zürich den umgekehrten Weg gehen: Tegut als Premium-Supermarkt positionieren und hohe Margen abschöpfen. «Die Migros wollte wohl die Schweizer Qualität nach Deutschland bringen. Aber die Konkurrenten schlafen ja nicht. Mittlerweile findet man auch im Aldi Bio-Produkte», sagt der Handelsprofessor Roeb.
Kommt hinzu, dass Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland ganz anders funktionieren: Sie sind extrem preissensibel und wenig loyal. Ein Pendant zu Migros- oder Coop-Kindern gibt es dort nicht. Man geht einkaufen, wo es am günstigsten ist.
Entsprechend tobt ein harter Wettbewerb. Halbe Cent-Beträge können monatelange Kriege zwischen Supermärkten und Lieferanten auslösen. «Seit der Übernahme hat sich der Markt noch einmal verschärft. Tegut tritt gegen Unternehmen an, die 40, 50, 60 Milliarden Euro schwer sind», sagt Thomas Roeb. Habe man eine solche Marktmacht gegen sich, werde man aufgerieben. Zum Vergleich: Tegut machte 2023 einen Nettoumsatz von 1,25 Milliarden Euro.
Keine Aussicht auf Besserung
Dass die Migros Zürich in einer so schlechten Verfassung ist, liegt nicht allein an Tegut. Sie ist auch mit 25 Prozent an den Fachmärkten wie Sport X oder Melectronics beteiligt, die jedes Jahr hohe Verluste einfahren.
Tegut ist auch nicht das erste Deutschland-Geschäft der Migros Zürich, das floppt. Anfang 2022 musste sie eine Fitnesscenter-Kette verkaufen, die sie ebenfalls ab 2012 aufgebaut hatte. Gemäss NZZ-Berechnungen kostete dies die Migros 150 Millionen Franken, wobei dies der Migros-Zürich-Chef Jörg Blunschi später bestritt.
Auch bei Tegut drängt der Handelsexperte Thomas Roeb auf einen raschen Ausstieg. «Wie die Migros das Unternehmen aus der Verlustzone führen will, ist mir nicht klar.» Sein Rat: «Verkaufen, die Abschreibungen runterschlucken und nach vorne schauen.» Rund um die Stadt München hat Tegut immerhin attraktive Ladenflächen. 100 bis 200 Millionen Euro Verkaufspreis müssten deshalb drinliegen, so Roeb.
Auf Anfrage versichert die Migros Zürich, dass man 2024 wieder schwarze Zahlen schreiben werde. Das gilt aber nicht für Tegut. «Aufgrund der anhaltend zurückhaltenden Konsumentenstimmung in Deutschland erwarten wir eine Erholung der Ergebnisse der Tegut-Gruppe erst nach 2024», teilt die Medienstelle mit.
Längst machen die Zürcher Verluste auch die Migros-Chefs in der Zentrale nervös. Das Festklammern an Tegut entspricht zudem nicht der Strategie, welche die Migros zuletzt ausgegeben hat. Nämlich wieder auf das Kerngeschäft in der Schweiz zu fokussieren.
Der Migros-Zürich-Chef Jörg Blunschi, der Deutschland mit Fitnesscentern und Supermärkten erobern wollte, tritt im Sommer nach 14 Jahren ab. Er ist nominiert als neuer Präsident der Regionalgenossenschaft Migros Aare. Deren Delegierte können im Juni darüber abstimmen, ob sie ihn wirklich wollen.