Die Trennung ist für Vater und Mutter finanziell ein Unglück. Getrenntes Wohnen bietet zwar neue Lebensperspektiven, ist aber auch ein erhebliches finanzielles Risiko.
Eine Trennung verändert fast alles: Das Paar löst sich auf, ein neues Lebenskapitel beginnt. Doch Eltern bleiben Eltern, auch wenn die Liebe weg ist. Bei den 16 000 Scheidungen, die 2022 in der Schweiz gesprochen wurden, waren 13 000 Kinder betroffen. Scheidung ist Familiensache, die elterliche Fürsorge hört mit dem Ende der Partnerschaft nicht auf.
Die Trennung hat negative Auswirkungen auf die finanzielle Situation nicht nur des Paares, sondern der gesamten Familie. Denn über kurz oder lang verändert sich die Wohnsituation der Familienmitglieder. Oft zieht ein Partner aus, bald müssen zwei Haushalte finanziert werden. Die Wohnkosten schiessen in die Höhe, das Einkommen bleibt gleich.
Aber auch das Zusammenleben muss neu verhandelt und organisiert werden: Bei wem wohnen die Kinder? Wer übernimmt die Betreuung, und wer finanziert den Unterhalt?
Nicht nur die Wünsche und Verhandlungen zwischen den Ex-Partnern bestimmen das Ergebnis. Die spätere Wohnform hängt auch stark vom ökonomischen Status der Familie ab, sagt Nina Weimann-Sandig, Soziologin an der Evangelischen Hochschule Dresden.
Residenz: Relikt und Realität
Je grösser die Gehaltsunterschiede zwischen Mann und Frau, desto eher werde das Residenzmodell gelebt, sagt sie. In diesem wohnen die Kinder hauptsächlich bei einem Elternteil in Residenz – meist der Mutter – das andere Elternteil erhält ein Besuchsrecht.
Die traditionelle Rollenverteilung wird so auch nach der Trennung weitergelebt: Der Vater sorgt für das Haupteinkommen, die Mutter übernimmt den Grossteil der Kinderbetreuung und arbeitet Teilzeit. Gemäss Bundesamt für Statistik haben Männer in einem Haushalt mit Kindern ein durchschnittliches Pensum von 90 Prozent, Frauen eines von rund 50 Prozent.
Welche Wohnformen nach einer Trennung daraus resultieren, wird in der Schweiz nicht erhoben. Für Martin Widrig, Jurist und Experte für Familienfragen an der Universität Freiburg, ist das Residenzmodell hierzulande immer noch dominant.
Dabei wird politisch das Wechselmodell gefördert. Bei diesem Modell sollen sich Vater und Mutter die Betreuung der Kinder im Alltag in alternierender Obhut aufteilen. Wobei die Betreuung schon ab einem Betreuungsanteil von 30 Prozent als «geteilt» gilt. Männer können seit 2017 gerichtlich verlangen, dass die Möglichkeit alternierender Obhut nach einer Trennung geprüft wird. Gesetzlich verankert ist sie nicht. In der Realität leben die Kinder aber viel häufiger bei der Mutter als beim Vater. Nur rund ein Sechstel der Getrennten oder Geschiedenen teilt sich die Betreuung der Kinder auf.
Die Betreuungsform beeinflusst die Höhe des Unterhalts. Anwälte sprächen sich deshalb oft aus finanziellen Überlegungen gegen eine alternierende Obhut aus, sagt Widrig. Im Streitfall vor Gericht resultiere immer noch in mehr als zwei Drittel der Fälle das Residenzmodell, schätzt er. Wobei sich die grosse Mehrheit der Paare aussergerichtlich über ein Betreuungsmodell einigen könnten.
Bei kleineren Kindern kann das Residenzmodell sinnvoll sein, zumal die Hauptbezugsperson – meist die Mutter – auch nach der Trennung dieselbe bleibt. Manchmal ist das Modell auch unvermeidbar, wenn etwa jobbedingt eine grosse geografische Distanz zwischen den ehemaligen Partnern entsteht.
Doch besonders für die Frauen birgt die Residenz finanziell Gefahren. Viele getrennte Mütter arbeiten weiterhin Teilzeit, weil die übrige Zeit durch Kinderbetreuung ausgefüllt ist. Die Elternschaft wird aber nicht zwischen den Ex-Partnern geteilt. Die Hauptlast der Erziehungsarbeit liegt somit bei der Mutter. Das macht sie faktisch zu einer Alleinerziehenden. Hinzu kommt wegen ihres oft geringeren Einkommens das grössere Risiko, später an Altersarmut zu leiden.
Alternierende Obhut bloss ein Ideal?
Als zeitgemäss und «gesellschaftlich erwünscht» sehen deshalb viele die alternierende Obhut. In diesem Wechselmodell lösen sich die Eltern bei der Kinderbetreuung ab und partizipieren «gleichberechtigt» am Alltagsleben der Kinder.
Dabei sind zwar die Unterhaltsansprüche geringer, doch die alternierende Obhut sei im Sinne des Kindeswohls, glaubt Martin Widrig. Der Jurist hat in einer Studie gezeigt, dass sich Kinder in diesem psychisch gesünder entwickeln als unter der Obhut nur eines Elternteils.
Aber auch die Eltern können profitieren. Kinder zu betreuen, sei zwar schön, aber auch zeit- und kräfteraubend, sagt Widrig. «Nach einer Woche Familienleben sich auf das Berufliche oder das neue Single-Dasein zu konzentrieren, ist eine attraktive Perspektive.»
Es haben sich unterschiedliche Varianten der alternierenden Obhut entwickelt. Als «Ideal» wird eine 50:50-Betreuung gesehen, wochenweise abwechselnd oder Montag bis Mittwoch und Mittwoch bis Freitag mit alternierenden Wochenenden.
Wenn beide gut verdienen und auf Unterhaltsansprüche verzichten können, ist auch für die Soziologin Weimann-Sandig das Wechselmodell zu bevorzugen. Dabei stellt sie einen Stadt-Land-Graben fest. So sei in Deutschland in städtischen Gebieten und im Osten des Landes das Wechselmodell häufiger anzutreffen. In ländlichen, katholisch ge-prägten Gebieten wie Bayern gebe es hingegen eine klare Tendenz zum Residenzmodell.
Zudem hätten es auf dem Land getrennte Mütter schwerer, sich für eine alternierende Obhut zu entscheiden, weil sie eher dem «mom bashing» ausgesetzt seien: Frauen würden dafür kritisiert, lediglich eine «Teilzeit-Mutter» zu sein. In den Städten hingegen seien eher Unterschiede zwischen den Generationen zu beobachten. Je jünger die Familien, desto eher wird das alternierende Modell bevorzugt.
So auch in der Stadt und Agglomeration Zürich. Dort sei das Bedürfnis nach alternierender Obhut in den letzten Jahren stark gestiegen; auch wenn das nicht unbedingt die gelebte familiäre Realität von vor der Trennung widerspiegle, sagt die Juristin und Familienmediatorin Dina Aguilar Carrillo.
Die Umsetzung des Wechselmodells ist finanziell und organisatorisch jedoch anspruchsvoll. So müssen die getrennten Eltern miteinander kommunizieren können, um sich zu koordinieren. Zudem müssen nach der Trennung schnell zwei Wohnungen her, die geografisch nahe beieinander sind, damit die Kinder selbständig «pendeln» können. Das ist angesichts des angespannten Wohnungsmarkts in vielen Städten ein schwieriges und teures Unterfangen.
Luxus-Nest ist eine temporäre Lösung
In der Regel teurer als die alternierende Obhut ist eine Wohnform , die man als Nestmodell bezeichnet. Der Vorteil ist, dass die Kinder in der vertrauten Familienwohnung, dem Nest, bleiben. Die Eltern pendeln zwischen dieser und der eigenen, externen Wohnungen ausserhalb des Nests. Es braucht insgesamt also bis zu drei Wohnungen. Dieses Modell sei für die Getrenntlebenden eine hohe ökonomische Belastung und auch deshalb am wenigsten verbreitet, sagt Weimann-Sandig.
Beim Nestmodell stehen die Kinder im Vordergrund. Für die Eltern sei es aber sehr aufwendig. «Sie haben keinen Rückzugsort, leben aus dem Koffer», sagt Aguilar Carrillo. Das Nest sei deshalb meist ein zeitlich begrenztes Übergangsmodell, das selten über die Scheidung hinaus beibehalten werde. Erschwerend komme hinzu, dass es ein Nährboden für weitere Konflikte unter den Partnern bieten könne, etwa wenn es um die Führung des Haushalts gehe oder neue Geliebte ins Spiel kämen.
Das Nest muss finanziell aber nicht immer teurer sein als das Wechselmodell. Die Familienwohnung, in der die Kinder leben, braucht eine gewisse Grösse. Doch beschränken sich die Eltern auf eine oder zwei Satellitenwohnungen, etwa Studios oder WG-Zimmer, kann es günstiger sein als zwei grosse Wohnungen in der alternierenden Obhut. Hier ist der Erfindergeist der Eltern gefragt und ihre Bereitschaft, eine für sie und die Kinder passende Lösung zu finden.
Unterhalt: Frauen betreuen, Männer bezahlen
Wenig Erfindergeist gefragt ist beim finanziellen Aufkommen für die Kinder. Bis mindestens zum 18. Lebensjahr oder einer abgeschlossenen Erstausbildung sind die Eltern für ihre Kinder verantwortlich. Dabei muss der finanzielle Unterhalt der Kinder geregelt sein, erst danach wird der nacheheliche Unterhalt festgelegt, also etwa die Höhe der Alimente.
In der alternierenden Obhut wird das Ideal einer egalitären Aufteilung von Arbeit und Kinderbetreuung unter den Eltern angestrebt. Die Idee ist, dass wenn beide Elternteile gleich viel betreuen und verdienen, sie zu gleichen Teilen für den Unterhalt der Kinder aufkommen müssen. Doch mit der Realität hat das nicht viel zu tun.
Wie bei der Aufteilung der Kinderbetreuung spiegelt auch die Regelung des Unterhalts gesellschaftliche Muster. Nach einer Scheidung gehen Frauen typischerweise weniger einer Erwerbsarbeit nach und verdienen weniger als ihre Ex-Männer. Unterhaltspflichtig ist aber dasjenige Elternteil, bei dem die Kinder nicht schwerpunktmässig leben, und das sind meist die Väter.
Die Väter gingen derweil oft weiter ihrem bisherigen Vollpensum nach, um die durch die Trennung verursachten Mehrkosten abzufedern und einen Teil ihrer Betreuungspflichten durch Fremdbetreuung abzudecken, stellt Aguilar Carrillo fest. Aber auch wenn Väter die Hälfte der Betreuung übernähmen, müssten sie oft Unterhaltsbeiträge an die Mütter zahlen, weil sie mehr verdienten als diese.
Die Frauen stockten ihr Pensum oft maximal auf 80 Prozent auf, womit sie ihren eigenen Bedarf oft nicht selbständig decken könnten. So steckten manche getrennte Väter in der Situation, dass sie Vollzeit arbeiten, die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen sowie Unterhalt an die Ex-Partnerin zahlen müssten.