In der Samstagnacht lockten vermummte Gewalttäter die Polizei in einen Hinterhalt beim Kulturzentrum Reitschule. Drei Polizisten mussten ins Spital. Nachgefragt bei Regierungsrat Philippe Müller: Was ist los in Bern?
Herr Müller, wie erklären Sie Nicht-Bernern das Phänomen Reitschule?
Es ist einerseits ein beliebtes Ausgehlokal für Junge; andererseits wird es missbraucht von gewalttätigen Linksextremisten, die dort regelmässig die Polizei angreifen und sich danach in die Reitschule zurückziehen. Um die Reitschule herum hat sich zudem der Drogenhandel etabliert. Der Betrieb der Reithalle wird durch die Stadt Bern finanziell unterstützt.
In der Nacht auf Sonntag sind elf Polizisten bei Ausschreitungen verletzt worden. Was war der Auslöser?
Die Aktion war sinnfrei, es gab keinen Auslöser. Offensichtlich ist aber, dass es eine gezielte Aktion gegen die Polizei und damit gegen den Staat war. Die Täter haben brennende Container auf Strassen gestellt, Barrikaden errichtet, um dann mit extremem Gewaltpotenzial gezielt Polizistinnen und Polizisten anzugreifen. Sie haben dabei bewusst versucht, die Polizistinnen und Polizisten schwer zu verletzen. Die Gewalttäter bekämpfen die staatlichen Behörden, gleichzeitig ermöglicht genau dieser Staat überhaupt die Existenz der Reitschule in der heutigen Form.
Die Gewaltbereitschaft war enorm. Sie setzten unter anderem Steine, Flaschen, Feuerwerkskörper und Laser ein. Was weiss man über die Täter?
Die Täter waren vermummt und konnten unter dem normalen Ausgangsvolk untertauchen. Deshalb sind Anhaltungen in flagranti schwierig. Zudem achtet die Polizei darauf, unbeteiligte Personen nicht zu gefährden. Es waren mehrere hundert Personen am Ort. Die Polizei sucht derzeit Zeugen.
Die Postille der Gewalttäter, «Barrikade-Info», schreibt: «Wir haben den Zeitpunkt und die Intensität der nächtlichen Auseinandersetzung bewusst ausgewählt. Unser Handeln ist die Konsequenz unserer Kritik an diesem System und seiner Verbündeten.» Zum Schluss grüsste man die verhaftete RAF-Terroristin Daniela Klette und «all ihre Freund*innen im Untergrund».
Das zeigt, wie wirr und zusammenhangslos die sogenannten «Botschaften» aus der Reitschule sind und wo deren Sympathien liegen.
Die Szene bewegt sich an der Grenze zum Terrorismus . . .
Es ist massive linksextremistische Gewalt, die darauf abzielt, das friedliche Zusammenleben zu untergraben.
Drei Polizisten mussten ins Spital. Wie geht das Korps mit diesen Einsätzen um? Zu den Krawallen von Linksextremen kommt ja regelmässig noch die Fangewalt.
Es sind schwierige Einsätze. Insbesondere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Polizistinnen und Polizisten sind Menschen, mit Familien und Freunden, die in einen Nachteinsatz gehen, einen Patrouillendienst, um zu helfen und für Ruhe und Sicherheit zu sorgen, und dann werden sie massiv angegriffen. Es ist besorgniserregend, wenn Polizistinnen und Polizisten bei Einsätzen verletzt werden und sogar die Tötung eines Menschen in Kauf genommen wird. Denn es wurden faustgrosse Steine gegen die Polizistinnen und Polizisten geworfen. Sie wurden mit Laserstrahlen an den Augen verletzt. Solche gezielten Angriffe mit massiver Gewalt sind verwerflich, nicht nachvollziehbar und nicht tolerierbar.
Sie haben der Stadt Bern mehrfach vorgeworfen, die Reitschule unter Heimatschutz zu stellen und damit die ewige Gewalt zu rechtfertigen. Findet nun ein Umdenken statt?
Die Stadt hat sich den Schutz von Minderheiten auf die Fahne geschrieben. Derzeit läuft eine städtische Kampagne gegen Beleidigungen in der Öffentlichkeit. Umso mehr sollte die Stadt unter dem Motto «Bern schaut hin» bei solch massiver Gewalt hinschauen und endlich handeln.
Seit ein paar Monaten steht ein sogenanntes Schutzmobil auf der Schützenmatte in Bern. Was bringt das?
Es bietet einen Rückzugsort insbesondere für Besucherinnen, aber auch Besucher auf der Schützenmatte. Was es tatsächlich bringt, kann nicht beurteilt werden. Es ist aber Ausdruck bestehender Probleme.
Gibt es Videoüberwachung im Bereich der Schützenmatte?
Zurzeit nicht, das ist aber zu prüfen.
Was muss passieren, damit solche brutalen Auswüchse in Zukunft nicht mehr vorkommen?
Die Stadt Bern soll die finanzielle Unterstützung kürzen und temporäre Schliessungen anordnen – analog zu den Sektorschliessungen in den Fussballstadien. Die Reitschule fordert ja Selbstregulierung, durch solche Massnahmen kann sie gefördert werden.
Doppelbotschaften aus dem Innern der Reitschule
geo, Bern – Über die Berner Tageszeitung «Der Bund» wurde am Montagnachmittag eine Stellungnahme der Mediengruppe Reitschule verbreitet: «Der Anlass für die Aktion am Samstagabend wurde weder von uns Betreiber*innen (sic!) noch von unserem Gästen verstanden», formuliert das Kollektiv in einer Art Distanzierung. Die Besetzergruppe, die für den Anschlag verantwortlich ist, sprach auf «Barrikade.info» davon, dass die «offensive Aktion» viel Zustimmung erhalten habe. Was stimmt? Man weiss es nicht. Die Doppelbotschaften illustrieren einen seit Jahren bestehender Zielkonflikt im Innern der Reitschule: Die Gastro- und Klub-Betreiber sehen eher das Geschäft, der harte Kern den Krawall. Dass die Vorbereitung einer derartigen Aktion niemandem aufgefallen ist, wirkt unwahrscheinlich.