Mit der Dokumentation «Screams before Silence» kämpft die ehemalige COO des Meta-Konzerns gegen das Schweigen über die Sexualverbrechen der Hamas an. Nur wie sie ihre eigene Betroffenheit inszeniert, ist unnötig.
Vor zehn Jahren wies Sheryl Sandberg Frauen an, wie sie sprechen und dasitzen sollten, um am Arbeitsplatz mehr Autorität zu erlangen. Darum ging es in Sandbergs Buch «Lean in». Genaugenommen forderte die Geschäftsfrau die Frauen dazu auf, sich mehr «reinzuhängen», wenn sie Karriere machen und die Vormacht der Männer brechen wollten.
Ein Problem hatte «Lean in»: Das Buch war an Frauen wie die Autorin selbst gerichtet – die damals COO von Facebook war. Also an reiche und gebildete Frauen, die über alle Ressourcen verfügten, um dem Vorbild Sandberg zu entsprechen.
Das wurde dann auch kritisiert. Sandberg sage, so lautete ein Vorwurf, man müsse sich nur genügend anstrengen, dann stehe einer Frau der Weg nach oben offen. Sie nehme damit den Staat und die Arbeitgeber aus der Pflicht, für Strukturen zu sorgen, damit Familie und Job besser vereinbar sind. Auch lasse sie die Frauen an der Supermarktkasse oder am Fliessband komplett ausser acht.
Nun hat die 54-jährige ehemalige Managerin eine neue Aufgabe gefunden in ihrem Kampf für Frauen und Mädchen. Seit dem Terrorangriff auf Israel beschäftigt sie die an Israelinnen durch die Hamas verübte sexuelle Gewalt. Und das Schweigen der Welt darüber.
Das Image der weissen Elitefeministin wird Sheryl Sandberg damit nicht loswerden. Zumindest nicht in Kreisen, in denen der Hass auf die «Kolonialmacht» Israel wegen des Gaza-Kriegs wächst. Sandberg, eine Milliardärin, kommt selber aus einer jüdischen Familie. Eine wie sie muss für die in Postkolonialismus geschulten Protestierenden an amerikanischen Universitäten eine Komplizin der Unterdrücker sein.
Jedes Leid ist gleichwertig
Dabei setzt sich Sheryl Sandberg dafür ein, dass jedes Leid gleichwertig behandelt wird. Egal, an was für einen Gott man glaube und welche Fahne man schwenke, schrieb sie in einem Gastbeitrag für CNN: «Es gibt eine Meinung, der alle zustimmen können: Vergewaltigung darf nie als Kriegshandlung eingesetzt werden.» Also verdienten es auch die Israelinnen, gehört zu werden.
Sandberg hat schon früh die Frauenrechtsorganisation UN Women kritisiert, die sich monatelang davor scheute, die Sexualverbrechen vom 7. Oktober zu verurteilen. «Wer schweigt, macht sich zum Mittäter», so kommentierte Sandberg das Versagen von UN Women an deren Versammlung. Das war Anfang Dezember.
In den folgenden Wochen reiste Sandberg nach Israel, um den Opfern von am 7. Oktober verübter sexueller Gewalt eine Stimme zu geben. Sie hat mit Überlebenden und Augenzeugen gesprochen, auch befreite Geiseln konnte sie treffen. Daraus ist der Film «Screams before Silence» entstanden, eine einstündige Dokumentation, die seit kurzem online kostenlos zu sehen ist.
Systematisches Vorgehen der Hamas
Unter der Regie von Anat Stalinsky macht Sandberg eine sorgfältige Beweisführung, die den letzten Zweifler verstummen lassen muss. Oder müsste. Ihr Film erzählt noch einmal das ganze Ausmass der Barbarei der Hamas-Terroristen, die sich auf brutalste Weise sexuell an Frauen, Mädchen und Männern vergingen.
Darüber hinaus wird in «Screams before Silence» deutlich, dass die Vergewaltigungen und Verstümmelungen durch die Hamas bewusst und vorsätzlich erfolgten. Das geht aus den Aussagen von Polizisten und Gerichtsmedizinern hervor, die klare Muster erkennen.
Nur die Uno hält dies noch immer nicht für ganz wahr. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht unterliess es der Uno-Generalsekretär António Guterres erneut, die Hamas auf eine schwarze Liste von Organisationen zu setzen, die während eines Konflikts systematisch Sexualverbrechen begehen. Es brauche dafür umfassendere Untersuchungen.
«Stop, stop, stop!»
Gerade weil das vorhandene Wissen offenbar nicht genügt oder sogar geleugnet wird, wie es teilweise bei den jetzigen weltweiten Protesten gegen den Gaza-Krieg geschieht, ist «Screams before Silence» so wichtig.
Der Film gewinnt seine Stärke aus dem Entscheid, keine Bilder der Greueltaten zu zeigen aus Respekt vor den Opfern. Es genügt, die bewegten Gesichter zu sehen, die stockenden Stimmen zu hören. Sheryl Sandberg nimmt dabei die Rolle der Interviewerin ein, die ihren Gesprächspartnern präzise Fragen stellt. «In wie vielen Situationen haben Sie nackte Körper gefunden?» «Wirkt das systematisch auf Sie?»
Da sind die Mutter und die Tochter, die mit Sandberg in ihr verwüstetes Haus im Kibbuz Kfar Azza zurückkehren, wo die Terroristen vor ihren Augen den Mann und Vater ermordeten.
Die junge Festivalbesucherin, die sieben Stunden in einem Container ausharrte und Frauen draussen «Stop, stop, stop!» schreien hörte. Bis sie verstummten.
Der IDF-Soldat, der auf dem Handy zeigt, wie er auf das Gelände des Nova-Festivals kommt und immer verzweifelter ruft: «Ist da jemand? Kann mir jemand antworten?» Und dann die reglosen Körper sieht, «einen, zwei, drei, vier . . .».
Die befreite Geisel Amit Soussana, die vom sexuellen Übergriff ihres Bewachers erzählt, ohne ins Detail zu gehen. Sie wirkt gebrochen.
Sandbergs leidendes Gesicht
Die Überlebenden und Augenzeugen erzählen gefasst, werden selten emotional. Ein Selbstschutz, sagt eine IDF-Reservistin, die am 7. Oktober die weiblichen Leichen identifizieren half. Nur Sheryl Sandberg inszeniert ihre Betroffenheit etwas penetrant, mit einem Leiden im Gesicht, das einen vorzuschreiben scheint, wie man zu fühlen hat. Ihre Schluchzer und «O mein Gott»-Ausrufe würde es nicht brauchen.
Vielleicht kommt hier Sandbergs eigene Trauer ins Spiel. Sandbergs Mann Dave Goldberg, ein Unternehmer, brach 2015 in den gemeinsamen Ferien tot zusammen. Er war 47. Über den Umgang mit solchen Verlusterfahrungen schrieb Sandberg das Buch «Option B». Die Freude am Leben werde zurückkommen, lautete ihre Botschaft.
Auch das Trauma des 7. Oktobers lasse sich in Hoffnung verwandeln, sagt Sandberg am Schluss ihres Films: dass nämlich so etwas nie mehr passieren dürfe. Doch dafür muss man es zuerst einmal glauben.