Das Timing des Marktes lohnt sich meist nicht. Konsolidierungen sollten deshalb eher zur Arrondierung des Portfolios genutzt werden. Derzeit profitieren bisher vernachlässigte Segmente von einer Zunahme der Marktbreite.
Ich weiss, der populäre Spruch lautet: «Sell in May and go away».
Wer ihn befolgt, wird mit Aktienanlagen garantiert ärmer und nicht reicher.
Nicht, weil es manchmal eine Sommerflaute gibt und es so aussieht, als wäre die Börsenregel ein Erfolgsrezept, sondern weil niemand weiss, ob die Sommerflaute tatsächlich einsetzt und gegebenenfalls wann sie vorbei ist und man wieder einsteigen sollte.
Das ist Mikro-Timing. Es funktioniert manchmal, aber nicht zuverlässig, und oft sind die zum Zugreifen einladenden Kurse illusorisch, weil bereits ein kleiner Umsatz genügt, um sie explodieren zu lassen.
Die aktuelle Konsolidierung war fällig
Nach fünf Monaten, die in den meisten Indizes jeweils im Plus endeten, in vier davon auf dem höchsten Stand des Monats, war eine Konsolidierung nicht nur fällig, sondern überfällig. Sie setzte im April ein. Die meisten Indizes gaben um die 4% nach.
Ich glaube nicht, dass die Konsolidierungsphase bereits abgeschlossen ist. Aber eben: Konsolidierungen sind Voraussetzungen für länger dauernde Trends, sie gehen meistens mit kleineren Präferenzverschiebungen einher und sollten deshalb für Portfolio-Arrondierungen genutzt werden und nicht zum Ausstieg in der Erwartung, später zu tieferen Kursen wieder einsteigen zu können.
Schwache Indizes ziehen leicht an
Dem Rückschlag im April entziehen konnten sich Indizes, die 2023 bis in dieses Jahr hinein relativ schwach waren und die von einer Zunahme der Marktbreite in früher vernachlässigte Segmente profitieren konnten. Gerade die Tatsache, dass schwach gewesene Indizes jetzt eher anziehen, zeigt, dass kein grundsätzlicher Ausverkauf stattfindet, sozusagen aus Furcht vor der eigenen Courage, die in der Phase steigender Kurse aufblitzte.
Ein Beispiel dafür ist der britische FTSE 100, der davon profitierte, dass die lange relativ schwachen britischen Banken sich dem Eilzug anderer europäischer Bankaktien anschlossen, und natürlich dem Kursschub in ausgewählten Minenwerten.
Der FTSE 100 war von Februar 2009 bis Dezember 2021 relativ schwach zum MSCI Welt, erholte sich bis Februar 2023 kurz, um dann erneut einen negativen Verlauf zu nehmen. Im April versetzte er mit einem Zuwachs von 1,9% den MSCI Welt mit einem Minus von 3,9% in den Schatten.
Länderindizes taugen nicht als Leitbarometer
Was relative Schwäche bedeutet, zeigt der Gewinn des FTSE 100 seit Februar 2009 von 115%. In der gleichen Zeit ist der MSCI Welt in britischen Pfund um 400% gestiegen. Ebenfalls in der gleichen Zeit sind 34 Konstituenten des FTSE 100 stärker gestiegen als der MSCI Welt, die meisten davon nicht nur zum in Pfund umgerechneten MSCI Welt, sondern auch zum MSCI Welt in Dollar.
Das zeigt, dass Länderindizes nicht die idealen Leitbarometer sind für die Aktienselektion.
Besser eignen sich die Sektorindizes. Die britischen Aktien, die die Performance des FTSE 100 um rund den Faktor vier übertroffen haben, konnten über die Sektorenanalyse ausfindig gemacht werden – und gekauft werden, sofern es im jeweiligen Sektor nicht bessere Aktien aus anderen Ländern gab.
Auch eine langfristige Strategie braucht Kontrolle
Langfristig ist gut. Da man aber nicht im Voraus weiss, was sich in vielen Jahren positiv entwickeln wird, und zwar nicht nur bei isolierter Betrachtung, sondern im Kontext aller Chancen, die sich an den weltweiten Aktienmärkten ergeben, braucht es ein Kontrollinstrument, und das ist der relative Kursverlauf zur gewählten Messlatte. Die gewählte Messlatte sollte grundsätzlich der MSCI Welt sein oder der MSCI-Sektorindex mit der höchsten relativen Stärke zum MSCI Welt.
Die Messlatte sollte im Rahmen eines geglätteten Durchschnittes schwanken können. Misst man in zu kurzen Abständen, wird man in Konsolidierungen oft aus den langfristig besten Aktien gedrängt. Ist die Glättung zu lange, gibt man zu viel preis. Die Definition der Glätte setzt viel Erfahrung voraus. Sie im Detail zu besprechen, wäre ein viel zu komplexes Kapitel für eine Kolumne.
Alfons Cortés