Die Gesundheitsministerin will die Arbeitsbedingungen verbessern, wie es das Volk verlangt hat. Das Timing ist brisant, weil dasselbe Volk bald über zwei ganz andere Initiativen abstimmt.
In der Schweiz ist das Volk der Chef, und das Volk darf sich sogar selbst widersprechen. Allerdings ist auch das Schweizervolk nicht in der Lage, die Gesetze der Logik aufzuheben. Wenn die Mehrheit höhere Ausgaben beschliesst, führt das selten bis nie zu tieferen Kosten, sondern zu höheren, die dann irgendjemand tragen muss.
Das mag banal klingen, doch manche scheinen es gekonnt zu verdrängen. Dies zeigt ein Blick in Kommentarspalten und soziale Medien, wenn es um die ungeklärte Finanzierung der 13. AHV-Rente geht. Sobald das Volk die Folgen eigener Beschlüsse zu spüren bekommt, kann das unangenehm sein.
Und das beste Beispiel kommt erst noch. Am 9. Juni stimmt das Volk über zwei gesundheitspolitische Initiativen ab, die in ihrer Stossrichtung sehr verschiedenen sind, im Kern aber dasselbe Problem ansprechen: das Wachstum der Gesundheitskosten, das zwingend auch einen Anstieg der Prämien für die Grundversicherung bewirkt. Die SP verlangt einen milliardenschweren Ausbau der Prämienverbilligung, die Mitte-Partei fordert eine «Kostenbremse» für das Gesundheitswesen. Die Debatten werden dominiert von Klageliedern über die Prämienlast, Kritik an Ärztelöhnen und vernichtenden Analysen über das ewige Kostenwachstum.
Zu viele vorzeitige Abgänge
Doch ausgerechnet jetzt, mitten im allgemeinen Wehklagen, wird das Volk einen Monat vor der wichtigen Abstimmung eingeholt von einer anderen Initiative, die es 2021 klar angenommen hat: die Pflegeinitiative. Sie verlangt unter anderem, dass der Bund Vorschriften erlässt zu den Arbeitsbedingungen und zur Abgeltung der Pflege.
Die erste Etappe der Umsetzung soll Anfang Juli in Kraft treten, sie umfasst insbesondere eine Ausbildungsoffensive. Bund und Kantone wollen dafür während acht Jahren knapp eine Milliarde Franken ausgeben. Davon werden die Prämienzahler noch nichts merken.
Doch nun kommt die zweite Etappe. Am Mittwoch hat der Bundesrat seine Pläne verabschiedet und in die Vernehmlassung geschickt. Im Zentrum stehen zwei Anliegen: attraktivere Arbeitsbedingungen sowie bessere berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. Die Strategie ist klar: Während die erste Etappe dazu führen soll, dass mehr Personen eine Ausbildung in der Pflege in Angriff nehmen, muss die zweite Etappe verhindern, dass weiterhin unerwünscht viele Neueinsteiger den Beruf nach kurzer Zeit bereits wieder verlassen.
Beides zusammen soll den beträchtlichen Personalmangel mildern, der in den nächsten Jahrzehnten droht, weil der Anteil der Älteren an der Bevölkerung so stark wachsen wird wie nie.
Kosten weit über 1 Milliarde Franken
Kostenlos ist das nicht zu haben. Die zweite Etappe dürfte sich nun auch bei den Krankenkassenprämien spürbar niederschlagen. Bei ihrem Auftritt vor den Medien erklärten die Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider und ihre Fachleute, zu den Kosten könne man nichts Genaues sagen, weil wichtige Eckwerte erst noch festgelegt werden müssten. Allerdings sind im Bericht des Bundesrats für die Vernehmlassung durchaus Ausführungen zu finden, die Hinweise auf die Dimensionen der Folgekosten geben.
Relevant sind vor allem Baume-Schneiders Vorschläge zur Arbeitszeit in der Pflege: Die wöchentliche Höchstarbeitszeit soll von heute 50 auf neu 45 Stunden sinken, und die Normalarbeitszeit soll sich künftig zwischen 38 und 42 Stunden pro Woche bewegen. Sollte sich nun zum Beispiel die Variante mit 38 Stunden durchsetzen, führt dies laut dem Bericht bei gleich bleibenden Löhnen zu höheren Personalkosten von gut 1 Milliarde Franken im Jahr.
Darüber hinaus schlägt der Bundesrat vor, dass Spitäler und Heime den Pflegenden künftig Zuschläge bezahlen müssen, wenn sie kurzfristig ungeplante Einsätze übernehmen sollen. Dadurch ist laut Bericht mit zusätzlichen Mehrkosten von «mehreren hundert Millionen Franken» pro Jahr zu rechnen. Und das ist nicht alles: Die gesamtwirtschaftlichen Mehrkosten dürften «noch weit höher liegen». Dies zum Beispiel deshalb, weil manche Spitäler und Heime versucht sein dürften, gleichzeitig mit den Pflegenden auch andere Berufsgruppen besserzustellen, zum Beispiel in der Gastronomie oder im technischen Dienst.
Baume-Schneider ruft zum runden Tisch
Mit einem schmerzhaften Prämienschub ist zu rechnen, auch wenn nicht die ganzen Mehrkosten über die Grundversicherung finanziert werden müssen. Als Anhaltspunkt: Ein Anstieg um 1 Milliarde Franken im Jahr führt dazu, dass die Prämien um etwa 3 Prozentpunkte erhöht werden müssen. Das sind just vor den bevorstehenden Abstimmungen keine verlockenden Aussichten.
Das Departement Baume-Schneider will denn auch aktiv werden. Noch im ersten Halbjahr 2024 soll ein runder Tisch mit allen relevanten Akteuren stattfinden. Erklärtes Ziel: Spitäler, Heime oder Praxen sollen ihre verfügbaren Einnahmen vermehrt einsetzen, um Pflegeleistungen künftig besser zu bezahlen.
Wie das gelingen soll – zumal angesichts der zunehmenden Finanzierungslücken der Spitäler –, schreibt der Bundesrat nicht. Hingegen hält er klar fest, was geschieht, wenn es nicht gelingt: Dann «ist mit steigenden Prämien zu rechnen».