Der Frust über die stockende europäische Integration ist gross im südosteuropäischen Land. Wichtiger für das Wahlergebnis war aber die schlechte Amtsführung der sozialdemokratischen Regierung.
Kein Land im Westbalkan ist in den vergangenen Jahren für das Fernziel des EU-Beitritts so weitreichende Kompromisse eingegangen wie Nordmazedonien. Und vermutlich nirgends ist der Frust über die ausbleibenden Fortschritte so gross wie in der südlichsten Nachfolgerepublik des ehemaligen Jugoslawien. Schliesslich hat man sogar den eigenen Namen geändert. Bekommen hat man dafür wenig.
Erdrutschsieg der Nationalisten
Künftig dürfte Skopje wieder vermehrt Zähne zeigen. Bei den Parlamentswahlen am Mittwoch hat die nationalkonservative VMRO-DPMNE einen Erdrutschsieg errungen. Mit 58 Sitzen im 120-köpfigen Parlament verfehlte sie die absolute Mehrheit nur haarscharf. Der Parteichef Hristijan Mickoski ist als neuer Regierungschef gesetzt.
Die bisher regierenden Sozialdemokraten von Dimitar Kovacevski verfügen künftig nur noch über 18 Sitze und fallen damit sogar hinter die grösste albanische Partei, DUI, zurück. Gut ein Viertel der 2 Millionen Einwohner des Landes sind ethnische Albaner.
Auch bei der gleichzeitig stattfindenden zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen schwang die VMRO obenauf. Deren Kandidatin, die emeritierte Rechtsprofessorin Gordana Siljanovska-Davkova erhielt mit 65 Prozent mehr als doppelt so viele Stimmen wie der Amtsinhaber Stevo Pendarovski.
Streit mit Bulgarien
Den Frust über die EU hat sich Brüssel selber zuzuschreiben. Der sozialdemokratischen Regierung war es 2018 gelungen, den jahrzehntelangen Namensstreit mit Griechenland zu lösen. Im Abkommen von Prespa einigten sich die damaligen Regierungschefs Zoran Zaev und Alexis Tsipras auf einen Kompromiss. Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik benannte sich in Nordmazedonien um. Im Gegenzug machte Athen den Weg für die euroatlantische Integration des nördlichen Nachbarstaats frei.
Kurz darauf trat Nordmazedonien der Nato bei. In der EU legte aber zuerst Frankreich ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ein, dann stellte sich Bulgarien quer. Auch hierbei geht es um Identitätsfragen. Aus bulgarischer Sicht gibt es keine mazedonische Nation und keine mazedonische Sprache. Letztere, so die verbreitete Meinung, sei lediglich ein Dialekt des Bulgarischen.
2022 stimmte Skopje zu, erneut die Verfassung zu ändern und die Existenz einer bulgarischen Minderheit im Land anzuerkennen. Daraufhin wurden die Beitrittsverhandlungen mit Brüssel eröffnet. Mehrere Klauseln in diesem sogenannten «französischen Vorschlag» räumen Sofia jedoch auch künftig ein Veto-Recht über Nordmazedoniens Weg Richtung EU ein.
Schlechte Regierungsführung
Die VMRO, die bereits gegen das Prespa-Abkommen protestiert hatte, sprach sich im Wahlkampf vehement gegen den französischen Vorschlag aus. Damit traf die Partei die Stimmung in der Bevölkerung. Anders als beim Kompromiss mit Griechenland, der als Preis für den Weg Richtung Brüssel akzeptiert wurde, lehnt es die grosse Mehrheit ab, ohne zugesicherte Gegenleistung aus Sofia erneut die Verfassung zu ändern.
Die Erfahrungen nach der Namensänderung, aber auch die mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen mit Bulgarien tragen zum Misstrauen bei. Selbst dezidiert proeuropäische Stimmen wie der frühere Aussenminister Nikola Dimitrov äusserten Vorbehalte zum französischen Vorschlag.
Die internationale Aufmerksamkeit lag auf der europäischen Dimension der Wahl. Ausschlaggebend für das Ergebnis sei aber der Frust über die schlechte Regierungsführung gewesen, sagt Zoran Nechev vom Institut für Demokratie in Skopje. Viele Menschen könnten etwa nicht reisen, weil fünf Jahre nach dem Namenwechsel nur noch Reisepässe mit der Aufschrift Nordmazedonien gültig seien, sich deren Ausstellung aber stark verzögere.
Verblasster Reformeifer
Die VMRO hat in dieser Hinsicht freilich auch keinen guten Leistungsausweis. Unter dem letzten Regierungschef der Partei, Nikola Gruevski, galt das Land als Musterbeispiel eines gekaperten Staats, der von einer korrupten Elite beherrscht und ausgeplündert wurde. Nach dem Machtwechsel setzte sich Gruevski nach Ungarn ab, um einem Korruptionsverfahren zu entgehen.
Die Sozialdemokraten waren 2017 als Reformkraft an die Macht gekommen, der man nicht nur im Streit mit Griechenland, sondern auch bei der Rechtsstaatlichkeit zutraute, Resultate zu erzielen. Der Reformeifer verblasste jedoch bald. EU-Vertreter kritisieren regelmässig die mangelnden Fortschritte beim Kampf gegen die Korruption. Dabei wird auch darauf hingewiesen, dass der Streit mit Bulgarien nicht das einzige Hindernis auf dem Weg nach Europa sei.
Daran hat auch die albanische Koalitionspartnerin der Sozialdemokraten, DUI, ihren Anteil. Die Partei war seit dem ethnischen Konflikt von 2001 an nahezu allen Regierungen beteiligt und verfügte lange über ein Machtmonopol in der albanischen Bevölkerung.
Bei den Wahlen am Mittwoch trat die albanische Opposition geeint an und errang 13 Sitze. Für die Einbindung der albanischen Minderheit ist der Wahlsieger Mickoski deshalb nicht auf die DUI angewiesen.