Die Erklärung aus Washington, der Angriff sei ein Versehen gewesen, glaubt in Serbien niemand.
Da, wo vor 25 Jahren die Bomben fielen, steht heute der Neubau des Konfuzius-Instituts in Belgrad. Eine Gedenktafel und Blumen erinnern an den amerikanischen Luftangriff auf die chinesische Botschaft am 7. Mai 1999. Drei chinesische Journalisten wurden durch den Abwurf von fünf «smart bombs» getötet, zwanzig Personen verletzt.
Präsident Xi Jinping hatte vor seinem zweitägigen Besuch in Serbien geschrieben, dass dieser «dreiste Akt» nicht vergessen werden dürfe. Das vergossene Blut seiner Landsleute verstärke aber «die eherne Freundschaft» mit Serbien. Entgegen den Erwartungen der lokalen Medien legte der Chinese aber keinen Kranz an dem Ort nieder.
Milosevic ausschalten, um den Krieg zu beenden
Der Vorfall ereignete sich während des 78 Tage dauernden Luftkriegs der Nato gegen Serbien, das mit den Bombardierungen zum Abzug seiner Truppen aus Kosovo gezwungen werden sollte. Die Luftangriffe töteten etwa 600 Zivilpersonen, die Schäden an der Infrastruktur des Landes waren gewaltig. Aber warum bombardierten die Amerikaner die chinesische Botschaft? Aus Versehen, heisst die Erklärung aus Washington.
Die Bomben hätten eigentlich dem Amt für Beschaffung und Nachschub des Verteidigungsministeriums gegolten, das sich in unmittelbarer Nähe der Botschaft befand und als militärisches Objekt ein legitimes Ziel war. Doch in Serbien glaubt das niemand. Eine interessante Theorie vertritt der bekannte aus Belgrad stammende Ökonom Branko Milanovic, der in den USA lebt: Gleich zu Beginn der Bombardierungen versuchte die Nato, den Präsidenten und obersten Kriegsherrn des Landes, Slobodan Milosevic, auszuschalten. Nach seinem Tod, so das Kalkül, würde der Widerstand im kriegsmüden Serbien schnell zusammenbrechen.
Also nahmen die Bomber zuerst die präsidiale Residenz im Villenviertel Dedinje ins Visier. Doch Milosevic war nicht zu Hause. Damals ging das Gerücht, er verstecke sich immer wieder an neuen Orten, in Spitälern und auch in den Botschaftsgebäuden befreundeter Staaten. Die Amerikaner bekamen den Tipp, dass er vom 7. auf den 8. Mai bei den Chinesen übernachte.
Das Risiko zuzuschlagen, so Milanovic, sei für Washington vertretbar gewesen. Wenn mit dem Tod des Präsidenten der Krieg schnell beendet würde, ginge die Rechnung auf. Sicher würde Peking gegen den Völkerrechtsverstoss protestieren. Aber wenn es Milosevic wirklich Unterschlupf gewährt hätte, wäre das auch peinlich für die Chinesen, und die Affäre bliebe begrenzt. Und schliesslich war das China von 1999 nicht die Grossmacht, die es heute ist. Doch es stellte sich heraus: Die Information war falsch und Milosevic woanders.
Alte Karten und kein Eintrag in der Datenbank
Eine andere Theorie hört man in Serbien oft: Eine Raketenbatterie der Fliegerabwehr hatte am 27. März einen amerikanischen Tarnkappenbomber F-117A über der Vojvodina abgeschossen. Die Überreste der Maschine wurden von der serbischen Armee sorgsam geborgen und den Chinesen übergeben. Diese lagerten sie in der Botschaft, um sie von dort nach Peking zu schicken. Chinesische Ingenieure sollten der amerikanischen Tarn-Technologie auf die Schliche kommen. Um das zu verhindern, so die These, seien die fünf Zwei-Tonnen-Bomben abgeworfen worden.
Weniger spektakulär ist schliesslich die Version, die eine amerikanische Delegation Mitte Juni 1999 der chinesischen Regierung vortrug. Bei der Zielerfassung hätten die Verantwortlichen auf veraltetes Kartenmaterial zurückgegriffen. Der Standort der Botschaft sei nicht in der Datei geschützter Objekte eingetragen gewesen, und die Double-Checks im Vorfeld der Operation seien nicht korrekt durchgeführt worden. Die Chinesen waren damit trotz Bitte um Entschuldigung nicht zu beschwichtigen. In den folgenden Jahren zahlte Washington mehrere millionenschwere Entschädigungen an Peking.
In Serbien hat diese Version der Geschichte keine Chance. Sie ist schlicht zu banal. Man traut dort den Amerikanern zwar manches zu. Aber nicht so viel Dilettantismus, der erst noch eine gute Verschwörungsgeschichte zunichtemacht.