In einem abgelegenen Ort im Jura brachten Frauen bis in die späten 1970er Jahre ihre unehelichen Kinder zur Welt. Oft gab man diese zur Adoption frei. In einem Film erzählen Betroffene ihre Geschichte.
Es war die Zeit, als es noch «gefallene Mädchen» gab: junge, ledige Frauen, die ungeplant schwanger wurden. Zum Beispiel Agnes G., die heute 76 ist.
Aufgewachsen in einer Bauernfamilie in der Ostschweiz, wurde Agnes nie aufgeklärt. Mit 16 erwartete sie ein Kind. Von dieser «Schande» durfte niemand erfahren, nicht einmal der Gemeindepräsident. Agnes musste aus dem Dorf verschwinden, und zwar möglichst weit weg. So bestimmten es ihre Eltern.
Sie schickten Agnes nach Belfond im Kanton Jura, wo sich ein Heim für ledige werdende Mütter befand. Der Weiler liegt in einer sanften Hügellandschaft, in der Nähe fliesst der Doubs. Einheimische sprachen nur von «la Kinderfabrik»: Von überall in der Schweiz reisten Frauen an, um hier ihre Kinder zu gebären, die es nicht geben durfte.
Zugewiesen wurden die Frauen, die oft minderjährig waren, von ihren Eltern, von Vormundschaftsbehörden, Ärzten, Pfarrämtern. Zwischen 1952 und 1978 kamen in Belfond 920 Kinder zur Welt. Meist wurden sie zur Adoption freigegeben.
Dass alles wohlorganisiert ablief, dafür sorgte die Leitung des Heims – die katholische Schwesterngemeinschaft Seraphisches Liebeswerk Solothurn.
Kindvater zahlte Schweigegeld
Agnes G. erzählt ihre Geschichte im Film «Né à Belfond – versteckt geboren» von Christa Miranda, der am Muttertag auf SRF ausgestrahlt wird. Er gibt Einblick in eine Praxis in der Schweiz, die wenig bekannt ist. «Man nahm mir mein Kind einfach weg», sagt Agnes. Dann bricht ihre Stimme ab. Die Zeit heile alle Wunden, heisst es. Doch es ist fast sechzig Jahre später, als die Erinnerung Agnes überwältigt.
Der schön komponierte Film geht dabei nicht nur dem Schicksal der «Mädchen-Mütter» nach. Er begleitet auch in Belfond geborene und zur Adoption freigegebene Kinder. Viele sind bis heute auf der Suche nach Antworten. Woher komme ich? Warum gab man mich fort?
Dazu gehört Nicole Wey. Wey kam gleich nach der Geburt in eine Pflegefamilie. Als Erwachsene konnte sie ihre leibliche Mutter ausfindig machen. Den Namen des Vaters wollte die Mutter lange nicht verraten. Er war ein verheirateter, vermögender Mann, der sich mit einem Schweigevertrag und 3000 Franken freigekauft hatte.
Kreuz über dem Wochenbett
Das Geburtshaus in Belfond steht heute leer. Die Kamera streift durch kahle Räume und Gänge, man stellt sich die Verlorenheit der Mädchen vor, die oft moralisch unter Druck gesetzt wurden, ihre Kinder wegzugeben – weil sie es nicht könnten, das Muttersein. Über den Metallbetten, wo sie die Kinder zur Welt brachten, hingen Kreuze.
Eine damals tätige Hebamme erzählt, wie die Babys, die zur Adoption kamen, nach der Geburt mit einem Tuch zugedeckt wurden. Weinte ein Neugeborenes, wurden die Betreuerinnen angewiesen: «Gebt ihm den Schoppen, und bringt es in ein weit entferntes Zimmer, damit die Mutter es nicht hört.»
Zum ersten Mal sprechen auch die christlichen Heimleiterinnen über jene Zeit. Sie tun es sichtlich ungern. Auf die Frage von Christa Miranda, ob man die Mütter auch einmal zu einer Adoption überredet habe, um die Nachfrage zu bedienen, sagt die heutige Oberin: Sie wolle «keine absolute Aussage» machen. Man habe einfach «gute Lösungen» für Mutter und Kind finden wollen.
Agnes G.s Geschichte endete halbwegs versöhnlich. Sie lernte ihre Tochter kennen, als diese 36 war. Nun besuchen sie gemeinsam Belfond. Den Ort, wo sie getrennt wurden, um sich wiederzufinden.
«Né à Belfond – versteckt geboren». Sonntag, 10 Uhr, SRF 1.