Der abtretende Direktor des Bundesamts für Verkehr, Peter Füglistaler, kritisiert die Finanzpolitik des Bundesrats. Die ungewohnt scharfe Kritik zeugt von Unruhe in Bundesbern.
14 Jahre lang führte Peter Füglistaler das Bundesamt für Verkehr (BAV). Im Sommer tritt er ab. Schon länger macht der Chefbeamte auf der Plattform Linkedin mit pointierten Stellungnahmen von sich reden. Meistens äussert er sich zum öffentlichen Verkehr – jener Branche, in der er den grössten Teil seines Berufslebens verbracht hat. Doch nun hat sich Füglistaler, der früher für die Eidgenössische Finanzverwaltung tätig war, in die Finanzpolitik eingeschaltet.
«Die Schuldenbremse wird immer mehr zum Fetisch», schrieb er unlängst auf Linkedin. Als Chefbeamter müsse man darauf jeweils frühmorgens fast schon ein Glaubensbekenntnis ablegen. Gemäss Füglistaler ist die Schuldenbremse zum verkappten Sparprogramm geworden: Der Bund prognostiziere seine Einnahmen alljährlich knapp. Um einen Voranschlag zu erreichen, der den Vorgaben der Schuldenbremse entspreche, müsse die Verwaltung sparsam budgetieren. Ende Jahr resultiere dann ein schöner Schuldenabbau.
Politik ist mehr als Arithmetik
In guten Zeiten kann der BAV-Direktor der Schuldenbremse durchaus etwas abgewinnen, da diese die Verwaltung und vor allem auch das Parlament diszipliniere. In Krisenzeiten brauche es jedoch politische Entscheide, wie der Staat die anstehenden Bedrohungen bewältigen könne. Wenn die Sicherheitslage eine Aufrüstung der Armee bedinge, könne der Klimawandel oder die soziale Realität nicht einfach ausgeblendet werden, schrieb Füglistaler. «Gute Politik ist mehr als nur Arithmetik.»
Er ging damit auf Distanz zur Finanzpolitik des Bundesrats. In dieser Schärfe kommt dies selten vor. Füglistaler ist Mitglied der SP. Die Rolle der Amtsdirektoren ist es jedoch nicht, Politik zu machen – auch wenn manche in der Bundesverwaltung als einflussreich gelten.
Seine Kritik brachte Füglistaler denn auch einen Rüffel durch seinen Vorgesetzten Albert Rösti (SVP) ein. Die Zeitungen von CH Media berichteten am Samstag, der Bundesrat habe sich den Chefbeamten zur Brust genommen. «Albert Rösti unterstützt die Einhaltung der Schuldenbremse als grundlegendes Prinzip der finanziellen Verantwortung des Bundes uneingeschränkt», hielt Franziska Ingold, die Sprecherin des Verkehrsdepartements, fest.
Drohende Milliardendefizite
Hintergrund von Füglistalers Polemik ist die angespannte Finanzlage des Bundes. Jahrelang waren es die Schweiz und zahlreiche Anspruchsgruppen gewohnt, dass für fast alles Geld vorhanden ist.
Doch die Party ist vorbei. Der Bund lebt über seine Verhältnisse: Für ein ausgeglichenes Budget fehlen ihm ab dem Jahr 2025 2 bis 4 Milliarden Franken. Der Bundesrat hat im März eine externe Arbeitsgruppe eingesetzt, die Serge Gaillard präsidiert, der frühere Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Sie soll darlegen, wie sich die absehbaren Defizite verhindern lassen. In einer Variante soll sie neben Ausgabenkürzungen auch Mehreinnahmen aufzeigen.
Der öffentliche Verkehr dürfte von den Kürzungen ebenfalls betroffen sein, etwa bei den Beiträgen an den regionalen Personenverkehr. Der Bund und die Kantone bestellen und subventionieren diesen. Der finanzielle bedeutendere Unterhalt und der Ausbau der Infrastruktur werden jedoch aus einem Fonds finanziert, wie auch bei der Strasse.
Die Mittel sind gebunden und damit der jährlichen Budgetberatung im Parlament entzogen. Das kann zu eigentümlichen Situationen führen. Beim letzten Ausbaupaket für die Strasse signalisierte Rösti dem Parlament, dass er mit einem weiteren Projekt in der Romandie gut leben könne – obwohl der Bund sparen muss. Das Parlament stockte das Paket auf, wie es dies auch bei der Bahn regelmässig tut.
Will der Bund im Verkehrsbereich substanziell sparen, sind wohl auch Kürzungen der Einlagen in die Fonds für die Strasse und die Schiene nötig. Das dürfte Füglistalers Polemik erklären. Schon heute ist klar, dass die Wunschliste der Kantone für den nächsten Bahnausbauschritt so umfangreich ist, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichen. Wie es weitergeht, sollte bis im Spätsommer klar sein, wenn Gaillards Arbeitsgruppe ihre Vorschläge präsentieren will.
Füglistaler wird mit der absehbaren Spardebatte bestenfalls noch am Rande zu tun haben: Er wird in zwei Monaten pensioniert. Der Chefbeamte hat keine disziplinarischen Folgen mehr zu befürchten. Auch im Ruhestand gedenkt er nicht, auf pointierte Stellungnahmen zu verzichten. «Ich habe so viel Spass an meinen Beiträgen auf der Plattform Linkedin, dass ich mich dort auch in Zukunft äussern werde», sagte er im April im Interview mit der NZZ.