Martin Scorsese und Francis Ford Coppola haben bei ihm gelernt. Er förderte Frauen und brachte Fellini auf die amerikanischen Leinwände. Mit 98 Jahren ist Roger Corman, eine der schillerndsten Figuren des US-Films, gestorben.
Ron Howard war nervös. An einem Tag im Jahr 1977 stand der spätere Oscar-Gewinner («A Beautiful Mind») am Set seines Regiedebüts und hatte schweissnasse Händen. Sein Produzent, der B-Movie-König Roger Corman, hatte ihm zwar ein für seine Verhältnisse durchaus passables Budget für die Blechschaden-Komödie «Grand Theft Auto» zugesichert. Aber es reichte hinten und vorne nicht.
Der Drehplan war zu eng, die Crew zu klein, und jetzt fehlte Howard auch noch das Geld, um mehrere hundert Statisten für eine Massenszene zu engagieren. Als Corman die Verzweiflung in den Augen seines jungen Protegés sah, legte er ihm sanft die Hand auf die Schulter, lächelte und sagte: «Ron, ich verspreche dir, wenn du bei diesem Film deine Sache gut machst, wirst du nie wieder für mich arbeiten müssen.» Er sollte recht behalten.
«Papst des Popkinos»
Anekdoten wie diese gibt es viele, wenn es um Roger Corman geht. Sie nährten die Legende um den sogenannten «Papst des Popkinos», der selbst gerne von sich behauptete, niemals einen Cent an einem Film verloren zu haben.
Hollywood-Grössen wie Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Peter Bogdanovich erzählten stets mit Respekt und Bewunderung, wie sie einst bei Corman ihr Handwerk auf die harte Tour gelernt haben. Auch der «Avatar»-Regisseur James Cameron hat bei ihm angefangen: Für den Star Wars-Verschnitt «Battle Beyond the Stars» assistierte der Autodidakt zu Beginn der Dreharbeiten in der Modellwerkstatt; am Ende war er als Art-Director für die im Film verwendeten Special Effects verantwortlich.
Dass Corman nicht lange zögerte, wenn er in seinem unmittelbaren Umfeld ein brauchbares Talent entdeckte, lag in seiner Natur. Der 1926 in Detroit geborene Sohn aus kleinen Verhältnissen hatte es von Anfang an eilig, im Leben voranzukommen. Zwar liess sich er sich, in die Fussstapfen seines Vaters tretend, zunächst an der Stanford University zum Ingenieur ausbilden. Doch schon nach ein paar Tagen im Job kündigte er und heuerte stattdessen als Laufbursche bei 20th Century Fox an, um seine Filmkarriere in die Wege zu leiten.
Nach einem Europaaufenthalt, bei dem er unter anderem in Oxford englische Literatur studierte, kehrte er 1953 nach Hollywood zurück. Kaum zwei Jahre später führte er praktisch gleichzeitig bei zwei B-Movie-Western sowie dem Science-Fiction Film «Day the World Ended» erstmals Regie.
Laszive Girls und launische Biker
Corman war ein Sprinter, kein Langstreckenläufer wenn es um die Umsetzung seiner Produktionen ging, die damals vor allem auf den unterversorgten Teenager-Markt abzielten. Als er erkannt hatte, dass die jungen Leute von Hollywood ignoriert wurden, begann er unter oftmals irrwitzigen Bedingungen Low-Budget-Filme mit Monstern und Mutanten, Geistern und Vampiren, lasziven Girls und launischen Bikern zu drehen und zu produzieren.
Die «Werke» trugen Namen «wie «Swamp Women», Creature from the Haunted Sea» oder «Night of the Blood Beast». Nicht selten entstanden sie ohne jede Drehgenehmigung und mit einer Handvoll von Darstellern, die etwa Cowboys und Indianer oder Erdbewohner und Marsmenschen gleichzeitig spielten. Was Cormans Quickies an Produktionswert fehlte, machten sie an Fantasie, Ideenreichtum und Vorstellungskraft wett.
1959 filmte er «A Bucket of Blood» mit einem Budget von 50 000 Dollar in fünf Tagen. Für «The Little Shop of Horrors» brauchte er nur noch 48 Stunden. Doch im Kopf war Corman immer schon beim nächsten Dreh. Nur so konnte er im Laufe seiner fast sieben Jahrzehnte überspannenden Karriere bei über 50 Filmen eigens Regie führen und über 500 Projekte selbst oder koproduzieren.
Die Kunst von Corman war nicht, dass er das Kino ständig neu erfand. Sein Genie lag darin, dass er das Mikro-Budget-Prinzip besser verstand als jeder andere. Er wusste seine Zielgruppe pausenlos und effektiv mit billiger Exploitation-Ware zu bedienen, produzierte hippe Unterhaltungsfilme, in die er neben jeder Menge Action, Sex, Gewalt und Humor stets auch eine Botschaft für die Kids hineinschmuggelte.
Klassiker mit Peter Fonda
«Aus Versehen machte Roger hin und wieder sogar einen guten Film», erinnert sich Jack Nicholson liebevoll, der fast ein Jahrzehnt lang in Cormans Talentschmiede schuftete. 1962 drehte Corman mit «The Intruder» einen der ersten und besten Filme, der sich ernsthaft mit der Rassentrennung in Amerika auseinandersetzte. Genre-Klassiker sind ausserdem seine poetisch-morbiden Edgar-Allen-Poe-Verfilmungen mit Vincent Price aus den sechziger Jahren sowie die Drogenrauschorgie «The Trip» und der Biker-Film «The Wild Angels» (beide mit Peter Fonda).
In Vielem war Corman seiner Zeit voraus: Er drehte Frauen-Western und förderte mehr als jeder andere US-Produzent weibliche Talente im amerikanischen Kino. Auch dass er in den 1970er Jahren mit seiner Produktions- und Verleihfirma New World Pictures die Werke bedeutender Autorenfilmer wie Ingmar Bergman, Federico Fellini oder Akira Kurosawa auf die Leinwände amerikanischer Autokinos brachte, war keine Selbstverständlichkeit.
Er war ein Multitasker und rasanter Problemlöser, der Lehrmeister des New-Hollywood-Kinos auf der einen und ein gewiefter Geschäftsmann auf der anderen Seite. Vor allem aber war Roger Corman bis ins hohe Alter ein wandelnder Widerspruch in sich selbst: Ein Mann mit dem Kopf eines Technikers, dem Look eines pensionierten Landarztes und dem Herzen eines Künstlers, der die Erschütterungen und zentrale Phänomene der Zeit mit seismografischem Feinsinn erfasste und in den Subtexten seines kurzlebigen Trash-Kinos zwischen Kunstblut und Pappmaschee-Monstern geschickt zum Ausdruck brachte. Auf eine Weise, wie nur er es konnte.
Nun ist Roger Corman im Alter von 98 Jahren in Santa Monica, Kalifornien gestorben.