Sowohl Delhi als auch Peking versuchen auf den Malediven an Einfluss zu gewinnen. Die neue maledivische Regierung könnte weniger China-freundlich sein als in Indien befürchtet.
Der Streit in diesem Frühling hatte fast absurde Züge, aber offenbarte doch etwas über die Geopolitik im Indischen Ozean. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte sich von seinem Fotografen am Strand der südindischen Insel Lakshadweep ablichten lassen. Mehrere Politiker der nahen Malediven machten sich über die Fotos lustig, es entbrannte ein Streit zwischen den Ländern, wer die schönsten Strände habe. Die Folge: diplomatische Spannungen und Aufrufe an indische Touristen, die Malediven zu boykottieren.
Der Grund, dass dieser Streit so schnell eskalierte, waren die Wahlen auf den Malediven. Bei dem Urnengang vergangenes Jahr wurde Mohamed Muizzu zum Präsidenten des Inselstaates gewählt. Er setzte im Wahlkampf auf eine aggressive «India Out»-Kampagne. Sein Vorgänger hatte stark von indischer Hilfe profitiert, Kritiker sprachen gar von indischer Einflussnahme auf den Malediven. Muizzu versprach, die Abhängigkeit von Indien zu reduzieren und die Stationierung indischer Truppen zu beenden – eine Handvoll indischer Soldaten betrieb ein Aufklärungsflugzeug auf einer der über tausend maledivischen Inseln.
Antrittsbesuch in Peking
Muizzus Kampagne weckte Befürchtungen, dass sich seine Regierung an eine andere Regionalmacht anlehnen wolle, die ebenfalls Interesse an einem Verbündeten mitten im Indischen Ozean hat: China. Peking und Delhi kämpfen schon seit langem um Einfluss in der Region – die Rivalität wird durch einen ungelösten Grenzstreit noch verschärft. Als wolle Muizzu seinen Kritikern recht geben, machte der neue Präsident kurz nach der Wahl einen Antrittsbesuch in Peking.
Muizzus Partei gewann auch die Parlamentswahlen Ende April. «Das ist eindeutig ein Schwenk der Malediven Richtung China. Indien hat eine klare Botschaft erhalten», sagt Dunya Maumoon, die von 2013 bis 2016 Aussenministerin der Malediven war und die Tochter des Langzeitpräsidenten Maumoon Abdul Gayoom ist.
Dieser hatte 2008 nach 30 Jahren an der Macht abgedankt. Seither schwenken die Malediven zwischen Indien und China hin und her. Gayoom hatte in den letzten Jahren zunehmend autokratisch regiert, war am Ende aber nach massiven Protesten freiwillig abgetreten. Seine Tochter sagt: «Viele Dinge änderten sich schlagartig, eines davon war unsere Aussenpolitik.» Verschiedene maledivische Regierungen hätten sich seither entweder an China oder an Indien angelehnt.
Beweise für das Hin und Her der vergangenen Jahre sind überall auf den Malediven zu finden. Das prominenteste Beispiel ist die Brücke, welche die Hauptstadt Male mit der Nachbarinsel verbindet, auf welcher der Flughafen liegt. Sie wurde 2018 als China-Malediven-Freundschaftsbrücke eröffnet. Es war die erste Brücke, die zwei Inseln der Malediven miteinander verbindet. Sie wurde vorwiegend mit Geld aus China finanziert.
Auch Indien hat in den vergangenen Jahren versucht, in den Malediven Brücken zu bauen. Die Thiamalé-Brücke soll nur wenige Minuten Fussmarsch von der chinesisch finanzierten Brücke entfernt entstehen und Male mit anderen Nachbarinseln verbinden. Die Brücke wird zu grossen Teilen aus Indien finanziert. Die indische Brücke befindet sich allerdings noch im Bau. Sie war ein Projekt von Präsident Muizzus Vorgänger. Der Bau soll weitergehen, und die Brücke soll in zwei Jahren eröffnet werden.
Keine Ideologie, eher Pragmatismus
Nicht alle teilen die Sorge, dass mit der neuen maledivischen Regierung auch Chinas Einfluss steigt. Ahmed Shaheed war von 2008 bis 2010 Aussenminister der Malediven und lehrt heute Menschenrechte an der Universität von Essex. Er sagt, die neue Regierung habe vor allem ein Problem: die leeren Staatskassen.
Die Malediven wollen ihre Infrastruktur weiterentwickeln, und das ist teuer. Der Antrittsbesuch in Peking sei ein Versuch des Präsidenten Muizzu gewesen, schnell Geld aufzutreiben, um Wahlversprechen zu erfüllen. «China hat in der Region den Ruf, am schnellsten Hilfe zu liefern. Ich glaube nicht, dass der Präsident ideologisch mit China verbunden ist, es ist eher Pragmatismus», sagt Shaheed.
Tatsächlich spricht Muizzu kaum mehr von «India Out». Stattdessen betonen er und seine Verbündeten ihre «Pro Malediven»-Agenda. Die Idee: einen Zwischenweg finden zwischen China und Indien.
«Keine maledivische Regierung kann überleben ohne gute Beziehungen zu allen», sagt Shaheed. Die Malediven bestehen zwar aus über tausend Inseln, die Bevölkerung beträgt aber nur eine halbe Million. Das Land benötigt Importe von freundschaftlich gesinnten Verbündeten. Zudem ist die Wirtschaft fast gänzlich abhängig vom Tourismus. Inder und Chinesen gehören zu den wichtigsten Touristengruppen.
Es sei nun an der neuen Regierung, klar in Peking und Delhi zu kommunizieren, dass man mit beiden zusammenarbeiten wolle, ohne eine Seite zu wählen, sagt Shaheed. Seine Nachfolgerin im Aussenministerium glaubt ebenfalls an einen dritten Weg zwischen den einflussreichen Regionalmächten. «Wir sind in eine Situation gekommen, in der der Machtkampf zwischen China und Indien in unserem Land ausgefochten wird, und das hilft uns am Ende nicht», sagt Maumoon. «Wir sollten klare Grenzen setzen.»