Schreib-Bots wie Chat-GPT treiben die Schulen um. Jetzt hat auch der nationale Lehrerverband ein Positionspapier dazu veröffentlicht. In dem Dokument versucht er zumindest, zuversichtlich zu sein.
Künstliche Intelligenz (KI) scheint im Schulwesen das Thema der Stunde zu sein. Lehrerinnen und Lehrer absolvieren Kurse und experimentieren dort mit Chat-GPT von Open AI, mit dem Chat-Bot Copilot von Microsoft oder mit «Chat with any PDF», einem KI-Programm, mit dem man auch ohne kostenpflichtiges Upgrade Dokumente hochladen und mit dem Bot darüber diskutieren kann.
Erfahrene Kollegen zeigen ihnen, was ein Prompt ist – eine Aufforderung an Chat-Bots, eine konkrete Frage zu beantworten oder ein Thema zu recherchieren – und dass man Chat-GPT zum Beispiel bitten kann, die Rolle einer literarischen Figur einzunehmen, mit der man sich dann unterhalten kann am Bildschirm. Schulleitungen passen die Richtlinien ihrer Schulen an oder denken zumindest darüber nach, dies zu tun.
Schülerinnen und Schüler versuchen, ihren Aufwand bei der Prüfungsvorbereitung und bei schriftlichen Arbeiten radikal zu verkleinern. Ein Lehrer eines Zürcher Gymnasiums sagte unlängst in einem Workshop: «Die Schüler lassen sich alles schreiben von Chat-GPT. Sie sind auch sehr fit im Umschreiben, damit der abgegebene Text wie ihr eigener klingt. Das haben wir viel zu spät gemerkt.»
Was also tun, wenn KI-Schreib-Maschinen immer weiter vordringen und es Lehrpersonen bei Texten immer schwerer fällt, zu unterscheiden, was sauber recherchiert und selber formuliert wurde und was nicht? Das fragen sich viele im Bildungswesen. Aber eigentlich weiss es niemand so genau.
Freut euch am Lernen!
Ideen gibt es indes reichlich. Der Digital Learning Hub des Kantons Zürich hat im April einen aktualisierten Leitfaden mit Empfehlungen für Lehrpersonen und Schüler publiziert. Der Schweizer Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) hat vergangene Woche seinerseits ein Positionspapier zu Risiken und Chancen von KI veröffentlicht, das durchaus zum Nachdenken anregt. Dort steht zum Beispiel: Lernen ist ein neurobiologischer, emotionaler Prozess: «Wenn Lernaufgaben an KI-Dienste delegiert werden, dann werden dadurch keine neuen neuronalen Verbindungen geschaffen.»
Insofern haben KI-Programme wie Chat-GPT den Lehrerinnen und Schülern eine neue Aufgabe zugewiesen: Sie sollten, schreibt der Lehrerverband, gemeinsam eine «vertiefte Diskussion zum Sinn von Lernprozessen, der Nutzung digitaler Werkzeuge, Plagiarismus und Urheberrecht führen». Es sei wichtig, dass Schülerinnen und Schüler «das Konzept der Redlichkeit anerkennen und Selbstwirksamkeit durch Eigenleistung erfahren». Mit anderen Worten: Sie sollen sich freuen können, wenn sie etwas selber erreicht haben beim Lernen.
Eingehend diskutieren sollen Lehrer laut LCH mit ihren Schülern auch, wenn diese etwas recherchiert und geschrieben haben: «Der Anteil nichtschriftlicher Leistungsnachweise kann erhöht werden.» Der Verband empfiehlt, bei grösseren Schülerprojekten die einzelnen Etappen höher zu gewichten als das Endprodukt. Zwischenschritte sollen von Jugendlichen präsentiert werden, individuelle Lernfortschritte der Jugendlichen sollen mehr zählen als die Note am Ende.
Die Idee dahinter: Eine enge Begleitung soll sicherstellen, dass die Schülerinnen und Schüler ihr Thema auch wirklich verstanden haben, da sie sich – ohne Hilfe von KI – vor dem Lehrer oder der Lehrerin immer wieder damit auseinandersetzen müssen. Automatisierte Chat-Bots versprechen schnelle Resultate. Diese Ausgangslage verlangt nach mehr klassischem Unterricht: mündlich, eins zu eins, im direkten Austausch zwischen Schülern, anderen Schülerinnen und Lehrern. Eigentlich eine schöne Vorstellung.
Das Problem: Für Lehrerinnen und Lehrer bedeuten solche Formate einen erheblichen Mehraufwand – genauso wie mündliche Prüfungen, die KI-Cracks unter den Schülern gehörig ins Schwitzen bringen sollen, falls sie ihre Bücher nicht gelesen oder ihre Texte nicht selber geschrieben haben. Dessen ist sich auch der Lehrerverband bewusst. Seine Antwort darauf: Dieser Mehraufwand müsse in den Pensen der Lehrpersonen angemessen berücksichtigt werden.
Neue Aufgaben wären also mit neuen Kosten verbunden, eine bekannte Schwachstelle des Bildungssystems.
Ungleiche Chancen im Klassenzimmer
Mit der KI-Nutzung kommt auch ein weiteres Problem auf die Schulen zu. Programme wie Chat-GPT kennen eine Gratis-Version und eine kostenpflichtige Version. Quellen hochladen und weitere hilfreiche Funktionen für den Unterricht sind bei vielen Anbietern nur mit der Bezahlversion möglich. Das könnte für ungleiche Chancen im Klassenzimmer sorgen, wenn der Bot der einen Schüler mehr kann als jener der anderen.
Und wenn er zu viel kann, ist es nach Lesart des Schweizer Lehrerverbands auch nicht gut: Schreib-Bots wie Chat-GPT seien in der Lage, komplexe Texte von hoher Qualität zu erstellen, schreibt der Verband in seinem Positionspapier. Diese Fragmente kritisch zu betrachten und dann inhaltlich-sprachlich-textlich weiterzuentwickeln, sei eine schwierige Aufgabe, welcher schwächere Schüler nicht gewachsen seien.
Christian Hugi, der Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV), formuliert es so: «Schülerinnen und Schüler sollten auf jeden Fall weiterhin selber schreiben und lesen – sonst sind sie gar nicht in der Lage, einen fertigen Text einer KI zu beurteilen.»
Hugi lässt durchblicken, dass sich Schülerinnen und Schüler sehr für künstliche Intelligenz interessieren, selbst auf der Unterstufe, auf der der ZLV-Präsident unterrichtet. Dieses Interesse sollten die Lehrer nutzen. Es wäre eine Chance – auch wenn der nationale Lehrerverband in seinem Positionspapier eher die Risiken hervorhebt und KI als potenzielle Gefahr für die direkte Demokratie (wegen Fake News) und für die Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen bezeichnet.