Die massiven Zollerhöhungen der USA auf Elektroautos und anderen Produkten aus China sind aus ökonomischer Sicht zweifelhaft und bremsen die Klimapolitik. Doch auch die EU dürfte bald mit Zusatzzöllen folgen.
Exporte sind gut, Importe sind schlecht, ein Aussenhandelsdefizit ist besonders schlecht: Das ist ein verbreitetes Bauchgefühl unter Politikern – im Gegensatz zu den Ökonomen. Der amerikanische Ex-Präsident und neuerliche Kandidat Donald Trump ist ein besonders prägnantes Beispiel. In seiner Sicht ist der Handel ein Nullsummenspiel: Der eine gewinnt, der andere verliert – und die Inlandproduzenten sind vor der bösen Auslandskonkurrenz zu schützen.
Auch der derzeitige US-Präsident Joe Biden zählt zu den Protektionisten – besonders im laufenden Wahlkampf. Seine am Dienstag verkündeten Zollerhöhungen auf bestimmten Produkten aus China haben die neuste Runde im Handelskonflikt der Grossmächte eingeläutet. Die Zollerhöhungen sind massiv: Elektroautos von 25 auf 100 Prozent; Halbleiter von 25 auf 50 Prozent; Stahl und Aluminium von 0 bis 7,5 auf 25 Prozent; Spezialbatterien für E-Autos von 7,5 auf 25 Prozent, Solarzellen von 25 auf 50 Prozent; bestimmte medizinische Produkte von 0 bis 7,5 auf 25 bis 50 Prozent; Spezialkräne für die Abfertigung von Schiffen von 0 auf 25 Prozent.
Die WTO interessiert nicht
Die deklarierte Begründung für die Zollerhöhungen: China subventioniere seine Industrie und überschwemme den Weltmarkt mit künstlich verbilligten Produkten. Im Prinzip können Einfuhrzölle zur «Kompensation» von ausländischen Subventionen gemäss den globalen Handelsregeln der Welthandelsorganisation (WTO) zulässig sein; Voraussetzung dafür ist der Nachweis solcher Subventionen und der schädlichen Folgen für die inländische Wirtschaft. Die USA foutieren sich aber um die WTO-Regeln. Das Weisse Haus war auch dreist genug, in seiner Mitteilung zu den Strafzöllen gleichzeitig die «unfairen» Handelspraktiken Chinas zu kritisieren und sich selber für die massiven eigenen Subventionsprogramme zugunsten des US-Produktionsstandorts auf die Schultern zu klopfen.
Nach massiven Zollerhöhungen eines grossen Marktes ist mit Handelsumleitungen zu rechnen. Die US-Zollerhöhungen haben in Europa denn auch rasch Befürchtungen geweckt, dass Europa nun noch stärker in den Fokus von chinesischen Exporteuren geraten dürfte. Die EU glaubt eher noch an internationale Regeln als die USA. Sie dürfte bald ebenfalls zusätzliche Importzölle auf chinesische E-Autos beschliessen, doch dies soll formal gemäss den WTO-Regeln geschehen. Zurzeit erhebt die EU einen Zoll von 10 Prozent auf chinesischen E-Autos.
Wahlkampf auch in der EU
Die schon lange vor dem jüngsten US-Entscheid lancierte Untersuchung der EU-Kommission zu Chinas Subventionen von E-Autos ist formal noch nicht abgeschlossen. Die Untersuchung umfasst im Prinzip die ganze Wertschöpfungskette von den Rohstoffen über Batterien bis zum Endprodukt. Äusserungen der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen lassen mutmassen, dass es bald zu Zusatzzöllen kommen wird. Auch von der Leyen steckt in einer Art Wahlkampf: Im Juni sind die Wahlen für das EU-Parlament, und die Kommissionspräsidentin will eine weitere Amtszeit an der Spitze der EU-Exekutive.
Mit einem Zoll von 100 Prozent ist in der EU aber kaum zu rechnen. Eine solch massive Importschranke würde chinesische E-Autos wohl faktisch vom EU-Markt ausschliessen und liesse sich kaum mit WTO-Regeln rechtfertigen. Laut Marktbeobachtern haben die Chinesen gegenüber den Europäern bei den E-Autos einen Preisvorteil von etwa 20 bis 30 Prozent; die EU sprach von 20 Prozent. Laut einer Marktprognose von Ende März könnte heuer bereits jedes vierte verkaufte E-Auto in Europa aus China stammen. Die Frage ist aber, wie viel vom chinesischen Preisvorteil auf die im Vergleich zu Europa höheren chinesischen Subventionen zurückzuführen ist. Eine restlos saubere Abgrenzung ist angesichts der Vielzahl möglicher direkter und indirekter staatlicher Unterstützungsmassnahmen nur schwer zu machen.
Bei den E-Autos dürften zumindest kurzfristig die Folgen des US-Zusatzzolls begrenzt sein, denn der Marktanteil der Chinesen in den USA ist gering – vor allem als Folge des schon bisher bedeutenden Importzolls von 25 Prozent. Zu diesem Schluss kam am Mittwoch auch eine Analyse des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Doch die Beschlüsse der US-Regierung und die noch kommenden EU-Beschlüsse zu Zollerhöhungen auf chinesischen Produkten inspirieren wahrscheinlich Gegenmassnahmen von Peking.
Deshalb ist in Europa die Begeisterung für Importzölle gegenüber der China-Konkurrenz selbst in der Autoindustrie nicht einhellig. Vor allem Deutschland hat vor einer Eskalation des Handelsstreits einiges zu befürchten: Laut einer Analyse von 2023 ist Chinas Markt für grosse deutsche Autobauer sehr bedeutend. Französische E-Autos sind dagegen in China kaum präsent. Frankreichs Regierung hat deshalb viel weniger Hemmungen als Deutschland, in Brüssel Druck für EU-Strafzölle gegen China auszuüben.
Klimapolitik auf dem Rücksitz
Die Ironie ist nicht zu übersehen: Die EU und die USA reden in der Sonntagsschule seit langem über den grünen Umbau der Wirtschaft, doch billige E-Autos aus China, die diesen Umbau beschleunigen könnten, will man nicht. Sollte sich Europa nicht einfach bei den chinesischen Steuerzahlern für die Subventionierung der EU-Klimapolitik bedanken? Die typische Antwort in Brüssel auf diese Frage: Man könne nicht zuschauen, wie in Europa Tausende von Arbeitsplätzen verschwinden und China in zukunftsträchtigen Industrien eine Dominanz mit Abhängigkeiten schaffe.
Der Gedanke von Ausgleichszöllen ist in der Theorie nachvollziehbar. In der Praxis kommen aber erschwerende Faktoren hinzu: die Gefahr von Retourkutschen mit zusätzlichem Schadenspotenzial, die Reduktion des Innovationsdrucks bei der einheimischen Industrie sowie die sehr durchlässige Grenze zwischen gerechtfertigter Ausgleichsmassnahme und schlichtem Protektionismus zugunsten politisch einflussreicher Branchen.
Durchzogene Resultate
2023 kam ein Überblick von fünf US-Ökonomen über die Forschungsliteratur zu einer früheren Eskalation des Handelsstreits USA-China (2018/19) zu einem ernüchternden Schluss: Die Hauptlasten trugen die Konsumenten auf beiden Seiten, und die Zusatzzölle drückten in beiden Ländern die realen Einkommen. 2021 ortete eine Analyse aus Schweden über EU-Ausgleichsmassnahmen von 2008 bis 2015 ebenfalls Preiserhöhungen als Folge, aber keine positiven Effekte bei den mutmasslich geschützten Produzenten in der EU.
Ein durchzogenes Bild zeigte die umfassende Analyse des Peterson-Instituts aus Washington über die US-Industriepolitik von 1970 bis 2020. Das Papier enthält unter anderem detaillierte Fallstudien zu Zollschutzmassnahmen für vier Industriesektoren; laut der Studie waren die Zölle in drei der vier Fälle gemessen an den deklarierten Zielen Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze als Misserfolg zu betrachten.
Wie weit die chinesische Subventionierung der Industrie erfolgreich ist, bleibt derweil unklar. Diese Woche lieferte eine Analyse des Brüsseler Denkinstituts Bruegel erfolgreiche und weniger erfolgreiche Fallbeispiele. Eine Studie von 2022 durch drei Forscher aus den USA und China fand derweil wenig Belege dafür, dass die chinesische Industriepolitik in erster Linie Gewinnerindustrien unterstütze.