Die Schweiz müsse irreguläre Einreisen reduzieren, dafür die humanitäre Aufnahme erhöhen, sagt der niederländische Soziologe Ruud Koopmans: «Das Problem ist nicht, dass wir zu viel Zuwanderung haben, sondern die falsche.»
Herr Koopmans, Grossbritannien will ab Juli die ersten Asylbewerber nach Rwanda ausfliegen und damit Migranten davon abschrecken, ins Land zu kommen. Kann dieses Konzept funktionieren?
Im Moment ist noch unklar, ob die britische Justiz die Abschiebungen tolerieren wird. Wenn die Richter die Einsprachen im grossen Umfang gutheissen sollten, dann scheitert der Plan. Doch wenn das Verfahren die juristischen Hürden nimmt, dann wird es mit hundertprozentiger Sicherheit ein Erfolg. Das zeigt die Erfahrung von Australien. Australien hat Bootsmigranten konsequent nach Papua-Neuguinea und Nauru abgeschoben. Innert sehr kurzer Zeit sind die illegalen und lebensgefährlichen Überfahrten nach Australien fast vollständig zum Erliegen gekommen.
Kann man von Australien so einfach auf Grossbritannien schliessen?
Durchaus, in Grossbritannien wird das sogar noch besser funktionieren. Die Leute, die nach Grossbritannien wollen, konnten ihr Asylgesuch schon in Frankreich oder in einem anderen Land stellen. Viele haben es auch getan und wurden abgewiesen. Sie wollen nach Grossbritannien, weil sie dort Familie haben oder bessere Chancen auf Arbeit oder wegen der Sprache. Wenn sie wissen, dass sie am Ende in Rwanda landen, wird sich niemand mehr auf die gefährliche Reise über den Ärmelkanal machen.
Zur Person
Ruud Koopmans, Professor für Migrationsforschung
Ruud Koopmans, geboren 1961 im niederländischen Uithoorn, beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Migration, Integration und Islamismus. 2013 erhielt er eine Professur für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität in Berlin. Koopmans ist Autor zahlreicher Bücher und Fachartikel. Im letzten Jahr erschien sein Buch «Die Asyllotterie», in welchem er die europäische Asylpolitik scharf kritisiert und für Tausende von Toten verantwortlich macht.
Irland beklagt sich schon jetzt, dass vermehrt Migranten ins Land kommen. Ist damit zu rechnen, dass sich der Strom verlagert?
Es kann sein, dass mehr Personen versuchen, unentdeckt nach Grossbritannien und auf dem Landweg nach Irland zu gelangen. Das wird das Problem für Grossbritannien gleichwohl lösen. Und den Druck auf die anderen Länder erhöhen, ähnliche Lösungen zu suchen.
Italien will einen Teil der Asylverfahren künftig in Albanien durchführen. Beurteilen Sie die Erfolgschancen ebenso positiv wie beim Rwanda-Abkommen?
Anders als aus Rwanda ist es für Migranten deutlich einfacher, aus Albanien weiterzureisen und über die Balkanstaaten nach Österreich, in die Schweiz oder nach Deutschland zu gelangen. Das Albanien-Abkommen funktioniert also nur, wenn die anderen europäischen Staaten mitmachen und die Weiterreise nicht tolerieren. Das heisst, sie müssen Asylsuchende, die von Italien nach Albanien gebracht wurden und die sich abgesetzt haben, wieder dorthin zurückschicken und Albanien als sicheren Drittstaat anerkennen.
Auch in der Schweiz stösst das britische Rwanda-Abkommen auf Interesse. Glauben Sie, dass ein solches Konzept für ein kleines Land wie die Schweiz, mitten in Europa, realistisch wäre?
Im Prinzip schon, das britische Modell ist auch für die Schweiz interessant. Dänemark hat ähnliche Pläne mit Rwanda, und wenn Grossbritannien das Vorhaben durchzieht, wird Dänemark es wahrscheinlich auch tun. Die Schweiz könnte ihre Anziehungskraft auf jene Asylsuchenden, die in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen ins Land kommen, drastisch reduzieren, wenn sie klarmacht: Ihr habt zwar einen Schutzanspruch, doch dieser wird nicht in der Schweiz verwirklicht, sondern in einem Drittstaat.
Im Schweizer Parlament wird darüber diskutiert, ob man ein Transitabkommen mit einem Drittstaat schliessen soll, um abgewiesene Asylsuchende aus Eritrea zurückzuführen. Das Abkommen müsste wohl eine Rückübernahmeklausel vorsehen für den Fall, dass der Drittstaat die Eritreer nicht innert einer gewissen Zeit in ihre Heimat überführen kann. Was halten Sie davon?
Das wird nicht funktionieren. Es ist nicht anzunehmen, dass dem Drittstaat die Rückschaffung der Eritreer gelingt, deshalb müsste die Schweiz die Leute früher oder später wieder zurücknehmen. Eritreer könnten also weiterhin damit rechnen, dass sie in der Schweiz bleiben dürfen, ein Transitabkommen würde auf sie nicht abschreckend wirken.
Rwanda kann nicht die Lösung sein für ganz Europa. Welches andere Land käme als sicherer Drittstaat infrage, mit dem man ein solches Abkommen schliessen könnte?
Wenn wir bei Afrika bleiben: Ghana und Senegal sind stabile demokratische Länder, das wären sicher Kandidaten. Ausserhalb von Afrika könnte man zum Beispiel an Georgien denken. Doch die Welt ist gross, es gibt keine geografischen Grenzen für eine Drittstaaten-Lösung, vor allem nicht für die Schweiz. Für die EU-Mitgliedsländer – ausgenommen Dänemark, das sich eine Sonderlösung ausbedungen hat – ist es schwieriger. Für sie gilt nämlich die Regel, dass ein sicherer Drittstaat nur ein Land sein kann, zu dem der Asylbewerber eine Beziehung hat. Rwanda fällt da als Drittstaat schon einmal weg. Diese Einschränkung gilt für die Schweiz nicht.
Welche Interessen hätte ein Land wie Ghana, Senegal oder Georgien, sich als Drittstaat anzubieten und Asylsuchende aus der Schweiz zu übernehmen?
Bei armen Ländern wie Rwanda kann man sich die Zusammenarbeit mit Geld erkaufen. Doch Länder wie Ghana, Georgien oder Senegal befinden sich in einer besseren Situation. Sie lassen sich für die Aufnahme von Asylsuchenden nur dann gewinnen, wenn man ihnen sozusagen in gleicher Münze etwas zurückgibt. Sie sind stark abhängig von Migration und davon, dass die Auswanderer Geld zurückschicken. Die Schweiz müsste den Ländern also zusichern, dass sie – vielleicht im selben Umfang, wie sie Asylsuchende und Migranten aus der Schweiz aufnehmen – ihrerseits Arbeitsmigranten schicken können.
Wer würde entscheiden, welche Leute kommen?
Die Schweiz sollte bestimmen, wen sie braucht, also zum Beispiel Pflegekräfte, Bauarbeiter oder andere Berufsleute, die auf ihrem Arbeitsmarkt gefragt sind. Aber die Drittstaaten sollten auch sagen können, dass bestimmte Berufsgruppen nicht infrage kommen, weil man davon selbst zu wenige hat. Am Ende muss für die Drittstaaten und deren Bevölkerung etwas drinliegen, sonst werden sie nicht mitmachen. Das war wohl auch der Fehler in der Vergangenheit: Man versuchte einzig über Geld oder über den Druck auf die Entwicklungshilfe die Zuwanderung zu reduzieren, ohne den Ländern ein Angebot für die gesteuerte Migration zu machen.
Wenn man gleich viele Personen wegschickt, wie man neue aufnimmt, würde die Zuwanderung nach Europa aber nicht zurückgehen.
Sie muss auch nicht unbedingt zurückgehen. Wenn man sich die Demografie anschaut und den Mangel an Arbeitskräften, dann sieht man, dass Europa auch in Zukunft auf Migranten angewiesen sein wird. Doch die Zuwanderung muss gesteuert werden. Das Problem ist nicht, dass wir zu viel Zuwanderung haben, sondern die falsche. Wir haben keine Kontrolle darüber, wann wie viele Leute kommen und ob es jene sind, welche die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration in der Schweiz oder in Deutschland mitbringen. Das führt dazu, dass sehr viele Migranten die bestehenden Probleme verschlimmern und das Sozialsystem belasten, anstatt einen positiven Beitrag zu leisten.
Nehmen wir ein Beispiel: Die Schweiz trifft mit Georgien eine Vereinbarung, dass sie abgewiesene Asylsuchende dorthin schicken kann und im Gegenzug eine bestimmte Zahl an georgischen Arbeitskräften aufnimmt. Welches Interesse hätte Georgien daran, Berufsleute im besten Alter in die Schweiz zu schicken, sozusagen im Tausch gegen schlecht zu integrierende Asylbewerber?
Das wäre tatsächlich nicht der richtige Weg. Es kann nicht darum gehen, dass die Schweiz nur ihre Problemfälle in ein anderes Land auslagert. Das Entscheidende bei den Drittstaaten-Abkommen ist es, den Anreiz für die irreguläre Migration zu beseitigen. Man muss den Leuten klarmachen: Jeder, der aus bestimmten Herkunftsländern in die Schweiz einreist, wird in einen Drittstaat gebracht und wird dort das Asylverfahren durchlaufen. Dann werden kaum noch Leute kommen, und dann ist die Last für den Drittstaat relativ gering. Ich verweise hier nochmals auf die Erfahrung, die Australien gemacht hat. Papua-Neuguinea und Nauru mussten nur wenige Leute aufnehmen, weil die Abschreckung funktionierte und praktisch niemand mehr irregulär nach Australien einreiste.
Dieses Konzept kann aber nur dann funktionieren, wenn alle europäischen Staaten mitmachen. Sonst bleibt der Anreiz bestehen, übers Mittelmeer nach Europa zu kommen – und illegal weiterzureisen.
Ich glaube nicht. Die Schweiz könnte das sehr gut alleine machen. Es würde dazu führen, dass die Menschen, die bisher in die Schweiz gekommen sind, auf andere Länder ausweichen. Der Migrationsdruck auf Europa würde dadurch zwar nicht signifikant reduziert, weil die Menschen genügend andere Optionen hätten. Aber für die Schweiz würde es funktionieren: Wenn die Leute wissen, dass sie in ein Drittland gebracht werden, sobald sie in die Schweiz gehen, werden sie das nicht mehr tun. Die Schweiz wäre als Zielland nicht mehr attraktiv.
Aber ist das von einem moralischen Gesichtspunkt her vertretbar?
Ja, denn jede Person, die in der Schweiz ein Asylgesuch stellt, ist über einen sicheren Drittstaat eingereist und hätte dort ein Gesuch stellen können. Sie hat selbst die Wahl getroffen, dies nicht zu tun, oder wurde dort als Flüchtling bereits abgelehnt. Ich hielte es nicht für unmoralisch, wenn die Schweiz sagen würde: Wir reduzieren die irregulären Einreisen, erhöhen aber gleichzeitig die humanitäre Aufnahme von besonders gefährdeten Personen im Rahmen von Visa- und Resettlement-Programmen.
Macht man sich mit einem Drittstaaten-Abkommen nicht enorm abhängig von den Regierungen in den jeweiligen Ländern?
Nein, denn wenn ein Drittstaat die Aufnahme von Asylsuchenden plötzlich verweigert, könnte die Schweiz ihrerseits die Tür für die vereinbarte Aufnahme der regulären Arbeitsmigranten schliessen. Das dürfte die Bevölkerung in Senegal, Ghana, Georgien oder wo auch immer kaum akzeptieren, dann hätten die Regierungen dieser Länder ein innenpolitisches Problem.
Es kann aber sein, dass es zu einem Regierungswechsel kommt und die Verhältnisse plötzlich ganz anders sind. Was dann?
Von einem einzigen Land abhängig zu sein, ist nie gut, das macht einen erpressbar. Deshalb würde ich jedem europäischen Land raten, solche Abkommen mit mehreren Ländern zu schliessen. Grossbritannien sollte sich also auf die Suche nach weiteren Partnern machen, mit denen es eine Vereinbarung wie mit Rwanda treffen kann.
Sie haben ein vielbeachtetes Buch geschrieben, in dem Sie die heutige Asylpolitik als Lotterie bezeichnen. Weshalb kommen Sie zu diesem Schluss?
Das Asylregime ist für die Menschen gedacht, die am meisten Schutz benötigen. Doch fast die Hälfte der Personen, die unter diesem Titel nach Europa kommen, haben keinen Anspruch auf Asyl. Und jene, die am Ende Asyl erhalten, sind eine ausgewählte Gruppe: überwiegend junge Männer, die genügend Geld haben, um die Menschenschmuggler zu bezahlen. Es ist eine Art von darwinistischer Lotterie: Um überhaupt nach Europa ins Asylsystem zu gelangen, muss man einen sehr gefährlichen Weg gehen und Leib und Leben riskieren. Das schaffen nur die Fittesten.
Sie schreiben, dass das Asylwesen heute mehr Menschenleben fordere, als es rette. Können Sie das erklären?
Auf dem Weg nach Europa sind in den letzten Jahren Zehntausende von Menschen gestorben. Über 25 000 Menschen sind im Mittelmeer ertrunken. Hinzu kommen die Tausende von Opfern, die auf Zufahrtsrouten in der Sahara umgekommen sind. Es gibt Schätzungen, wonach dort doppelt so viele Leute sterben wie im Mittelmeer. Das sind gewaltige Zahlen. Dagegen retten wir kaum einen Syrer oder Afghanen vor dem Tod. Die meisten von ihnen haben sich in Sicherheit gebracht, bevor sie nach Europa gekommen sind. Syrer beispielsweise leben teilweise jahrelang in der Türkei. Es gibt eine grosse Ausnahme, bei der Europa wirklich viele Menschen retten konnte – nämlich nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine.
Die Schweiz kannte früher das Botschaftsasyl. 2012 wurde es aufgehoben, weil die Schweiz das einzige Land in Europa war, das diese Möglichkeit noch vorsah. Wäre das Botschaftsasyl nicht ein Weg, um die Lage zu verbessern und es auch Frauen, Alten und Armen zu ermöglichen, vor Ort ein Asylgesuch zu stellen?
Es wäre eine sehr schlechte Idee, das Botschaftsasyl einzuführen, ohne gleichzeitig die irreguläre Migration wirksam zu reduzieren, sei dies mit Abkommen zur Auslagerung von Asylverfahren oder mit Rückübernahmeabkommen. Denn dann würde man bloss einen zusätzlichen Kanal schaffen, der den Migrationsdruck in keiner Weise verringern würde. Zudem müssten die Botschaften die Arbeit von Asylbehörden erledigen. Das würde sie schnell überlasten, und die Leute müssten sehr lange Zeit warten, bis sie einen Asyltermin bei der Botschaft erhielten. Aus meiner Sicht kann das Botschaftsasyl nicht die Lösung sein.
Welche anderen Wege gibt es, den besonders Schutzbedürftigen zu helfen, ohne dass sie sich auf die gefährliche Reise nach Europa machen müssen?
Die Schweiz stellt humanitäre Visa aus für Personen, die unmittelbar verfolgt sind. Hier ist sie grosszügiger als die anderen europäischen Länder. Dieses Instrument sollte man behalten und die Anforderungen allenfalls etwas lockern. Der Königsweg für mich ist es, die Schutzbedürftigen über die Resettlement-Programme aus den Flüchtlingslagern zu holen. Das geschieht in Zusammenarbeit mit dem Uno-Flüchtlingshochkommissariat. Man nimmt diese Personen auf und bietet ihnen eine Zukunft. Wenn die Schweiz es schaffen würde, die irreguläre Migration über Drittstaaten-Abkommen zu reduzieren, dann könnte und sollte sie im Gegenzug die Zahl der Resettlement-Flüchtlinge deutlich erhöhen.
Die Schweiz würde die Flüchtlinge also nur noch direkt vor Ort aussuchen und übernehmen.
Genau. Auf diese Weise könnte sie die ungerechte und letztlich tödliche irreguläre Asylmigration ersetzen durch ein legales und sicheres Modell. Und sie hülfe jenen, die am meisten Schutz bedürfen, und nicht wie heute den jungen privilegierten Männern. So kann die Schweiz ihre humanitäre Tradition stärken.
Wie meinen Sie das?
Das Uno-Flüchtlingshochkommissariat hat Zugang zu den Flüchtlingslagern in Jemen, um nur ein Beispiel zu nennen. Menschen aus Jemen schaffen es in den meisten Fällen nicht nach Europa, obwohl die Lage dort katastrophal ist. Der Grund dafür ist ganz einfach: Es gibt keinen begehbaren Weg nach Europa. Die Schweiz könnte also sagen: Wir sorgen in Zusammenarbeit mit Drittstaaten erfolgreich dafür, dass die irreguläre Migration stark zurückgeht. Wir nehmen im Gegenzug während fünf Jahren jedes Jahr 2000 Menschen aus Jemen auf. Damit wären 10 000 Leute gerettet, die sich in einer der schlimmsten Krisenregion der Welt aufhalten und keine Chance auf Flucht haben. Genau dafür ist das Asylwesen eigentlich gedacht.
Geht das europäische Asylrecht heute zu weit? Braucht es auch eine Änderung bei der Genfer Flüchtlingskonvention oder in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte?
Das halte ich nicht für notwendig. Die Genfer Flüchtlingskonvention schreibt nicht vor, dass Flüchtlinge frei wählen dürfen, in welchem Land sie Asyl erhalten. Sie verbietet es auch nicht, Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen. Das hat übrigens auch der Gerichtshof für Menschenrechte im Falle des Abkommens zwischen Rwanda und Grossbritannien nicht getan. Er hat das Abkommen zwar als rechtswidrig beurteilt. Doch nur, weil er zu dem Schluss gekommen ist, in Rwanda sei nicht garantiert, dass die Asylverfahren fair abliefen und keine Menschen in Verfolgerstaaten zurückgeschickt würden. Es ging also um die Frage, ob Rwanda der richtige Partner für ein solches Abkommen ist.
Und ist es das aus Ihrer Sicht?
Da sind Zweifel nicht unberechtigt: Rwanda hatte vor rund zehn Jahren ein ähnliches Abkommen mit Israel geschlossen. In diesem Rahmen hat es Menschen zurück in Verfolgerstaaten geschickt. Rwanda hat sich damals also nicht an das internationale Recht gehalten. Ob es Grossbritannien geschafft hat, bessere Garantien zu erhalten und bessere Kontrollmechanismen zu etablieren, wird sich erst zeigen.
Die EU will ihre Asylpolitik verschärfen, die Aussengrenzen abriegeln und die Verfahren beschleunigen. Wird das funktionieren?
Nicht ohne Abkommen mit Drittstaaten. In der EU hat man aber erkannt, dass solche Verträge notwendig sind. Die EU hat Libanon soeben Milliardenbeträge in Aussicht gestellt, die in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales eingesetzt werden sollen. Im Gegenzug unterstützt Libanon die EU bei der Bekämpfung der irregulären Migration. Solche Gespräche finden mit verschiedenen Staaten statt, wobei mir allerdings ein Aspekt zu kurz kommt.
Nämlich?
Die EU versucht die Drittstaaten einseitig dazu zu bringen, die Leute davon abzuhalten, überhaupt nach Europa zu gelangen. Man macht diese Länder damit zu einer Art Türsteher. Darin sehe ich eine gewisse Aushöhlung der humanitären Verpflichtungen Europas. Es fehlt das Versprechen, dass, wenn das Zurückdrängen der irregulären Migration zum Beispiel von Libanon nach Zypern gelingt, die EU im Gegenzug eine gewisse Zahl von Flüchtlingen über Kontingente in die EU aufnimmt. Gegenüber einem Land wie Libanon, das im Verhältnis zu einer relativ kleinen einheimischen Bevölkerung sehr viele Flüchtlinge aufgenommen hat, sehe ich uns da in der Pflicht.
Bisher war der Widerstand gegenüber Reformideen, wie Sie sie vorschlagen, gross. Wer sind die grössten Bremser?
Es gibt Interessengruppen, die von dem ungerechten System in Europa profitieren, beispielsweise die Asylanwälte. Sie wären die Verlierer, wenn die Fluchtmigration reguliert würde. Auf den ersten Blick gehören auch die Flüchtlingsorganisationen dazu. Allerdings könnten diese auch in einem neuen System eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise bei der Auswahl von Menschen in Resettlement- oder Visa-Verfahren. Ein Teil der Flüchtlingsorganisationen müsste also zu gewinnen sein.
Und wer bremst in der Politik?
Die Migrationspolitik ist enorm aufgeladen. Und sie ist sowohl links als auch rechts ein wunderbares Mittel, um die eigenen Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.
Und Ihr Konzept – weshalb muss es rechte Wählerinnen und Wähler überzeugen?
Weil dadurch die Kontrolle über die Flüchtlingsströme zurückgewonnen wird und wir das Problem von nicht schutzberechtigten, aber nicht abschiebbaren irregulären Migranten beseitigen – inklusive der Kriminalitätsprobleme, die sich gerade in dieser Gruppe häufen.
Und die Linke?
Sie sollte sich darüber freuen, dass wir mehr Menschen, die am meisten Schutz brauchen, helfen können, indem wir Flüchtlinge auf eine regulierte Art und Weise aufnehmen. Ziel ist es nicht, die Migration zu reduzieren, sondern sie zu kontrollieren. Wäre die Linke ehrlich, würde sie eingestehen, dass das heutige System ungerecht und unmenschlich ist. Wer es verteidigt, nimmt billigend in Kauf, dass die Kontrolle der Migrationsströme über Pushbacks, Schlepperbanden und die natürlichen Hindernisse im Mittelmeer und in der Sahara geschieht. Das sind die wahren Gründe dafür, dass nicht noch viel mehr Menschen nach Europa kommen. Es wäre deshalb dringend notwendig, die Migration endlich auf eine menschliche Art zu steuern.