Beim Heimspiel in Imola geht Ferraris Teamchef Fred Vasseur in die Offensive. Bei der Scuderia geht’s endlich aufwärts, auch wenn zum Idealbild noch ein paar Puzzleteile fehlen.
Für viele mag der Grosse Preis der Emilia-Romagna an Pfingsten nur der Start in das zweite Viertel einer Mammutsaison der Formel 1 sein. Für das gastgebende Team im Autodromo Enzo e Dino Ferrari wird es aber zu einem echten Neustart – eine Probe aufs Exempel vielleicht sogar, ob Ferrari tatsächlich auf Dauer den Spitzenreiter Red Bull Racing herausfordern kann.
Der Beginn der Europarennen ist oft der Anlass, die Autos technisch aufzurüsten. Das werden fast alle in Imola tun, aber die Scuderia Ferrari will es nicht allein bei Neuteilen belassen. Der Teamchef Fred Vasseur strebt die Generalüberholung des ganzen Rennstalls an. Er fordert eine radikal veränderte Mentalität.
Der Franzose weiss, dass er im zweiten Jahr auf dem roten Schleudersitz liefern muss, und in den ersten Monaten der Saison ist ihm das bereits gelungen. Erst wirbelte er mit dem Transfer von Lewis Hamilton 2025 nach Maranello die ganze Szene auf, dann gelang es Carlos Sainz jr., Red Bull einen Sieg abzujagen. Vasseur ist ein Meister des Understatements, er nahm die Erfolge scheinbar unbeeindruckt hin. Dabei scheint Ferrari endlich wieder auf dem Weg zurück nach oben zu sein, auch wenn zum Idealbild noch ein paar Puzzlestücke fehlen.
Bei Mercedes wichtige Leute abgeworben
Die sucht sich der gern im Hintergrund agierende Prinzipal gerade zusammen. Seinem Freund, dem Mercedes-Teamchef Toto Wolff, jagte er den leitenden Ingenieur Loic Serra ab, dazu mit Jérôme d’Ambrosio noch den designierten stellvertretenden Teamchef. Diesen Job soll der Belgier nun am Ferrari-Kommandostand bekommen. Dort gibt es einen weiteren Wechsel, denn Vasseur hat auch Xavi Marcos ausgetauscht, den Renningenieur von Charles Leclerc. Marcos hatte in den Strategiedebatten über Funk häufig glücklos gewirkt, und dabei zu jenem Eindruck eines organisierten Chaos beigetragen, den die Ferrari-Führung unbedingt hinter sich lassen will.
Zum grossen Glück fehlt Vasseur nun nur noch Adrian Newey. Seit einem Abendessen mit dem Ausnahme-Designer, der sich beim letzten Rennen offiziell vom Formel-1-Einsatzteam bei Red Bull verabschiedet hat, gibt es bisher keine weiteren Neuigkeiten. Der Brite spricht davon, zuerst mal die freie Zeit bis zum endgültigen Vertragsende im Frühjahr 2025 geniessen zu wollen. Vielleicht käme ihm unter der Dusche dann der Gedanke, was er mit 65 noch tun könne. Das klingt nach Verschleierungstaktik, und darin sind Newey wie Vasseur gleichermassen gewieft. Die Sache kann sich noch hinziehen, es kann aber auch ganz schnell gehen.
Chancen in der Formel 1 verfliegen oft schnell, weshalb Ferrari jetzt die Gunst der Stunde nutzen muss. Bis auf 0,351 Prozent sind die roten Rennwagen im Schnitt der Rundenzeiten an Red Bull herangekommen, die Aufholjagd trägt also Früchte. Aber das gesamte Feld ist im dritten Jahr des Reglements enger zusammengerückt, schon hat McLaren mit einem Upgrade und dem anschliessenden Sieg in Miami seine Ansprüche auf die Spitze angemeldet. Dass weiss auch Vasseur, zumal ihm sein Lieblingsschüler Leclerc ins Stammbuch geschrieben hat: «Das Rennjahr wird von Upgrades abhängen, Imola wird den Rest der Saison für uns definieren.» Daher wird sich die Bolide dem heimischen Publikum an acht Stellen entscheidend verändert präsentieren.
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— Chicane (@chicanept) May 7, 2024
Der Teamchef Fred Vasseur sagt: «Ich will etwas riskieren»
Den entscheidenden Unterschied aber sieht Vasseur, eher ein Mann der Evolution denn der Revolution, woanders. Nach den Umstrukturierungen sei die Stimmung im Rennstall nun entspannt. Aber zu ruhig darf es seiner Meinung nach auch nicht werden: «Ich will etwas riskieren, weil unsere Konkurrenten grössere Risiken eingehen. Bei Red Bull gehört das zur DNA. Ich versuche, die Kultur von Ferrari in diese Richtung zu drängen, überall ein bisschen aggressiver zu sein.»
Das ist eine weit anspruchsvollere Aufgabe als technische Herangehensweisen zu kopieren. Denn Red Bull geht tatsächlich in allen Bereichen ans Limit – ein Rennstall, der aus nichts als Herausforderung besteht. Das taugt zum grossen Vorbild.
Der Kehraus nach den zögerlichen Jahren unter seinem Vorgänger Mattia Binotto ist Vasseur auch gelungen, weil er als Aussenseiter in den bisweilen nach eigenen Gesetzen funktionierenden Ferrari-Kosmos eingetaucht war. Das Klima der Angst, das zu ängstlichen Entscheidungen geführt hatte, ist innert eines Jahres verflogen. Der 55-Jährige möchte die Vergangenheit nicht kopieren, aber er rechnet vor, dass sich bei einer risikolosen Vorgehensweise zwar jeder wohl fühle, am Ende aber drei bis vier Zehntel auf der Strecke fehlen.
Red Bull soll aus der Komfortzone getrieben werden
Es geht also nicht mehr nur ums Aufholen, es geht um Angriff. «Wenn wir Red Bull aus der Komfortzone treiben, können auch ihnen Fehler unterlaufen», ahnt Vasseur, «dann müssen wir da sein». Im letzten Jahr habe man es dem Spitzenreiter in dieser Hinsicht viel zu leicht gemacht. Da war die Scuderia aber auch noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, patzte in der Strategie, die Kommunikation stimmte oft nicht.
Der ganz grosse Game Changer sei das neue Paket für Imola vielleicht noch nicht, versucht Vasseur zu relativieren. Aber vielleicht jener kleine Schritt, der noch fehle, um künftig bei jedem Rennen mit Max Verstappen kämpfen zu können. Was es dafür braucht, ist Konstanz. 2022, beim letzten Gastspiel in Imola, war Charles Leclerc als WM-Leader angereist, warf dann aber sein Auto bei der Jagd auf Red Bull in die Reifenstapel – es war damals die Wende zugunsten von Verstappen.
We can’t wait to see all the Tifosi in Imola this week! 🫶#ImolaGP 🇮🇹 #F1 pic.twitter.com/SRK92KG9Cz
— Scuderia Ferrari HP (@ScuderiaFerrari) May 14, 2024