Die Schweizer verlieren beim 2:3 gegen Kanada im sechsten Spiel zum ersten Mal. Fialas Strafe im Mitteldrittel bringt die Wende. Der Gruppensieg liegt nicht mehr in Reichweite.
Es gehört zu den festen Ritualen der Eishockey-Weltmeisterschaft, dass sich die teilnehmenden Teams einen Song aussuchen dürfen, der eingespielt wird, wenn sie einen Treffer erzielen. Lo & Leducs Lied mit dem «Tüüfu im rote Chleid» hatte die Schweizer vor elf Jahren an der WM in Stockholm bis zur WM-Silbermedaille getragen. 2018 in Kopenhagen begleitete ein 11-jähriger Jodler aus den USA namens Mason Ramsey die Schweizer zur nächsten Silbermedaille.
Nun, in Prag, legt der Song «Richi» von der Stubete Gäng den akustischen Teppich zum Schweizer Torjubel. Im Song heisst es unter anderem: «Alli sind am schreie. All am gumpe, all am tanze, de Klub isch am bebe.»
Die Zeilen passen zur Atmosphäre in der O2-Arena in Prag und haben das Potenzial, die Schweizer an diesem Turnier noch weit zu tragen. Das Team des Nationalcoachs Patrick Fischer spielt bis anhin wie aus einem Guss.
Doch im sechsten Gruppenspiel gegen den Titelverteidiger Kanada gab es den ersten Dämpfer im Turnier. Schon in der erste Minute erhielt der Verteidiger Christian Marti wegen eines hohen Stocks eine Strafe. Dylan Cozens nutzte das und brachte die Kanadier mit dem ersten Schuss in Führung. Und vorübergehend musste man sich Sorgen um die Schweizer machen. In diesen ersten Minuten spielten nur die Kanadier.
Fischers Ärger über das Strafmass: «Für mich war das ein normaler Check»
Doch es gehört zur Reife dieses Teams, dass es sich auch aus schwierigen Situationen zu befreien weiss. Das war bereits im Gruppenspiel gegen Österreich so, als die Schweizer trotz ungenügender defensiver Leistung einen Weg zum Sieg fanden. Diesmal glich Kevin Fiala beim ersten Ausschluss der Kanadier nach einer mustergültigen Kombination über Roman Josi und Nico Hischier die Partie wieder aus. Es war bereits der vierte Treffer des Ostschweizers, der unmittelbar vor der WM erstmals Vater geworden war.
Kevin Fiala ties it up for Switzerland on the power play! #MensWorlds pic.twitter.com/g62iBSveJZ
— TSN (@TSN_Sports) May 19, 2024
Im Torsong der Stubete Gäng heisst es auch: «De Richi, de Richi, de Richi weiss nid wie.» Völlig falsch, die Schweizer wussten durchaus, wie. Vom Ausgleich an war die Partie eine andere. Die Schweizer übernahmen das Spieldiktat. Getragen von der Atmosphäre in der Arena, begannen sie das junge kanadische Team zu dominieren und zu ärgern. Es war ihre beste Phase in der intensiven, attraktiven Partie.
Wie sehr sie den Kanadiern unter die Haut gingen, zeigte sich Mitte des Matchs, als die ihrem Frust mit einer zunehmend unsauberen Spielweise Luft zu verschaffen versuchten. Das gipfelte in der 27. Minute in einer Massenkeilerei. Vorausgegangen war der Szene ein Kniecheck von Kevin Fiala, nach dem das Spiel für den ersten Schweizer Torschützen vorzeitig zu Ende war.
Tensions are high between Canada and Switzerland!👀
Kevin Fiala is given a game misconduct for this hit on Dyaln Cozens.#MensWorlds pic.twitter.com/DC1vnfb7in
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Der Moment erwies sich rückblickend als Schlüsselszene und sorgte auch für Ärger auf Schweizer Seite. Fischer war mit dem Verdikt nicht einverstanden. «Für mich war das ein normaler Check.» Mit weiteren Konsequenzen für Fiala rechnet der Coach nicht. Die waren schon so gross genug. Kanada nutzte die Fünfminutenstrafe gegen Fiala für zwei Treffer und die Wende im Match. Sven Andrighetto hatte während derselben Strafe die Gelegenheit, den Schaden mit einem verwerteten Penalty im Rahmen zu halten, scheiterte aber am kanadischen Torhüter.
Die Luft war danach draussen. Im letzten Drittel plätscherte die Partie mehr oder weniger ereignislos dahin. Kanada musste nicht, die Schweiz konnte nicht mehr reagieren. Selbst bei einem kanadischen Ausschluss kam Fischers Team zu keiner echten Ausgleichschance mehr. Zwei Minuten vor Schluss nahm Fischer den Torhüter Leonardo Genoni zugunsten eines sechsten Feldspielers vom Eis. Es war ein letzter verzweifelter Versuch, dem kein Erfolg beschieden war. Einzig ein Schuss von Roman Josi strich noch gefährlich über das Tor.
Der Schweizer Star war erneut die dominierende Figur im Schweizer Team. Doch so viele Freiheiten wie in den Partien zuvor genoss er nicht mehr. Die Kanadier, die Josi aus der NHL zur Genüge kennen, schränkten seine Kreise wirkungsvoll ein. «Ich hatte nicht mehr so viel Raum», sagte der Berner nach dem Match.
Für den Viertelfinal nach Ostrava
Die sogenannten Special Teams in den Spielsituationen in Über- und Unterzahl waren schliesslich entscheidend. Die Kanadier erzielten alle ihre Treffer aus dem Powerplay heraus. Bei numerischem Gleichstand sind die Schweizer an diesem Turnier seit mittlerweile vier Partien ungeschlagen.
Es ist eine alte Weisheit: Eishockeyspiele entscheidet man nicht auf der Strafbank. Zumindest nicht zu den eigenen Gunsten. Das 2:3 gegen Kanada ist erst die vierte Niederlage der Schweizer an den letzten drei Weltmeisterschaften, und sie sorgt auch dafür, dass sie die Gruppenphase erstmals seit 2021 nicht als Erster beenden.
Das 2:3 ändert allerdings nichts an der Viertelfinalqualifikation, welche das Minimalziel für die Schweizer war. Die sicherten sich die Schweizer mit dem 8:0-Sieg am Samstag gegen Dänemark. Gleichzeitig steht seit dem Sonntag fest, dass sie die Kanadier nicht mehr überholen können. Weil die Tschechen als Gastgeber das Turnier so oder so in Prag fortsetzen werden, müssen sie für die Viertelfinals den Weg ins 340 Kilometer entfernte Ostrava unter die Räder nehmen. Das spiele keine Rolle, sagte Fischer. «Wir konzentrieren uns auf unser Spiel.»
Wer im Viertelfinal der Gegner sein wird, steht noch nicht fest. Wohl entweder die USA oder erneut Deutschland. Gegen diese beiden Teams waren die Schweizer in den vergangenen zwei Jahren im Viertelfinal jeweils gescheitert. Eine erneute Niederlage gegen das erstarkte deutsche Team würde den Nationalcoach Fischer unter enormen Druck setzen. Doch so weit ist es noch nicht. Vorerst wartet am Dienstag zum Abschluss der Gruppenphase der Vergleich mit den Finnen (20 Uhr 20), die noch um die Viertelfinalqualifikation kämpfen müssen. Die zweite WM-Woche verspricht viel Spannung.