Bildungsgutscheine, die es allen Schülern ermöglichen, eine Grundschule auszuwählen, sind auf dem Vormarsch. Doch in Deutschland und der Schweiz ist der Widerstand gross. Dabei widerlegt gerade das schwedische Beispiel viele Befürchtungen.
Die obligatorische Volksschule gilt zu Recht als historische Errungenschaft. Im Einwandererland Argentinien beispielsweise hat ihre Einführung Anfang des 20. Jahrhunderts dazu geführt, dass die Zahl derjenigen, die nicht ordentlich lesen und schreiben konnten, innerhalb von wenigen Jahrzehnten von 78 auf 7 Prozent gefallen ist. Das zentralisierte Bildungssystem förderte eine nationale Identität. Doch inzwischen hat sich auch seine Kehrseite gezeigt: Es ist anfällig für Indoktrination und Vereinnahmung durch die Politik.
Kehrtwende in den USA seit der Pandemie
Unter den Peronisten wurden die Schulen von Regierung und Lehrergewerkschaften zu wirtschafts- und leistungsfeindlichen Stätten des Populismus und der Indoktrination umfunktioniert. Wie der argentinische Bildungsspezialist Martin Krause an der dem Thema gewidmeten 18. Haberler-Tagung in Vaduz ausführte, hat das Bildungssystem zum ökonomischen Niedergang Argentiniens beigetragen: Statt eigenständiges Denken lernten die Schüler Klassenkampf. Die Regierung des liberalen Javier Milei will das nun mit einer Stärkung unabhängiger Schulen wieder ändern.
Weltweit hat laut Unesco-Daten der Anteil der Primarschüler, die in privaten Schulen unterrichtet werden, zwischen 1980 und 2022 von 8 auf 19 Prozent zugenommen; im sekundären Bildungswesen ist ihr Anteil von 19 auf 27 Prozent gestiegen. Treiber waren dabei Privatschulen in Entwicklungsländern.
In den USA herrschte lange Skepsis gegenüber Bildungsgutscheinen. Doch seit Staatsschulen in der Pandemie sehr lange geschlossen blieben, gibt es eine Kehrtwende. Zehn Gliedstaaten kennen laut Neil McCluskey, dem Direktor des Center for Educational Freedom am Cato Institute, inzwischen solche Systeme, das liberalste wurde gerade in Arizona eingeführt. Im Vordergrund steht oft die Absicht, den Eltern eine Wahl zu geben zwischen verschiedenen – religiös oder säkular geprägten – Weltanschauungen. McCluskey ist überzeugt, dass der intensivierte Wettbewerb dafür sorgt, dass die Kinder in allen Grundschulen lesen, schreiben und denken lernen, aber eine gewisse ideologische Bandbreite gesellschaftliche Spannungen eher verhindert als schürt.
Leistungsfeindliche Inklusion in der Schweiz
In Deutschland und der Schweiz steht der Glaube an die universale Integrationsleistung der Staatsschule bis anhin mehr Wettbewerb entgegen. Mit traurigen Folgen, die die freie Publizistin und Autorin des Bildungs-Blogs «Condorcet», Claudia Wirz, anprangert. Trotz rekordhohen Ausgaben pro Kopf schnitten ein Viertel der schweizerischen Schülerinnen und Schüler im letzten Pisa-Test beim Lesen leistungsschwach ab und nur 9 Prozent leistungsstark. Obwohl sich die durchschnittlichen Ergebnisse im internationalen Vergleich noch sehen lassen, sind sie über die Zeit schwächer geworden.
Schuld daran seien nicht die Schüler oder die Lehrer, sondern die Bildungsbürokratie und die Politik, sagt Wirz. Mit verfehlten reformpädagogischen Ansätzen hätten diese das Schulversagen regelrecht herbeigeführt. Eine leistungsfeindliche Anbetung der Chancengleichheit zerstöre das Leistungsethos und setze Inklusion und Gleichmacherei über den Bildungsauftrag der Schule. Da in der Schweiz eine freie Schulwahl fast nur über einen Wohnortswechsel möglich ist, kann der Wettbewerb kaum korrigierend eingreifen.
Positive Erfahrungen in Schweden
Dass es auch anders geht, zeigt Schweden. Dort wurde ein stark zentralisiertes System, bei dem die Kosten ausser Kontrolle gerieten und die Schüler wie in der Schweiz Klassen zugeteilt wurden, ersetzt durch eines, das seit 1992 Bildungsgutscheine vergibt und Schüler und ihre Eltern frei zwischen den öffentlichen Gemeindeschulen und unabhängigen, privaten Schulen wählen lässt. Schulen müssen vorgegebene Mindestanforderungen erfüllen und, solange sie Platz haben, Kinder akzeptieren. Sie dürfen seit 1998 über den Wert des Bildungsgutscheines hinaus keine Gebühren erheben.
Seit Einführung des Voucher-Systems hat die durchschnittliche Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler auch in Schweden leicht abgenommen. Das schwedische Experiment wird von manchen deswegen als Beweis dafür angeführt, dass Wettbewerb und Bildungsgutscheine ihren Zweck nicht erfüllten. Doch das sei eine Fehlinterpretation, betont der an der Stockholm School of Economics lehrende Erik Lakomaa. Der Rückgang habe vielmehr mit der starken Einwanderung von ausserhalb Europas zu tun. Korrigiere man für den sozioökonomischen Hintergrund, so hätten Schüler in unabhängigen Schulen am Ende der Grundschule signifikant bessere Mathematikkenntnisse; der Unterschied entspreche ungefähr einem Unterrichtsjahr. Und die Ergebnisse der in Schweden geborenen Schüler seien im internationalen Vergleich in den Top 3.
Allerdings zeigen die schwedischen Erfahrungen, dass Anpassungen Zeit brauchen. Die meisten Eltern schicken ihre Kinder auch heute noch einfach in die am nächsten gelegene Schule.
Am Anfang gründeten sich in Schweden viele unabhängige Grundschulen mit zu geringer Grösse. Teilweise wurden sie von Eltern gegründet, nachdem die staatliche vor Ort geschlossen worden war. 1997 betrug die durchschnittliche Zahl der Schüler 56, inzwischen ist sie auf 216 angestiegen. Erfolgreich sind jedoch vor allem professionelle, gewinnorientierte Anbieter, die mehrere Schulen betreiben und Grössenvorteile nutzen können. Das hat zu höherer Kosteneffizienz auch in den staatlichen Schulen geführt.
Gute Schulen sind schneller gewachsen. Und weder haben private Schulen laut Lakomaa «zu gute» Noten vergeben, noch haben sie die gesellschaftliche Segregation verstärkt. Aber Schüler und ihre Eltern können in Schweden unabhängig von finanziellen Überlegungen entscheiden, welche Schule ihnen zusagt. Schulen profitieren davon, wenn sie verbreitet als gut angesehen werden. Es ist schwer einzusehen, wieso die Bürgerinnen und Bürger in den deutschsprachigen Ländern nicht mündig genug sein sollen, um eine ähnliche Wahlfreiheit zu geniessen.