Die Berner gewinnen zum sechsten Mal seit 2018 die Schweizer Fussballmeisterschaft. Sie tun dies ohne Glanz, die Klubführung legt in der Personalführung nicht nur Meisterstücke vor. Aber das reicht, weil andere Klubs aus der Spur geraten sind.
YB ist Champion und das, was der FC Basel zuvor gewesen ist: Dominator der Liga, Vorbild, Machtfaktor, eine gesellschaftliche Grösse in Bern und ein ökonomisches Schwergewicht im Schweizer Klubfussball. Alles gut in Bern? Jubelt und frohlocket?
Nicht ganz. YB kämpfte sich durch eine von Problemen begleitete Saison. Die Mannschaft hat an Identifikations-Potenzial und Ausstrahlung verloren. Das lässt sich an Personen ausserhalb von Bern ablesen, die lange nachdenken und zögern, wenn sie nach einem auffälligen YB-Spieler gefragt werden.
Da ist kein aufsteigender Nationalspieler mehr wie Fabian Rieder, kein Rockstar wie Guillaume Hoarau, keine Tormaschine wie Jean-Pierre Nsame, keine langjährige Teamstütze wie Christian Fassnacht. YB hat im letzten Jahr zahlreiche Spieler transferiert und etliche Millionen eingenommen. Aber der Klub tut sich schwer mit der Erneuerung und der Fluktuation, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass der stete Spielerwechsel Teil eines Schweizer Geschäftsmodells ist und immer Unwägbarkeiten birgt.
YB ist trotz Schwächesymptomen vorzeitig Meister. Aber warum eigentlich?
Der Servette FC leistet sich administrative Anfängerfehler
Die Antwort auf diese Frage muss zwingend bei der Konkurrenz beginnen, die einmal mehr die Gunst der Stunde nicht zu nutzen vermochte. Der Servette FC flösste den Bernern immerhin so viel Angst ein, dass diese sich Anfang März als Tabellenführer bemüssigt sahen, sich vorzeitig vom Trainer Raphael Wicky zu trennen. Doch Servette trat nicht lange als Schreckgespenst auf.
Die Genfer, die bis in die Achtelfinals der Conference League vorstiessen, im Schweizer Cupfinal stehen und ungewöhnlich viel Kraft brauchten, mussten wegen ihres knappen Kaders und wegen administrativen Anfängerfehlern (keine Lizenz für neue Spieler) Abstriche machen. Sie schlitterten just in dem Moment in eine Niederlagenserie, in dem YB von Furcht geplagt war.
Vom Rest drehte der FC Lugano zu spät auf, stürzte der FC Basel als exorbitante Drehscheibe für Spielertransfers und mit zwei Trainerwechseln in ungeahnte Tiefen ab, zerlegte sich der FC Zürich auf dem mit harter Hand geführten Weg in die Zukunft gleich selbst, gewöhnten sich der FC St. Gallen und der FC Luzern und ihr treues Publikum in ewig gleichen Gewässern ans lauwarme Mittelmass, ist der entwurzelte Grasshopper-Club unter chinesischer und amerikanischer Führung zum Abstiegskandidaten mutiert.
Die YB-Maschine läuft, andere Maschinen stottern
Eine Person, die früher für YB in leitender Funktion tätig war, sagte in burschikoser Art über den sich anbahnenden Berner Titel: «Die Konkurrenz ist zu schlecht und zu dumm.» Kurz: Die Konkurrenz spielte vor und hinter den Kulissen für YB, für den Klub, der in der Hauptstadt-Region dem SC Bern den Rang des Lokalfürsten entrissen hat. YB wirkt wie eine grosse Maschine, die läuft und läuft. Und läuft. Und wenn sie einmal nicht mehr gut läuft, genügt sie immer noch, weil andere Maschinen stottern.
Die Resultate stellen der Chefetage ein blendendes Zeugnis aus. Im Transferwesen alles richtig gemacht und dazu die Kasse gefüllt, den Trainer gewechselt, die Spieler bei Laune gehalten. Alles gut? Nein.
In den letzten Wochen sagten Spieler vor Kameras, dass die Mannschaft keine einfache Zeit hinter sich habe. Die Young Boys trennten sich nach einem ausufernd langen Prozess des Schweigens Anfang März als Tabellenführer vom Trainer Wicky. Und sie lieferten auch mit seinem Nachfolger Joël Magnin unerklärlich mässige bis schlechte Spiele ab.
Im Fall Wicky lassen Stimmen aufhorchen, die darauf hinweisen, dass es unter dem YB-Dach während Monaten zu einem argen und schliesslich ausserordentlich ermüdenden Kompetenzgerangel gekommen sein soll. Wicky war 2023 Meister und Cup-Sieger geworden, er stiess in die Champions League vor und liess in dieser immerhin Roter Stern Belgrad hinter sich.
Der Sportchef entfremdete sich vom Trainer Wicky
Das alles reichte nicht, zumal Wicky die auch in den Medien geschürte Kritik am Spielstil nie abzuschütteln verstand. Als YB in der Europa League gegen Sporting Lissabon ohne Chance blieb und Anfang März im Schweizer Cup beim FC Sion ausschied, bilanzierte die NZZ: «Da ist eine Mannschaft zum Erliegen gekommen.»
Filip Ugrinic, der zu jener Zeit dynamischste Spieler, verletzte sich bei einem Torschuss. Aurèle Amenda spielte nach seinem angekündigten Millionentransfer nach Frankfurt in einigen Partien so, als würde ihm die Bundesliga in den Kopf steigen und die Sinne vernebeln. Auf der Goalie-Position wurde Anthony Racioppi nach ein paar schlimmen Abspielfehlern das Vertrauen entzogen, nachdem er Anfang der Saison zulasten von David von Ballmoos noch nur Nummer 1 befördert worden war.
Die Resultat-Krise milderte zudem das Gefühl von Aussenstehenden nicht, wonach Wicky und die vom Sportchef Christoph Spycher geprägte YB-Führung nicht mehr richtig zusammenfinden und sich Ende Saison ohnehin trennen würden. Spieler gehen, Spieler kommen, Interessen verändern sich. Und plötzlich merkt der Trainer, dass die ganz oben es ganz gut fänden, wenn auf der Position x nicht der Spieler y, sondern der neue Spieler z zum Einsatz käme.
Da geht es um Signale ans Personal, um Transferwerte, ums Schaufenster, um Vertrauen, um Misstrauen, um Förderung, um Verabschiedungen.
Der Fall Jean-Pierre Nsame ist komplex
Der Stürmer Jean-Pierre Nsame behauptete nach seiner Ausmusterung, dass er in gewissen Momenten in den Augen Wickys erkannt habe, dass dieser auch fremdbestimmt sei. Nicht nur, aber auch. YB gängelt den Trainer? Nsame ist mit seiner Mutmassung nicht allein. Zur Erinnerung: Hier wird YB verhandelt, nicht der FC Zürich und dessen Sportchef, der frühere Spieleragent Milos Malenovic, der im Zürcher Klub den Trainern detaillierte Aufstellungen diktieren soll.
Der Bruch mit Nsame ist komplex, von Missverständnissen durchsetzt und belastet wie die Zäsur mit Wicky das Zeugnis der für den Sport zuständigen YB-Führung. Natürlich sind Gespräche mit einem fordernden Spieler wie Nsame und dessen Berater nicht einfach. Sie können Verantwortungsträger auf die Palme bringen. Trotzdem: Der aufreibende Fall Nsame ist weder ein Meisterstück des Spielers noch der YB-Chefetage.
Obschon: Rückblickend lag der Klub aus YB-Sicht richtig, Nsame den Abgang zum Servette FC zu verweigern. Dass die Genfer ihren besten Torschützen Chris Bedia mitten in der Saison in die Bundesliga ziehen liessen und nicht ersetzten, gilt als kleiner Baustein des YB-Titels.
Via Nsame sandte Spycher in Bern das Signal aus: Keine Personalie wird auf einen Thron gehievt. Oder in seinen Worten, auf die sich wandelnden Ansprüche des Spielers bezogen: «Es kann nicht sein, dass jemand das Gefühl hat, er sei irgendwo – und der Rest der Gruppe an einem anderen Ort.» Der Satz steht für die Eindämmung eines möglichen Personenkults.
Spycher hat Einfluss wie seinerzeit Heusler in Basel
Der Berner Spycher ist im YB-Konstrukt über die Jahre in eine Machtposition aufgestiegen, die mit jener von Bernhard Heusler in den erfolgreichen Basler Jahren zu vergleichen ist. Spycher war nach seiner Karriere als Fussballer zuerst Talentmanager, wurde 2016 mitten in einer Klub-Misere Sportchef, war seit 2022 Delegierter des Verwaltungsrats und stieg Anfang 2024 zum YB-Teilhaber auf. Mit diesem Schritt band die Besitzer- und Geldgeber-Familie Rihs Spycher «strategisch in die Unternehmung ein», wie sie in einem Communiqué schreiben liess.
Mit anderen Worten: Mehr Einfluss kann man fast nicht haben, auch wenn es nur eine Minderheitsbeteiligung ist. Trainer- und Transferentscheide laufen massgeblich über Spycher. Auch wenn das der Klub gegen aussen manchmal anders verkaufen will. Der 46-Jährige ist das Gesicht des YB-Erfolgs. Es gibt Leute in Bern, die mit Vehemenz bei zwei Personen kein Prozent Kritik zulassen: Da geht es um Kuno Lauener, den Leader der Band Züri West. Und um Spycher, den YB-Leader.
Die von Spycher angeführte YB-Crew hat abermals Vieles richtig gemacht. Ihr fliegen weder der Trainerwechsel und dessen Begleitmusik noch die Trennung mit Nsame oder sonstige Personalentscheide um die Ohren. Das ist das Verdienst Spychers und seiner Mitstreiter. Aber auch jenes der Konkurrenz, die den Fuss nicht in die offene Türe gehalten hat.
Die bald zu Ende gehende Saison hat veranschaulicht, dass das Imperium YB nicht so schnell zusammenbricht. Der neue Trainer Patrick Rahmen, der aus Winterthur kommen wird, löst in Bern keinen «Wow-Effekt» aus, steht aber für Erdung, Solidität und Pflegeleichtigkeit. Auch der sonderbar abrupte Abgang des langjährigen CEO Wanja Greuel, wenige Tage vor Saisonschluss vollzogen, wirft verhältnismässig kleine Wellen. Zwischen ihm und Spycher soll ein wellenartiges Spannungsverhältnis geherrscht haben. Es versteht sich von selbst, wer zu weichen hatte.
Auch bei YB menschelt es, auch YB zeigt Schwächen. Meistens ohne Folgen. Wach auf, liebe Konkurrenz! Auch in Bern wirken keine Götter.