Ein grünes A für das Spinatschnitzel, ein rotes E für die Schoko-Waffeln: Der Nutri-Score soll eine gesunde Ernährung fördern, doch in der Schweiz kann er sich nur mit Mühe behaupten.
Grapefruit- oder Cranberrysaft, Dörraprikosen oder Mangoschnitze? Wer beim Einkaufen die gesündere Wahl treffen will, dem hilft mitunter eine kleine farbige Ampel auf der Verpackung: der Nutri-Score. Er soll das mühsame Studium des Kleingedruckten ersetzen, so zumindest die Theorie.
In der Praxis ist der Nutri-Score zumindest bei der Migros durchgefallen. Sie hat am Dienstag angekündigt, sich von der Lebensmittelampel zu verabschieden. Schrittweise soll diese von allen Migros-Produkten verschwinden, zu denen beispielsweise die Reihen «Anna’s Best» oder «V-Love» gehören.
Als Grund nennt die Migros hohe Kosten und einen tiefen Nutzen. Die Integration und die laufende Anpassung des Nutri-Scores seien mit einem grossen finanziellen Aufwand verbunden, sagt die Sprecherin Carmen Hefti. «Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass der Nutri-Score die Kundinnen und Kunden mehr verwirrt, als dass er ihnen hilft.»
Für die Stiftung für Konsumentenschutz ist der Entscheid unverständlich. «Die Migros schreibt sich gerne auf die Fahne, dass ihr Gesundheit und eine ausgewogene Ernährung ein Anliegen seien», sagt Josianne Walpen, zuständig für den Bereich Lebensmittel und Ernährung. Mit diesem Entscheid beweise die Migros das Gegenteil. Walpen vermutet hinter dem Schritt denn auch andere Gründe: «Offenbar ist der politische Druck zu gross geworden.»
Ein A für das Vollkornbrot, ein C für den Zopf
Dabei war die Idee des Nutri-Scores, als er vor Jahren in verschiedenen europäischen Ländern eingeführt wurde, simpel: Ein mehrstufiges System soll verarbeitete Lebensmittel anhand ihres Nährwertes bewerten. Produkte werden in einer Skala von A bis E den Farben Grün, Gelb, Orange und Rot zugeteilt. Ein grünes A steht für ein Nahrungsmittel mit besonders günstigen Nährwerten, ein rotes E hingegen verweist auf weniger günstige Nährwerte. Unter den Backwaren zum Beispiel verdient das Vollkornbrot wegen seines hohen Ballaststoffgehalts ein A, der Zopf erhält wegen des Weissmehls und der vielen Butter nur ein C.
So weit, so gut – gäbe es nicht diverse Einwände. Kritiker monieren, dass der Nutri-Score nicht für eine ausgewogene Ernährung herangezogen werden könne, weil er nur Vergleiche zwischen Produkten der gleichen Gruppe zulasse: Eine Tiefkühlpizza kann zum Beispiel mit einer Lasagne aus der Kühltruhe verglichen werden, nicht aber mit einem Joghurt. Auch dass erst die konsumierte Menge den Nährwert eines Lebensmittels bestimmt, ignoriert der Nutri-Score.
Zudem lässt er sich beeinflussen. So gehen Hersteller bei der Ermittlung des Nutri-Scores teilweise nicht vom eigentlichen Produkt aus, sondern von dem vom Verbraucher fertig zubereiteten Produkt: Kakaopulver wird darum nicht als Kakaopulver berechnet, sondern als Kakaopulver mit Milch – was den Score natürlich verbessert.
«Der Score ist nicht perfekt, aber er ist eine gute Orientierung für die Bevölkerung», sagt Josianne Walpen vom Konsumentenschutz.
Emotionale Debatte um Süssmost
Widerstand kommt auch aus der Schweiz. Bäuerinnen und Bauern haben in der Vergangenheit mehrfach die unfaire Behandlung ihrer Produkte kritisiert. Ein Käse zum Beispiel rutscht im Nutri-Score wegen seines hohen Gehalts an Salz und Kalorien zuverlässig in die schlechtesten Kategorien.
Mitte März verabschiedete das Parlament darum einen Vorstoss, der den Bundesrat auffordert, den Einsatz des Nutri-Scores näher zu definieren. Die Befürworter der Motion argumentierten, dass bestimmte Lebensmittelproduzenten durch den Nutri-Score benachteiligt würden. Ein Coca-Cola Zero ist mit einem B besser bewertet als ein Apfelsaft mit einem C. Das bewog Alois Huber, SVP-Nationalrat und Landwirt aus dem Kanton Aargau, während der Frühlingssession zu einer kleinen Wutrede. Er sagte: «Wenn Coci Zero besser ist als Süssmost, dann trinken Sie es halt und sterben daran!»
Und auch in der EU wird über den Nutri-Score diskutiert. Brüssel will die Skala für alle Länder in der EU einführen, dagegen wehrt sich Italien. Die für den Agrarexport des Landes wichtigen Lebensmittel wie Parmaschinken oder Olivenöl werden vom Nutri-Score als eher schlecht eingestuft.
Neue Bewertung stiftete Verwirrung
In den Läden ist von den Diskussionen auf politischer Ebene wenig spürbar. Verwirrung stiftete jedoch eine Umstellung in der Berechnung des Nutri-Scores: Seit Anfang dieses Jahres werden ungesättigte Fettsäuren und Ballaststoffe positiver bewertet, Zucker und Salz werden negativer bewertet als zuvor. Und wird der Zucker durch Süssungsmittel ersetzt, ergibt dies neu ebenfalls eine schlechtere Einstufung. Mit der alten Berechnungsmethode wurde der Einsatz von Zuckerersatz noch belohnt.
Die grösste Neuerung betraf die Beurteilung von Milch- und pflanzenbasierten Getränken. Diese kamen in der Vergangenheit sehr gut weg, weil sie mit festen Lebensmitteln verglichen wurden. Nun gehören sie zu den Getränken. Und weil in dieser Kategorie nur Wasser ein A erreichen kann, werden die anderen Getränke heruntergestuft: Die «Caffè Latte»-Reihe des Milchverarbeiters Emmi fiel von einem grünen A oder B auf ein oranges C oder gar ein rotes D.
«Diese Umstellung hat zu vielen Fragen geführt», sagt die Migros-Sprecherin Carmen Hefti. So sei es vorgekommen, dass in einem Supermarkt dieselbe Hafermilch mit zwei unterschiedlichen Bewertungen verkauft worden sei – einmal nach der alten Methode, einmal nach der neuen.
Portionsgrösse statt Nutri-Score
Die Migros war neben Nestlé das grösste Unternehmen, das sich in der Schweiz für den Nutri-Score entschieden hatte. Die Migros verweist darauf, dass auch nach dem Ende des Nutri-Score auf allen Produkten weiterhin die Nährwerttabelle abgedruckt sei. Diese gibt an, wie viele Kalorien, wie viel Zucker oder Eiweiss pro 100 Gramm enthalten sind. Zusätzlich wolle man die Nährwertangaben pro Portion wieder einführen, sagt Hefti. Eine Portionsgrösse können zum Beispiel vier Fischstäbchen sein.
Für den Konsumentenschutz ist das ein schlechter Ersatz. «Die Portionsgrössen werden willkürlich ausgewählt», sagt Josianne Walpen. «Als Informationsmittel ist das nicht brauchbar, sondern im Gegenteil eher irreführend.»