Auch der nationale Verband geht auf Distanz zur Forderung aus Zürich.
«Mitprotestieren! Solidarisieren!», riefen die Protestierenden. Aber die Umstehenden wollten nicht.
Lichthof der Universität Zürich, vergangenen Dienstag. Eine kleine Gruppe Studentinnen und Studenten wollte den Pro-Palästina-Protest an die Hochschule tragen. Sie skandierte Slogans, die das Existenzrecht Israels infrage stellten, und forderte einen akademischen Boykott israelischer Institutionen, die den Krieg im Gazastreifen unterstützen.
Der Erfolg war bescheiden, die geplante Besetzung des Lichthofs von kurzer Dauer. Das mediale Echo auf den Protest blieb weit grösser als das studentische – bis jetzt.
Nun übernimmt der offizielle Studierendenverband der Universität Zürich eine Hauptforderung der Uni-Besetzer – wenn auch in abgeschwächter Form. Der VSUZH fordert, dass die Universität die Zusammenarbeit mit drei israelischen Hochschulen beendet: der Hebrew University in Jerusalem, der Universität Haifa und der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv.
Der Entscheid dazu fiel bereits am vergangenen Mittwoch, an einer Sitzung des Studierendenparlaments und laut dem VSUZH mit deutlicher Mehrheit.
Als Grund für die Forderung wird im entsprechenden Antrag aufgeführt, die UZH müsse sich «von jenen israelischen Universitäten distanzieren, die Teil des israelischen Militärapparates sind oder diesen unterstützen». In einer detaillierten Auflistung inklusive Fussnoten führen die Studenten aus, wie die betreffenden Universitäten mit dem israelischen Militär zusammenarbeiten.
Die genannten Hochschulen machten sich damit zu «Mittätern» der israelischen Militäraktion, heisst es weiter. Der Krieg im Gazastreifen bedrohe nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern auch die dortigen Universitätsangehörigen. Die Zürcher Studentenvertreter prangern in diesem Zusammenhang «das Schweigen der israelischen Universitäten zu den Auswirkungen der israelischen Angriffe auf palästinensische Studierende und Bildungseinrichtungen» an.
«Kein pauschaler Boykott»
Auf Anfrage der NZZ will der VSUZH nur schriftlich zu seinen Forderungen Stellung nehmen. Der Verband wehrt sich gegen den Eindruck, die umstrittene Hauptforderung der Pro-Palästina-Proteste übernommen zu haben. Man fordere «keinen pauschalen Boykott», sondern bloss «die Überprüfung und Sistierung der Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten, die sich öffentlich klar hinter das Vorgehen des israelischen Militärs stellen».
Auf die Frage, ob es Aufgabe einer Studierendenvertretung sei, sich in geopolitischen Fragen zu positionieren, schreibt der Verband: «Die Überprüfung der Zusammenarbeit universitärer Kollaboration ist ein inhärent bildungspolitisches Anliegen. Es geht uns dabei um die Einhaltung von Grundwerten, zu denen sich die Universität bekennt.»
Von der Forderung der Studierenden betroffen wären vor allem Austauschprogramme, welche die Universität Zürich mit ihren israelischen Partnerhochschulen unterhält: Austauschprogramme, wie es sie in den unterschiedlichsten Ländern gibt, die in internationale Konflikte involviert sind. So etwa auch an der Universität Teheran in Iran, dessen Regime die radikal-islamistische Hamas unterstützt.
Warum fordert der VSUZH also nur den Abbruch der Beziehungen zu israelischen Universitäten?
Darauf angesprochen, schreibt der Verband, man wolle nun auch das Verhältnis zu anderen Universitäten überprüfen, «die völkerrechtswidrige Gewalt strukturell oder öffentlichkeitswirksam unterstützen».
Klar ist jedoch: Nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober blieben ähnliche Boykottforderungen gegenüber Universitäten wie jener in Teheran aus.
Zu den Protesten von vergangener Woche schreibt der VSUZH, er sei «überzeugt, dass der Dialog mit beiden Seiten gefördert werden muss. Nicht einzelne Slogans sollen im Vordergrund stehen, sondern jüdische und palästinensische Studierende». Die Frage, ob die Parole «From the river to the sea» aus Sicht des Verbandes das Existenzrecht Israels infrage stelle, lässt der Verband unbeantwortet.
«Aufruf zur Gewalt an Juden»
Der Antrag des VSUZH stösst auf Kritik. Der Verband jüdischer Studierender der Schweiz (SUJS), dessen Mitglieder auch an der Universität Zürich studieren, findet dafür klare Worte. In einem Communiqué verurteilt er den Antrag «aufs Schärfste». Israel werde dämonisiert, delegitimiert, und es werde mit unterschiedlichen Ellen gemessen.
Israel mit Russland und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine gleichzusetzen, wie dies der VSUZH tue, sei nicht nur zynisch, sondern antisemitisch, schreiben die jüdischen Studierenden. Die mörderischen Attacken der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober hingegen, die den Gaza-Krieg überhaupt erst ausgelöst hatten, würden vom Zürcher Studierendenverband nicht erwähnt.
Der SUJS macht zudem auf problematische Positionen aufmerksam, die während der Besetzung des Lichthofs der Universität Zürich vertreten wurden. Auf einem Plakat war etwa «Long live the student intifada» zu lesen – für den jüdischen Studentenverband «ein klarer Aufruf zur Gewalt an Juden und Israeli».
Man fühle sich nicht sicher an der Universität, der Antrag des VSUZH verschlimmere die Situation, schreibt der SUJS. Und weiter: «Forscht nicht mit Juden. Studiert nicht mit Juden. Was kommt als Nächstes?»
Der Ball liege nun bei der Universität. Der Antrag des VSUZH sei abzulehnen. Ausserdem fordert der Verband der jüdischen Studierenden die Hochschule auf, dem VSUZH den Geldhahn zuzudrehen.
«Jegliche Legitimation verloren»
Der VSUZH seinerseits schreibt der NZZ, er sei «sehr besorgt um das Sicherheitsgefühl jüdischer Studierender an der Universität Zürich». Schon im Dezember habe der Verband in einem Positionspapier von der Universität die Schaffung von Diskussionsräumen gefordert, in denen Empathie und Solidarität im Vordergrund stehen sollten.
Das Bedrohungsgefühl jüdischer Studierender müsse ebenso ernst genommen werden wie die Motivation der propalästinensischen Protestierenden. «Kurz», schreibt der VSUZH, «es braucht weniger Anschuldigungen und mehr Empathie – auf beiden Seiten.»
Ob der Verband mit seinen Forderungen zur Erreichung dieses Ziels beiträgt, scheint angesichts der harschen Reaktionen darauf zumindest fraglich. Zumal der VSUZH mit seiner Boykottforderung ziemlich alleine dasteht. Sowohl der Verband der Studierenden an der ETH als auch der Dachverband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) gingen vergangene Woche zu den Pro-Palästina-Protesten auf Distanz.
Der VSS hält Protestaktionen an Hochschulen zwar für ein legitimes Mittel der Meinungsäusserung, wie er in einer Medienmitteilung schrieb. Allerdings: «Mit ihren teilweise diskriminierenden Forderungen und Aufrufen zu Gewalt haben die aktuellen studentischen Bewegungen jegliche Legitimation verloren», sagt Gazmendi Noli, der Co-Präsident des VSS, in dem Communiqué.
Beim Antrag des VSUZH handle es sich um eine pauschale Boykottforderung. Die drei genannten israelischen Universitäten seien vielfältiger als deren militärische Forschungsprogramme. Man würde sich eine differenzierte Betrachtung wünschen, sagt Noli gegenüber der NZZ. Kooperationen in nichtmilitärischen Bereichen mit diesen Hochschulen seien nach wie vor zu begrüssen.
Der VSS befindet sich in einer delikaten Lage. Sowohl der VSUZH als auch der Verband jüdischer Studierender der Schweiz sind Mitglieder in dem Dachverband. Am Donnerstag findet eine ausserordentliche Sitzung der Studierendenschaften statt. Man hoffe, so einen Beitrag zu einem offenen, nüchternen Diskurs zu leisten, sagte Noli. «Und wenn wir das schaffen, sollten die Schweizer Hochschulen das auch schaffen.»
Die Universität Zürich wollte sich nicht zum Antrag des VSUZH äussern. Man befinde sich im Dialog mit den Studierenden und wolle diesen direkt antworten, bevor man öffentlich Stellung nehme. Der Zürcher Studentenverband wiederum, der den Boykott von drei israelischen Universitäten fordert, schreibt in seiner Stellungnahme, es brauche nun «Dialog und Empathie – und keine plakativen Aussagen und Denunziationsvorwürfe».
In einer früheren Version dieses Artikel hiess es, im Antrag des VSUZH sei von einer Mittäterschaft der israelischen Universitäten an einem «Genozid» die Rede. Korrekt ist, dass der Antrag aus einem UNO-Bericht zitiert, in dem der Begriff «Genozid» verwendet wird.