Die Zürcher Parlamentarierin lief wenige Tage nach ihrer Wahl von der GLP zur FDP über. Das kritisiert das höchste Gericht nun in einem aufsehenerregenden Urteil.
Isabel Garcia, einst eine unauffällige, angesehene Parlamentarierin im Kanton Zürich, hat vergangenes Jahr für einen Politskandal gesorgt. Nur wenige Tage nach ihrer Wiederwahl wechselte sie die Partei, von der GLP zur FDP. Über Garcias politische Zukunft hat am Mittwochmorgen das höchste Gericht des Landes entschieden, das Bundesgericht in Lausanne.
In einer knappen 3:2-Entscheidung votierte eine Mehrheit der Richterinnen und Richter der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung dafür, dass Garcia nach ihrem Parteiwechsel ihr Amt nicht einfach so behalten darf. Es ist ein Urteil, das einen früheren Leitentscheid von 2008 infrage stellt und Folgen für die Schweizer Politik haben dürfte.
Ist die Zeit der Personenwahlen vorbei?
Das Gericht hiess die Beschwerde eines Jus-Studenten und GLP-Mitglieds teilweise gut. Er störte sich am Entscheid des Kantonsparlaments, Garcias Wahl anzuerkennen. Der Student – sekundiert von fünf weiteren Beschwerdeführern – hatte gefordert, das Bundesgericht solle den Beschluss bezüglich Garcias Wahl für ungültig erklären. Ausserdem solle eine Verletzung der politischen Rechte von Garcias Wählenden anerkannt werden.
Mit der teilweisen Gutheissung der Beschwerde folgt das Bundesgericht diesem Antrag in Teilen. Es hebt Garcias Wahl zwar nicht direkt auf, sondern weist das Zürcher Verwaltungsgericht an, sich vertieft mit der Frage zu befassen. Dennoch betritt das höchste Gericht mit diesem Entscheid juristisches und politisches Neuland.
Ein unterlegener Richter warnte denn auch, mit dem Urteil werde «die Büchse der Pandora geöffnet». Es drohe eine Verpolitisierung der Justiz.
Bisher galt in der Schweiz, dass gewählte Politiker im Rahmen ihres Mandats problemlos die Partei wechseln können. Dies aufgrund des in der Bundesverfassung verankerten Instruktionsverbots, das ihnen eine freie Ausübung ihres Amts zusichert.
Als 2008 eine St. Galler Kantonsparlamentarierin kurz nach ihrer Wahl von der CVP zur SVP übertrat, wies das Bundesgericht eine entsprechende Beschwerde dagegen noch ab. Der Zürcher Fall war diesem sehr ähnlich, unterschied sich jedoch in einem zentralen Punkt: dem Wahlsystem, mit dem das Kantonsparlament besetzt wurde.
In Zürich war dies mit dem Doppelproporz ein System, das die möglichst perfekte Abbildung des Wahlresultats in der Sitzverteilung höher gewichtete, als dies im St. Galler System der Fall war.
Der daraus entstehende verschärfte Konflikt zwischen dem Ziel des Wahlsystems und der individuellen Freiheit der Amtsträgerinnen und Amtsträger ist jener, den das Bundesgericht am Mittwoch letztlich zu bewerten hatte.
Mit seinem Entscheid stärkt es nun die Parteien gegenüber individuellen Amtsträgern. Und es macht klar: In Schweizer Parlamenten, die den Proporz über alles stellen, gilt das Prinzip der freien Amtsausübung nicht absolut.
Es erreiche seine Grenze dort, wo es die freie Wahlentscheidung der Stimmbevölkerung tangiere, sagte der Richter, der die Mehrheit vertrat. Wie jede Freiheit habe auch diese ihre Grenzen.
Erläutert wurde der Beschluss an einer öffentlichen Urteilsberatung, an der fünf Richter der Kammer ihre Sicht auf den Fall schildern. Ein seltenes Prozedere, das vom Gericht nur vorgenommen wird, wenn es eine ungeklärte Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung behandelt.
Die Diskussion war kontrovers, ein eigentlicher Krimi. Am Ende waren zwei Richter aus SP und SVP auf Garcias Seite, die Richter von FDP und GLP dagegen auf der Seite der Beschwerdeführer. Der fünfte Richter – ein Grüner – wurde zum alles entscheidenden Swing-Vote.
Weitreichende Folgen
Die Frau, die nun möglicherweise die Folgen dieses juristischen Kurswechsels zu spüren bekommt, war vor Gericht nicht anwesend. Isabel Garcia hatte im Februar 2023, elf Tage nach ihrer Wiederwahl als GLP-Kantonsrätin, den Wechsel zur FDP bekanntgegeben.
Sie folge damit ihrem politischen Gewissen, sagte sie in ihrem bis heute einzigen Interview zum Thema der NZZ. «Für mich war die Wahl ein Anlass für eine schonungslose vertiefte Standortbestimmung.»
Der Entscheid löste Empörung aus – vor allem auch, weil Garcia damit die delikaten Mehrheitsverhältnisse im Parlament kippte. Bei den kantonalen Wahlen hatte die «Klima-Allianz» aus GLP, EVP, SP, Grünen und AL eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz erzielt. Diese ging mit Garcias Parteiwechsel verloren.
Welche Folgen der richterliche Entscheid nun auf die Zürcher und die Schweizer Politik haben wird, ist noch nicht abzusehen. Klar ist: Sie werden nicht unerheblich sein. Und: Isabel Garcia droht nun ernstlich der Sitzverlust.
Das Zürcher Verwaltungsgericht – laut Bundesgericht eigentlich von vornherein das zuständig – muss nun eine schwierige Frage beantworten: Hat Isabel Garcia ihre Wählerinnen und Wähler bewusst getäuscht? Oder, in anderen Worten: Stand ihr Entscheid schon vor der Wahl fest oder erst danach?
Diese Frage ist laut der Mehrheit im Bundesgericht jene, an der sich ihr Verbleib im Amt entscheiden muss. Wie genau diese geklärt werden soll, ist allerdings offen. Garcia hat nämlich stets betont, ihr Entscheid sei nach der Wahl gefallen. Die Beschwerdeführer konnten für das Gegenteil bisher bloss Indizien, aber keine Beweise liefern.
Mehr folgt.
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