Das Gericht erteilt den Plänen der Stadt in Sachen Kibag-Areal eine deutliche Abfuhr.
Was ist höher zu gewichten: Die Eigentumsgarantie? Oder das Interesse einer politischen Mehrheit, die findet, ein Stück Land in Besitz der Firma Kibag solle allen gehören? Um diese Frage dreht sich der Streit um ein Areal an bester Lage. Ein Streit, der längst vor den Gerichten ausgetragen wird. Nun ist die Stadt Zürich vor Baurekursgericht deutlich unterlegen.
In Zürich Wollishofen betreibt die Firma Kibag ein Betonwerk. Man könnte mehr aus diesem grossen Industrieareal direkt am See machen – das ist allen klar. Die Stadt Zürich und die Kibag haben in den nuller Jahren einen Deal vereinbart: Die Stadt erhält einen breiteren Durchgang als der jetzige, schmale Kiesweg zwischen Roter Fabrik und GZ Wollishofen. Und die Kibag darf ihr Industrieareal mit dem Bau von Wohnungen versilbern.
Doch von diesem Deal wollen die Zürcher Linken längst nichts mehr wissen. Sie wollen an diesem Ort einen Stadtpark. Der politische Druck nahm in den vergangenen fünf Jahren stetig zu – bis die Kibag Kompromissbereitschaft signalisierte und eine Projektidee auf den Tisch legte, mit deutlich weniger Wohnungen und einem 7000 Quadratmeter grossen Stadtpark direkt am See, die die Firma der Stadt überlassen will.
Den Wohnungsbau verboten
Aber sowohl Stadtrat wie Stadtparlament, beide rot-grün dominiert, wischten diesen Vorschlag beiseite. Der Stadtrat hat vielmehr eine Masterplanung vorgelegt: Auf dem Land der Kibag ist ein Stadtpark vorgesehen. Der Wohnungsbau wird ausgeschlossen, obwohl die Bau- und Zonenordnung bis heute den Bau von Wohnungen zulässt. Das Stadtparlament hat dieser Masterplanung zugestimmt.
Und der Stadtrat hat gleichzeitig eine Planungszone über das Gebiet verhängt. Diese gilt als schärfstes Mittel im Planungsprozess: Sie verbietet es dem Besitzer, am Areal etwas zu verändern.
Die Stadt will offenkundig verhindern, dass die Kibag auf die Schnelle ein Bauprojekt in Angriff nimmt. Die Planungszone soll drei Jahre lang gelten. So lange, bis die Stadt neue Fakten geschaffen und die Bau- und Zonenordnung abgeändert hat. Dagegen wehrte sich die Kibag letzten Herbst rechtlich.
Ein Hauptargument der Stadt ist, dass an diesem Standort nicht gewohnt werden soll, weil man Konflikte zwischen den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern und den Kulturschaffenden der Roten Fabrik befürchtet. Während des Planungsprozesses der Stadt hatten sich nämlich auch benachbarte Institutionen äussern dürfen. Die Kibag konnte sich zwar ebenfalls einbringen, aber gleichgestellt mit Anwohnern, Quartiervereinen und sogar der Seepfadi, was die Firma als Affront empfand.
Die Nutzerinnen und Nutzer des alternativen Kulturzentrums Rote Fabrik wehrten sich besonders laut. Sie wollen sich nicht mit neu Zugezogenen über Lärmemissionen streiten müssen.
Dieses Argument sei unhaltbar, findet jetzt das Zürcher Baurekursgericht. In der Vermeidung von «lärmbedingten Nutzungskonflikten» bestehe «kein gewichtiges öffentliches Interesse».
Die «blosse Befürchtung» der Stadt, die Nutzer des Erholungs-, Freizeit- und Kulturraums müssten sich künftig «mehr zurückhalten», sei nicht ausreichend. Davon, dass dies künftige Wohnungen verunmögliche, könne keine Rede sein. Zumal die Rote Fabrik heute schon Rücksicht auf Anwohner nehmen und die Lärmvorschriften einhalten müsse.
Beim GZ Wollishofen, wo die Stadt ähnlich argumentiert, erinnert das Gericht daran, dass die meisten Gemeinschaftszentren in der Stadt Zürich in Wohnzonen liegen. «Deren Betrieb lässt sich offensichtlich mit benachbarten Wohnungen vereinbaren.»
Natürlich kann die öffentliche Hand grundsätzlich die Planung ändern und damit auch die Bau- und Zonenordnung. Aber das Gericht sieht beim Kibag-Areal den Zeitpunkt der geplanten Änderung kritisch. Die Forderung von AL und Grünen kam nämlich 2019 auf – nur wenige Monate nachdem die Stadt Zürich ihre gesamte Bau- und Zonenordnung gerade revidiert hatte.
Nur die politische Meinung hat sich geändert
Auch jetzt seien erst knapp fünf Jahre seit der Revision vergangen. Aber eine Bau- und Zonenordnung sei auf einen Zeitraum von fünfzehn Jahren ausgelegt. Zu einem solch frühen Zeitpunkt komme «geänderten Planungsvorstellungen geringes Gewicht» zu. Denn: «Ein Nutzungsplan kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn er eine gewisse Beständigkeit aufweist.»
Mit anderen Worten: Die öffentliche Hand sollte die Spielregeln nicht während des Spiels ändern. Und wenn sie es doch tut, muss sie dafür einen triftigen Grund haben.
Aber einen solchen kann das Baurekursgericht nicht erkennen. An den tatsächlichen Umständen habe sich seit der neuen Bau- und Zonenordnung 2018 nämlich nichts verändert. Die Stadt bringe das Bevölkerungswachstum und das Bedürfnis nach Freiräumen vor, doch das seien schon damals bekannte Faktoren gewesen.
Verändert habe sich einzig die politische Meinung, so das Gericht. Aber das genüge nicht: Die Planbeständigkeit sei wichtiger als «eine Änderung der Planung allein infolge der geänderten Anschauungen». Somit bestehe «kein überwiegendes Interesse» an der Verhängung einer Planungszone.
Das Urteil lässt die Planung der Stadt Zürich an diesem Ort insgesamt in einem kritischen Licht erscheinen. Ob es aber auf den bereits verabschiedeten Masterplan einen Einfluss hat, ist offen. Zunächst dürfte der Streit vor Gericht weitergehen bis zu einem rechtskräftigen Urteil. Die Stadt und der ebenfalls involvierte Kanton prüfen derzeit den Weiterzug ans Verwaltungsgericht.
Die Kibag teilt gegenüber der NZZ mit, man habe das Urteil des Baurekursgerichts mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, im Wissen darum, dass es noch nicht rechtskräftig sei. «Wir sind erleichtert, dass das Baurekursgericht unsere Argumentation vollständig aufgenommen und bestätigt hat.» Man wolle nach wie vor eine gute Lösung für das Kibag-Areal realisieren – «weiterhin im Dialog mit der Stadt Zürich».
Bauen will die Kibag vorerst ohnehin nichts, wie sie im Rechtsverfahren bekräftigt hat. Bis mindestens 2030 wird sie ihr Betonwerk an diesem Standort betreiben. An dieses Versprechen, das sie der Stadt Zürich einst abgegeben hat, sieht sich die Firma gebunden.