In Balerna im Südtessin eröffnet ein neues Bundesasylzentrum mit Platz für 350 Flüchtlinge, und Staatssekretärin Christine Schraner Burgener äussert sich zu ihrem unerwarteten Abgang von der Spitze des Staatssekretariats für Migration.
Das Südtessin ist seit Jahren ein Hotspot der Zuwanderung in die Schweiz. Gerade in der Region Chiasso kam es 2023 wiederholt zu Problemen mit Asylsuchenden. Ihre Zahl war sehr hoch, und die Unterbringungsmöglichkeiten in provisorischen Unterkünften reichten nicht aus. Inzwischen hat der Migrationsdruck etwas nachgelassen. Vor allem aber steht nun endlich ein Empfangszentrum zur Verfügung, das diesen Namen auch verdient. Das neue Zentrum Pasture, das 350 Personen Platz bietet, ist am Freitag im Beisein von Christine Schraner Burgener, der Chefin des Staatssekretariats für Migration (SEM), der Öffentlichkeit und den Medien vorgestellt worden.
«Das Zentrum Pasture bedeutet für uns einen Neuanfang»
Das Gebäude auf dem Gemeindegebiet von Balerna bei Chiasso kostete knapp 30 Millionen Franken, das Gesamtprojekt inklusive Sanierung des Areals sogar 62,8 Millionen Franken. Die Bauzeit betrug vier Jahre. Rund 200 Asylsuchende werden am 3. Juni vom Provisorium in das neue Zentrum umziehen. Ein kleineres Zentrum bleibt in unmittelbarer Nähe des Grenzübergangs nach Italien in Chiasso bestehen. In Chiasso befindet sich zudem die Verwaltung des Bundesasylzentrums.
«Das Zentrum Pasture bedeutet für uns einen Neuanfang», sagte Micaela Crippa, Leiterin der Asylregion Tessin und Zentralschweiz des SEM. Die letzten vier Jahre seien eine grosse Herausforderung gewesen, von der Pandemie bis zu den «fast biblischen Flüchtlingsströmen» aus der Ukraine und anderen Krisenregionen der Welt wie Afghanistan und Iran.
Hat sich die Lage entspannt? Staatssekretärin Schraner Burgener konnte keine Entwarnung geben. Wie im Vorjahr müsse auch in diesem Jahr mit 30 000 Asylgesuchen gerechnet werden, sagte sie. Erfreulicherweise hätten sich aber die 24-Stunden-Verfahren für Personen aus den Maghreb-Staaten bewährt, die keine Chance auf Asyl hätten. Diese Art von Gesuchen sei gesamtschweizerisch um 40 Prozent zurückgegangen.
Zuversichtlich stimmt auch die Eröffnung des neuen Zentrums. Die Erleichterung darüber, dass die Provisorien für die Unterbringung von Asylsuchenden in Chiasso und Balerna nun der Vergangenheit angehören, ist gross. Das neue Zentrum Pasture, in der Industriezone von Balerna, direkt neben den Bahngleisen gelegen, präsentiert sich zwar wenig einladend, aber es ist funktional. Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet, mit je zehn Betten und Spinden. Viel Sichtbeton wird durch wenige Farbakzente aufgelockert, und W-LAN ist im ganzen Haus verfügbar.
Asylsuchende können in der Anfangsphase ihres Verfahrens maximal 140 Tage im Zentrum bleiben. Neben den Zimmern für Familien gibt es spezielle Räume für unbegleitete Minderjährige, für die auch zwei Klassenzimmer zur Verfügung stehen. Für den Unterricht ist das kantonale Erziehungsdepartement zuständig. Alleinstehende Männer sind auf einer separaten Etage untergebracht. Im Freien kann Sport getrieben werden. Alles wird überwacht, es gibt klare Ausgangszeiten. «Aber wir sind kein Gefängnis», sagte ein Zuständiger beim Medienrundgang.
Mehr Arbeitsmöglichkeiten
Da Langeweile die Schwelle für Trinkgelage und Kleinkriminalität senkt, bietet das neue Zentrum den Asylsuchenden deutlich mehr Arbeitsmöglichkeiten als bisher. Die Jobs in der Küche, der Wäscherei und im Gartenbereich sind begehrt, denn laut dem SEM-Mitarbeiter Jimmy Ferro erhalten die Arbeitskräfte eine Entschädigung von 30 Franken pro Tag. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit mit den Anrainergemeinden intensiviert, die Beschäftigungsprogramme anbieten.
Kein Wunder, sind die Gemeinden im Südtessin sehr zufrieden, dass die bisherigen Provisorien durch eine dauerhafte Einrichtung ersetzt wurden. «Es gab eine deutliche Entspannung der Situation», sagt Bruno Arrigoni, der Gemeindepräsident von Chiasso. Insbesondere die Schliessung der Notschlafstelle im Bahnhof Chiasso habe sich positiv ausgewirkt. Auch der Gemeindepräsident von Balerna, Luca Pagani, ist glücklich: «Nun kann das Zentrum von einem Ort der Konflikte wirklich zu einem Ort der Aufnahme werden», sagte er. Dennoch müsse dem Sicherheitswunsch der Bevölkerung weiter Rechnung getragen werden. Letztes Jahr hätten teilweise 600 Asylsuchende in der Region logiert, und da sei es mitunter zu unschönen Vorfällen gekommen.
Schraner Burgener äussert sich zu Abgang
Das Tessin sei geografisch exponiert und sich deshalb Probleme im Zusammenhang mit Migration gewohnt, sagte der Tessiner Justiz- und Polizeidirektor Norman Gobbi. Es gehöre zum Selbstverständnis des Kantons, Migranten Schutz zu bieten. Leider könne er diese Einstellung nicht in allen Kantonen feststellen. Vor allem in der Zentralschweiz sei die Bereitschaft gering, einen stärkeren Beitrag zur Aufnahme von Asylsuchenden zu leisten.
Dennoch will das SEM trotz Widerstand der örtlichen Bevölkerung an einem Asylzentrum mit 170 Plätzen in Goldau festhalten, wie Staatssekretärin Christine Schraner Burgener auf Nachfrage bekräftigte. Der Kanton Schwyz und die Standortgemeinde Arth seien einverstanden, gleichwohl werde es wohl noch sechs Jahre dauern, bis das Zentrum bezugsbereit sei. Ein Architekturwettbewerb müsse ausgeschrieben und die Belange des Heimatschutzes berücksichtigt werden, abgesehen von der reinen Bauzeit. Man müsse in der Zwischenzeit weiterhin temporär eine Struktur in Glaubenberg im Kanton Obwalden nützen.
Und auch zu ihrem kürzlich bekanntgewordenen Abgang vom SEM per Ende Jahr nahm sie Stellung. Sie sei überrascht, dass ihre Personalie so hohe Wellen geworfen habe, sagte sie. Das habe sie in diesem Ausmass nicht erwartet. Und weshalb geht sie nun? Schraner Burgener: «Ich habe noch Ambitionen und werde mich auf Posten bewerben, die nicht jedes Jahr frei werden.» Eine Flucht sei ihr Abgang nicht.