Der Aufsichtsrat des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp hat eine Beteiligung der EP Corporate Group an seiner Stahlsparte gebilligt. Dazu musste er jedoch die Arbeitnehmervertreter überstimmen.
Es bleibt eine umstrittene Transaktion: Zwar hat der Aufsichtsrat des deutschen Industriekonzerns Thyssenkrupp am Donnerstagabend den im April vereinbarten Einstieg des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky in die Stahlsparte Thyssenkrupp Steel Europe gebilligt.
Doch der Entscheid erfolgte gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter, die nach deutschem Mitbestimmungsrecht paritätisch im Aufsichtsgremium vertreten sind. Der Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, der zugleich Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie ist, musste seine Zweitstimme als Vorsitzender nutzen, um das Patt zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und der Aktionäre zu überwinden.
Kritik der Belegschaft
Vor der Sitzung hatten Tausende von Stahlarbeitern und die Gewerkschaft IG Metall vor der Konzernzentrale in Essen nochmals gegen das Vorhaben protestiert, das Konzernchef Miguel López «im Geheimen verhandelt» habe. Danach kündete Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp weiteren Widerstand an. Die mit der Transaktion verbundenen Risiken seien völlig ungeklärt, gab er zu Protokoll. Statt Besonnenheit und Klarheit herrsche «wilder Aktionismus, um den Stahlbereich in die Eigenständigkeit zu schicken».
Die Stahlerzeugung ist der traditionsreiche Kern von Thyssenkrupp, kämpft aber seit Jahren mit Schwierigkeiten. Im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2023/24 (per Ende März) trug die Sparte, die rund 27 000 Mitarbeiter beschäftigt, 5,3 Milliarden Euro zum Konzernumsatz von 17,2 Milliarden Euro bei. Damit sank der Umsatz gegenüber der Vorjahresperiode um 15 Prozent. Das Unternehmen verweist auf die schwache Konjunktur, hohe Energiekosten und steigenden Importdruck. Im April hatte López deshalb eine deutliche Reduktion der Produktionskapazitäten am Standort Duisburg angekündigt.
Zugleich steht die CO2-intensive Stahlindustrie vor der Herkulesarbeit der Dekarbonisierung. In Duisburg hat Thyssenkrupp im März mit dem Bau der ersten wasserstoffähigen Direktreduktionsanlage begonnen. Die Investitionen sollen rund 3 Milliarden Euro betragen; der Bund und das Bundesland Nordrhein-Westfalen wollen rund 2 Milliarden Euro dazu beitragen. Solche Anlagen können anders als herkömmliche Hochöfen mit Wasserstoff statt Kokskohle betrieben werden, benötigen aber enorme Mengen an «grünem» Strom.
Lopez› Logik
Hier setzt die von Lopez beschworene Logik der Zusammenarbeit mit Kretinsky an: Die zu 89 Prozent vom Milliardär kontrollierte EP Corporate Group (EPCG), die bei ThyssenKrupp Steel einsteigen soll, ist in mehreren europäischen Ländern als Energiehändler, -versorger und -lieferant tätig. Als strategischer Partner könne sie ihre Kompetenzen einbringen, um eine ausreichende Versorgung mit Energie in Form von Wasserstoff, grünem Strom sowie der Bereitstellung von anderen Energierohstoffen zu gewährleisten, hiess es.
Noch ist im Imperium von Kretinsky allerdings viel Kohle zu finden. So hat er sich unter anderem an der Leag in Ostdeutschland beteiligt, die Braunkohle-Tagebau und Kohlekraftwerke betreibt. Mit Blick auf den anstehenden Kohleausstieg investiert sie aber derzeit massiv in erneuerbare Energien.
Die EPCG will sich zunächst mit 20 Prozent an Steel Europe beteiligen, die Thyssenkrupp verselbständigen will. Zudem wird laut Firmenangaben über den Erwerb weiterer 30 Prozent durch die EPCG gesprochen. Ziel sei «die Bildung eines gleichberechtigten 50/50-Ventures». Die finanziellen Konditionen sind nicht bekannt. In den letzten Jahren hat Thyssenkrupp immer wieder nach einem Partner für den Stahl gesucht, aber bisher stets vergeblich.
Der rührige Tscheche
Der Unmut der Arbeitnehmer richtet sich laut Kerner vor allem gegen Russwurm und Lopez. Doch auch dem neuen Investor schlägt ein gewisses Misstrauen entgegen. Wer ist der Mann?
Geboren ist Daniel Kretinsky 1975 im tschechischen Brno (Brünn), wo er an der Masaryk-Universität Abschlüsse in Rechts- und Politikwissenschaft erwarb. 1999 trat er als Jurist in die Finanzgruppe J&T Investment Group ein, 2003 wurde er deren Partner. 2009 war er an der Gründung der Energie- und Industrieholding EPH innerhalb der J&T beteiligt. Heute ist er über die Dachgesellschaft EPCG Mehrheitsaktionär der EPH.
Über die Jahre schufen Kretinky und seine Partner durch Übernahmen und Beteiligungen ein verschachteltes Firmengeflecht, zu dem neben den Energie-Beteiligungen weitere Branchen gehören. So ist Kretinsky über weitere Einheiten der EPCG zum Beispiel zu knapp 50 Prozent am deutschen Lebensmittelgrosshändler Metro und an mehreren Medien beteiligt, darunter die tschechische Boulevard-Zeitung «Blesk». Das Forbes-Magazin schätzt sein Vermögen aktuell auf 9,3 Milliarden Dollar.
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