Mit neuen, strengen Regeln will die Stadt die Quartiervereine an die kurze Leine nehmen. Bei diesen ist der Ärger enorm.
Die Schwamendinger Chilbi ist ein Volksfest: bekannt für Zürcher Politprominenz hinter Marktständen, Chnoblibrot und Harassenstapeln. Doch nun hat der Veranstalter, der Quartierverein Schwamendingen, ein Problem: Die Stadt Zürich will ihm nur noch 500 Franken Bargeld in der Kasse erlauben. Bei einem Umsatz von gut 500 000 Franken, den die Vereine in ihren Festzelten insgesamt erwirtschaften.
Dass sich mit 500 Franken in der Kasse nicht einmal ein Wurststand betreiben lässt, liegt auf der Hand: Mit der fünften Person, die mit einer Hunderternote bezahlt, ist das Wechselgeld aufgebraucht.
Den Höchstbetrag sieht die Stadt auch für Bankkarten vor. Die Vereine dürfen damit nur maximal 500 Franken ausgeben. Somit ist der Grosseinkauf im Vorfeld eines Fests ebenso unmöglich.
Die 500-Franken-Grenze ist eine der neuen, strengeren Regeln, die die Stadt den Quartiervereinen auferlegen will. Da sie die Vereine subventioniert, kann sie diesen Vorschriften machen. In diesem Frühjahr erhielten die Vereine Post vom Präsidialdepartement unter Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP).
Die Vereine weisen den Vorschlag einstimmig zurück
Seither sind die Quartiervereine vereint im Widerstand, ob gross oder klein, ob politisch eher links oder bürgerlich geprägt. Sie fühlen sich von der Stadt bevormundet.
Die 25 Quartiervereine haben den Vorschlag der Stadt vor einigen Wochen an einer Versammlung zurückgewiesen – einstimmig bei zwei Enthaltungen. Das zeigen Unterlagen, die der NZZ vorliegen.
Der Grund für den strengen Kurs der Stadt ist ein Vorfall, der ein Jahr zurückliegt und sich im Quartierverein Witikon zutrug. Damals wurde bekannt, dass der Finanzverantwortliche das Konto leer geräumt hat.
Statt der ausgewiesenen 77 400 Franken lagen noch 3400 Franken auf dem Konto. Insgesamt lag die Betrugssumme bei rund 100 000 Franken. Das verlorene Geld stammte zum Grossteil von Mitgliedern, aber auch städtisches Geld ging flöten. Wie gross der jeweilige Anteil war, lässt sich nicht mehr eruieren.
Der Witiker Fall lief geradezu klassisch ab: Gutgläubige Vereinsmitglieder gingen einem Schaumschläger auf den Leim. Sie liessen sich während mehr als eines Jahrzehnts täuschen, bis der Mann mit 68 Jahren unvermittelt verstarb und der Betrug aufflog. Die Vereinsverantwortlichen hatten sich während all der Jahre nie selbst in das Konto eingeloggt und kontrolliert, ob die Zahlen stimmen.
Heute, ein Jahr später, hat sich die Hoffnung, einen Teil des Geldes zurückzuerhalten, zerschlagen. Der Vereinspräsident Balz Bürgisser, grüner Stadtparlamentarier, ist mittlerweile von seinem Amt im Verein zurückgetreten.
Der Quartierverein Witikon ist sein Vermögen los. Und die Stadt nimmt den Fall zum Anlass, strenge Kontrollen für alle Vereine einzuführen.
Am schwersten wiegt aus Sicht der Vereine die künftig vorgeschriebene externe, professionelle Revision. Bis anhin machen dies Vereinsmitglieder ehrenamtlich.
Das Geld, das die Quartiervereine von der Stadt erhalten, setzt sich zusammen aus einer allgemeinen Pauschale, einem Betrag je nach Vereinsgrösse sowie aus Beiträgen für die vielen Veranstaltungen, die die Vereine organisieren. Diese leben im Wesentlichen von den Mitgliederbeiträgen, aber die Subventionen der Stadt sind wichtig. Durchschnittlich erhält ein Quartierverein rund 15 000 Franken pro Jahr.
Eine externe Revision kostet rund 2000 Franken. Zwar will die Stadt diese Kosten übernehmen. Aber die Vereine empfinden dies als einen Eingriff, der zu weit geht.
Laut Beni Weder, Präsident des Quartiervereins Wipkingen, kommen auf die Vereine enorme Folgekosten zu. Es sei nämlich zu erwarten, dass der externe Revisor auf einem professionellen Buchhalter besteht. Auch diese Arbeit wird heute ehrenamtlich gemacht.
Neu würden dadurch für die Vereine monatlich Kosten von rund 1000 Franken entstehen, sagt Weder. Zu diesem Schluss sei der Buchhalter des Wipkinger Quartiervereins gekommen. Träfe dieser Fall ein, frässen diese jährlichen Gesamtkosten einen Grossteil des städtischen Beitrags auf.
Der Tenor bei den Quartiervereinen lautet: Natürlich muss man nach dem Fall Witikon genauer hinschauen. Aber eine externe Revision sei eine völlige Überreaktion.
Gemäss Gesetz können sich kleine Vereine mit einem Umsatz von weniger als 20 Millionen Franken auf eine Laienrevision beschränken. Eine externe Revision ist auch nach Einschätzung von Experten nicht unbedingt zwingend: Vereine könnten mit dem konsequenten Einhalten von einigen wenigen Regeln das Risiko von Missbrauch minimieren.
Solch einen pragmatischen Ansatz wünschen sich die Quartiervereine. Beispielsweise soll es künftig für die Verantwortlichen Pflicht sein, die Kontostände persönlich zu überprüfen.
«Expertokratie» in der Stadtverwaltung
Der Ärger der Quartiervereine geht aber weit über die Frage der Revision hinaus. Viele glauben, dass der Stadtrat den Witiker Vorfall für einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Vereine nutzt.
Was die neuen Regeln im Alltag bedeuten würden, zeigt sich am Quartierverein Wipkingen exemplarisch. Der Präsident Beni Weder spricht von «Expertokratie» in der Stadtverwaltung. Zum Beispiel fordere die Stadt künftig eine «Vernetzungsveranstaltung» ein. Das sei völlig altbacken. «Wir sind permanent vernetzt, mit den Schulen, Kirchen, Gemeinschaftszentren.»
Nun aber müsste man einen «künstlichen Vernetzungstag» organisieren. Sonst würden 2900 Franken nicht ausbezahlt.
Unter dem Punkt «Kommunikation» fordere die Stadt bei Konflikten im Quartier Meldung an sie. Von gegenseitiger Information stehe nichts. Weder sagt: «Die Stadt müsste doch eigentlich fürs Quartier da sein – und nicht umgekehrt.»
Ihn ärgert der Grundton der Vereinbarung. Er sagt: «Wir wollen keine Excel-Tabellen ausfüllen oder Pseudoveranstaltungen durchführen. Freiwilligenarbeit muss Spass machen. Sonst hören die Leute auf.» Da verzichte man lieber auf den Beitrag der Stadt, der rund 20 Prozent des Budgets ausmacht.
Der Präsident sagt für Wipkingen kategorisch: «Wir werden diese Vereinbarung nie unterschreiben.»
Am anderen Ende der Stadt, in Hirslanden, erklingt ähnliche Kritik. Mischa Schiwow, Co-Präsident und bis vor kurzem Stadtparlamentarier für die Alternative Liste, sagt, der Stadtrat wolle die Vereine «an die Kandare» nehmen.
Ihn stört, dass der Stadtrat nicht auf Augenhöhe mit den Quartiervereinen kommuniziere. Diese bildeten eine lebhafte Szene mit Leuten, die alle ehrenamtlich arbeiten. Die Stadt erhalte für vergleichsweise wenig Geld sehr viele Leistungen. Leider zeuge das jüngste Vorgehen des Stadtrats aber von wenig Wertschätzung.
Und Urs Rauber vom eher bürgerlich geprägten Quartierverein Wiedikon sagt, der Stadtrat wolle die Quartiervereine gängeln, indem er mit Mikromanagement in ihre föderalistischen Strukturen eingreife.
Rauber legt Wert auf die Feststellung, dass die Zusammenarbeit mit der Stadt im Allgemeinen konstruktiv sei. Die Zurückweisung des jetzigen Vorschlags jedoch sei «eine vorhersehbare Schlappe für den Stadtrat».
Offen ist, wie die Stadt mit der Ablehnung durch die Quartiervereine umgeht. Man prüfe derzeit die Stellungnahmen, heisst es beim Präsidialdepartement. Die Subventionsvereinbarungen seien aber üblich und «aufgrund rechtlicher Anforderungen nötig» für die neue vierjährige Periode der städtischen Beiträge.