Botschafter Gabriel Lüchinger organisiert das Spitzentreffen auf dem Bürgenstock, das einen Friedensprozess aufgleisen soll. Er entspricht nicht dem typischen Profil eines Karrierediplomaten.
Gabriel Lüchinger hat einen der exponiertesten Posten der Berner Diplomatie. Er leitet die Task-Force für die Ukraine-Konferenz, zu der die Schweiz im Juni auf dem Bürgenstock eingeladen hat. Es ist eine Aufgabe, für die eine unkonventionelle Laufbahn nicht schaden kann. Der 47-Jährige kam über Umwege zum Aussendepartement (EDA). Als persönlicher Mitarbeiter des SVP-Bundesrats Guy Parmelin absolvierte er den Concours diplomatique und das Topkader-Assessment des EDA. Im Jahr 2022 bewarb er sich um den Posten als Leiter der Abteilung Internationale Sicherheit – und erhielt den Zuschlag.
Als Oberst und SVP-Mitglied brachte Lüchinger Diversität ins Departement – wenn auch nicht so, wie es sich viele Diversity-Beauftragte vorstellen würden. Die Personalie sorgte intern für Unruhe und sickerte durch, bevor sie der Bundesrat beschlossen hatte. Doch der kluge Lüchinger hat sich mit seiner umgänglichen Art im EDA einen guten Ruf erarbeitet. Zurzeit hat er mit zahlreichen Diplomaten zu tun, die an der Vorbereitung der Konferenz mitwirken. Er lässt diese in ihren Spezialgebieten ihre Arbeit machen, statt sich überall einzumischen.
Indien nimmt teil
Die Leitung der Task-Force ist der vorläufige Höhepunkt seiner Laufbahn. Neben Bundesrat Ignazio Cassis und Staatssekretär Alexandre Fasel weibelt Lüchinger im Rang eines Botschafters zuvorderst für die Konferenz. Seit Monaten ist er viel unterwegs – und gegenwärtig nicht für die Medien zu sprechen.
Über 160 Staaten hat die Schweiz auf Ersuchen der Ukraine eingeladen. Zunächst schien es, als seien vor allem westliche, europäische Unterstützer Kiews auf höchster Ebene dabei. Doch inzwischen hat mit Indien ein gewichtiges Schwellenland seine Teilnahme bestätigt. Auch etliche Staaten aus Südamerika, Afrika und dem Nahen Osten sollen dabei sein. Lüchinger aber bleibt viel Überzeugungsarbeit. So schienen China und Brasilien diese Woche auf Distanz zu gehen: Es brauche eine Friedenskonferenz, die von Russland und der Ukraine anerkannt werde, liessen sie verlauten. Russland hat jedoch bereits klargemacht, dass es nicht auf den Bürgenstock kommen will.
Mit Rösti an der SVP-Spitze
Der Berner Lüchinger arbeitete zunächst als Jurist im Verteidigungsdepartement und als wissenschaftlicher Mitarbeiter im SVP-Generalsekretariat. Während zwei Jahren war er später auch Generalsekretär der Partei, unter dem heutigen Bundesrat Albert Rösti. Die beiden ticken ähnlich: Sie sind hart in der Sache, aber anständig im Umgang und kompetent. Und beide müssen in den derzeitigen Funktionen mit Kritik ihrer Partei umgehen können. Die SVP sieht die Ukraine-Konferenz kritisch.
Die Volkspartei hatte unter dem Duo wenig Erfolg. Lüchinger zog in Parmelins Stab weiter, wo er für internationale Kontakte zuständig war. Die Leidenschaft für die Beziehungen zu anderen Ländern zieht sich wie ein roter Faden durch seine Karriere. Vor seinem Job als SVP-Generalsekretär war Lüchinger sechs Jahre als Verteidigungsattaché in Abu Dhabi und Kairo stationiert, wo er den Arabischen Frühling miterlebte. In seiner derzeitigen Funktion konnte er ein wertvolles Kontaktnetz aufbauen. So koordinierte Lüchinger im Vorfeld des WEF bereits die Konferenz der Berater für nationale Sicherheit zur Ukraine.
Trotzdem wirkt er nicht abgehoben. Bis heute engagiert er sich in der Lokalpolitik. Für die SVP sitzt er im Gemeinderat von Herzogenbuchsee, wo er für die öffentliche Sicherheit und den Sport zuständig ist. In «Buchsi» lebt auch Lüchingers Vater, der ebenfalls eine unkonventionelle Biografie hat. Er leitete jahrzehntelang die ÖV-Lobby Litra und widmete sich nebenbei der Atlaslogie, einer komplementärmedizinischen Behandlungsmethode. Der Vater engagierte sich in jungen Jahren in der Anti-AKW-Bewegung, ist seit einiger Zeit aber ebenfalls in der SVP-Ortssektion aktiv.
Er dürfte stolz sein, wenn sein Sohn am 10. Juni den nächsten Auftritt hat, an der Seite von Bundespräsidentin Viola Amherd. Zwar bleibt fraglich, ob die Konferenz ein Erfolg wird. Die Schweiz ist damit ein Risiko eingegangen. Doch Lüchinger hat in seinen gut zwei Jahren im EDA schon mehr erlebt als andere während einer ganzen Karriere.