Der Richterspruch aus Lausanne zur abtrünnigen Zürcher Kantonsrätin begünstigt politische Urteile.
Politiker versprechen in Wahlkämpfen gerne das Blaue vom Himmel: weniger Bürokratie, weniger Klimawandel, mehr Wohlstand, mehr Velowege. Einmal im Amt, lösen viele Volksvertreter ihre hochtrabenden Ziele jedoch nicht ein. Das Klima macht, was es will; die Bürokratie wuchert weiter. Die meisten Wahlankündigungen bleiben leere Phrasen.
Das kann und soll man bedauern. Der richtige Weg, mit besonders dreisten Ankündigungsministern oder unfähigen Parlamentariern umzugehen, bleibt in der Schweiz die Abstrafung am nächsten Wahltermin. Wer sich nicht bewährt, steht in Zukunft nicht mehr auf dem Zettel.
Drei Bundesrichter haben diese Woche mit diesem bewährten Prinzip gebrochen. In einem knappen 3:2-Entscheid stellten sie sich an einer öffentlichen Urteilsberatung gegen die Zürcher Kantonsrätin Isabel Garcia. Deren Vergehen: Sie hatte nur elf Tage nach ihrer Wahl ins kantonale Parlament die Partei gewechselt – von der GLP zur FDP. Die Richter fanden, dadurch habe Garcia ihre Wählerinnen und Wähler auf unrechtmässige Art getäuscht.
Es sei wie immer im Leben, sagte ein Richter schulmeisterlich: Handlungen hätten zuweilen halt Konsequenzen. Diese moralische Grundhaltung erinnerte an andere zweifelhafte Gerichtsurteile aus der jüngsten Vergangenheit. Etwa jenes des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den «Klimaseniorinnen» oder jenes des Zürcher Bezirksrichters Roger Harris, der angab, angeklagte Klimaaktivisten konsequent freizusprechen. Politischer Aktivismus jeglicher Art sollte im Gerichtssaal nichts verloren haben.
Die Büchse der Pandora ist offen
Im Fall Garcia gilt es noch einmal festzuhalten: Ihr Manöver war vom Zeitpunkt her mehr als unglücklich – das wurde ausführlichst besprochen. Der Richterspruch aus Lausanne ist jedoch aus mehreren Gründen hochproblematisch. Einer der unterlegenen Bundesrichter sprach zu Recht davon, dass das höchste Gericht des Landes mit seinem Urteil «die Büchse der Pandora» öffne. Man beschliesse de facto ein «Rückgaberecht für Parlamentarier».
Ein solches Rückgaberecht widerspricht fundamental dem in der Bundesverfassung festgehaltenen Instruktionsverbot. Dessen Kerngehalt: Ratsmitglieder üben ihr Mandat in aller Freiheit aus. Wenn sich künftig Gerichte anmassen, zu beurteilen, ob Amtsträger ihre Wähler täuschen, ist das übergriffig – und es begünstigt politische Urteile.
Wenn ein bürgerlicher Politiker beispielsweise im Wahlkampf hoch und heilig verspricht, sich für eine Steuersenkung einzusetzen, es dann aber aus einem triftigen Grund im Parlament doch nicht tut – ist das schon Wählertäuschung? Manche werden das so beurteilen, andere nicht. Sicher ist: Es ist keine Frage, die Juristen entscheiden sollten, sondern Wähler an der Urne.
Das Unheil ist angerichtet
Ein weiterer negativer Aspekt des Urteils: Es stärkt die Bedeutung der ohnehin schon dominanten Parteien auf Kosten der individuellen Politiker. Dabei wird dem Parteienkürzel zu viel Gewicht beigemessen. Isabel Garcia hätte auch in ihrer alten Partei, der GLP, verbleiben, sich in den Abstimmungen im Rat aber konsequent der FDP anschliessen können. Hätte das Bundesgericht dies auch als Wählertäuschung taxiert? Man merkt: Es wird rasch kompliziert, wenn sich Richter in solche Fragen einmischen. Darum sollten sie es bleibenlassen.
Im Fall Garcia ist das Unheil angerichtet. Als Nächstes wird das Zürcher Verwaltungsgericht entscheiden, ob man der Neu-Freisinnigen die vermutete Täuschung auch wirklich nachweisen kann. Abgesehen davon, dass das kaum möglich sein wird, dürften die Ermittlungen eine Weile dauern. Möglich, dass das endgültige Urteil erst nach den nächsten Zürcher Wahlen feststehen wird. Es wäre die absurde Pointe in diesem absurden Rechtsfall.