In der grossen Sommerschau «Dance with Daemons» in Riehen werfen Kunstschaffende einen ungewohnten Blick auf die hochkarätige Sammlung des Museums.
Auf einem Wagen karrt das Museumspersonal ein Seerosenbild von Claude Monet durch die Ausstellungsräume, um es dann an eine Wand zu hängen – ausgerechnet neben ein Aktbild von Marlene Dumas. Ein Beuys-Porträt von Andy Warhol wird abgehängt. Neben einem Gemälde von Francis Bacon kommt Rahmen an Rahmen eine Arbeit von Rudolf Stingel zu hängen. Das ist der Faust-aufs-Auge-Effekt, wie man ihn von den Ständen auf Kunstmessen mit ihrem dichtgedrängten Kunterbunt kennt: Kunst als schiere Materialität – das wird einem jetzt in der Fondation Beyeler gnadenlos in Erinnerung gerufen.
Für gewöhnlich sind Museen wie Kirchen. Das Heiligtum darin ist die Kunst. Andächtig stehen wir vor ihr, sprechen nur im Flüsterton. Wer zu nahe tritt, wird zurechtgewiesen. Oder von einem eindringlichen Piepston daran erinnert, dass er eigentlich stört, höchstens geduldet ist, dass sein Gaffen dem erhabenen Werk vor ihm gar unangemessen sein könnte.
Ganz anders die Kunstmessen: Da ist der Kunde König. Die Kunst aber ist Ware, die ihm feilgeboten wird. Allenfalls ist sie Objet de désir, Beute und Trophäe, wenn der Messebesucher das Checkbuch zückt. Will er mehr sehen, weil ihm nicht genug ist, was ihm geboten wird, eilen schon flinke Gehilfen herbei. Aus einer Abstellkammer wird ein Werk hervorgeholt, ein anderes vom Nagel genommen und beiseitegeschafft. Kunst ist hier austauschbar, Nachschub ist garantiert. Die Nachfrage bestimmt ihren Wert.
Dämonen der Gewohnheit
Dass Kunstwerke keine unantastbaren Götzen sind, sondern letztlich immer zum Gefallen der Menschen geschaffen, daran erinnert jetzt die Fondation Beyeler in ihrer grossen Sommerausstellung. Sie holt die Kunst vom hohen Sockel. Die in Zusammenarbeit mit der Luma-Stiftung erarbeitete Schau «Dance with Daemons» ist ein Experiment. Und darin werden die Karten der modernen Kunstgeschichte neu gemischt. Die Schau lässt, wie der Titel suggeriert, die Dämonen tanzen. Es sind die Phantome unserer abgerichteten und festgefahrenen Kunsterfahrung, die Geister dressierter Gewohnheiten und falscher Ehrfurcht. Fürchtet euch nicht, Gemälde sind letztlich bloss Leinwände auf Keilrahmen, will uns diese unkonventionelle Auslegeordnung sagen.
Erinnert sei hier auch wieder einmal daran, dass der Begründer der Fondation Beyeler, lange bevor er Sammler und Museumsdirektor wurde, vor allem Kunsthändler war. Dies in seinem ganzen Wesen: Ernst Beyeler war ein eingefleischter und gewiefter Geschäftsmann, der wusste, was gerade angesagt war und wofür welche Geldsummen gefordert werden konnten.
Das Material, mit dem er handelte, waren Gemälde und Skulpturen. Auf ihnen prangten Signaturen grosser Namen – ein bisschen wie Marken und Labels der Warenwelt: Picasso, Cézanne, Giacometti hiessen sie. Rund 16 000 Werke gingen durch Beyelers Hände. Ungefähr 180 davon verblieben in seinem Besitz, weil er sich nicht verkaufen konnte oder behalten wollte. Sie bilden den hochkarätigen Grundstock der Sammlung in der Fondation Beyeler. Und werden jetzt herumgefugt wie auf einer Kunstmesse.
Überhaupt wird alles in der grossen Sommerausstellung, die sich durch sämtliche Museumsräume und bis in den Park erstreckt, dauernd verschoben und umgehängt. Und vor allem anders ausgestellt, als das sonst so üblich ist. Da hängt in einem langgezogenen Bilderfries ein Landschaftsbild von van Gogh neben dem anderen. Daran schliessen sich See- und Berg-Bilder von Hodler an. Auch Mondrian wird in einer solchen Parade gezeigt, gemischt mit Kandinsky.
Vernebelter Blick
Dahinter steckt ein ebenso ungewöhnliches Kuratorenteam. Die bunte Zusammensetzung besteht aus dem Museumsdirektor Sam Keller, dem Ausstellungsmacher Hans Ulrich Obrist sowie verschiedenen Kunstschaffenden wie etwa Philippe Parreno oder Tino Sehgal, die in der Schau ihre eigenen Werke unter jene der Sammlung mischen. Oder etwa mit den Sammlungsbeständen ihr Spiel treiben. So haben sie in einem grossen Saal Skulpturen aus den hauseigenen Beständen zu ungewöhnlichen Tête-à-Têtes vereint.
Da blicken sich nun Picassos «Kopf einer Frau (Dora)» und Alberto Giacomettis «Monumentaler Kopf» tief in die Augen. Giacomettis Bronzeplastik des sitzenden Eli Lotar wiederum ist vor Constantin Brancusis Skulptur «Mademoiselle Pogany» platziert, als würde der französische Fotograf die ungarische Künstlerin anbeten. Vor Max Ernsts gehörntem Schachkönig gebärdet sich derweil in lasziver Pose ein weiblicher Torso von Hans Arp. So hat man Kunst noch kaum je gesehen.
Das ist erweckend. Und gemahnt einen daran, wachsam durchs Museum zu gehen. Denn im festgefahrenen Gefüge der grossen Erzählung der Kunstgeschichte läuft man leicht Gefahr, umherzuwandeln wie in einem Traum. Kunst soll überraschen und immer wieder neu entdeckt werden. So sieht es die koreanische Künstlerin Koo Jeong A. Sie hat vor Mark Rothkos Gemälde «Blue and Gray» aus der Sammlung einen schwarzen, in Bronze abgegossenen Felsbrocken gestellt – wohl in der Absicht, die kontemplativ-meditative Wirkung von Rothkos längst allzu bekannter Malerei wieder einmal ins Bewusstsein zu rücken.
Längst gewöhnt hat man sich auch an den still und unverrückbar im Garten der Fondation Beyeler sitzenden, wasserspeienden Hasen von Thomas Schütte – eine monumentale Bronzeplastik, die dort seit Jahren ihren angestammten Platz hat, dass man sie kaum noch wahrnimmt. Das wird einem jetzt bewusst, weil sie von Zeit zu Zeit hinter dichtem Nebel verschwindet. Um dann nur allmählich wieder sichtbar zu werden, wenn sich der weisse Schleier zu lichten beginnt.
Hinter dem Spuk steckt die japanische Installationskünstlerin Fujiko Nakaya. Als erste Kunstschaffende überhaupt arbeitet sie mit Wasserdampf als skulpturalem Medium. Ihre Kunst könnte leichter und flüchtiger kaum sein. Bescheiden stellt sie sich in den Dienst der Wahrnehmung selber. Nakaya lässt auch Renzo Pianos gesamte Museumsarchitektur der Fondation Beyeler im Dunst verschwinden. In den Schwaden erscheint dann das Gebäude wie eine Fata Morgana – eine Halluzination eines heiligen Kunsttempels.
«Dance with Daemons», Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, bis 11. August.