Zwischen dem 6. und dem 9. Juni finden in allen EU-Staaten Wahlen für das Europäische Parlament statt. Hier finden Sie die wichtigsten Informationen über den Ablauf und die Bedeutung dieser Wahl.
Wie funktioniert die Europawahl?
In den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind etwa 373 Millionen Bürgerinnen und Bürger wahlberechtigt. Zu vergeben sind 720 Sitze im Europäischen Parlament (EP) für die zehnte Wahlperiode, die bis 2029 dauert. Damit wächst die Volksvertretung um 15 Sitze. Das Parlament ist das einzige Organ der EU, das seit 1979 alle fünf Jahre direkt von seinen Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird. Die Wahlbeteiligung beträgt meist etwa 50 Prozent (2019: 51 Prozent).
Es gibt kein einheitliches europäisches Wahlrecht, sondern die Mitgliedstaaten haben je eigene Wahlgesetze, die zum Beispiel das Wahlalter festlegen. Aber in der ganzen EU müssen die Wahlen allgemein, frei, direkt und geheim sein.
Die Parlamentssitze sind auf Basis der Bevölkerungszahl auf die einzelnen Mitgliedstaaten aufgeteilt, wobei kleinere Länder mehr Abgeordnete pro Einwohner haben als grosse. Auf Deutschland, den bevölkerungsreichsten EU-Staat, entfallen 96 Sitze, Frankreich erhält 81 und für die drei kleinsten Mitglieder Luxemburg, Malta und Zypern sind es je 6.
Jeder Mitgliedstaat muss die Wahl zwischen Donnerstag, 6. Juni, und Sonntag, 9. Juni, durchführen. Publiziert werden die Ergebnisse ab Sonntagabend. Ab 18 Uhr werden erste nationale Schätzungen erwartet, im Verlauf der Nacht auf Montag ist zumindest mit provisorischen Ergebnissen aus den Mitgliedstaaten und einem vorläufigen Gesamtergebnis zu rechnen.
Was hat das Europaparlament zu sagen?
Viel hat sich getan, seit das Europäische Parlament 1952 als «gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl» ins Leben gerufen wurde. Die ersten Jahrzehnte galt es als besserer Debattierklub mit Abgeordneten aus nationalen Parlamenten, die gelegentlich nach Strassburg reisten. Erst seit 1979 können die Bürger die Europaabgeordneten direkt wählen, wobei diese auch damals wenig mehr als eine beratende Rolle spielten.
Einen Machtzuwachs erfuhr das EU-Parlament erst durch die Verträge von Maastricht (1992) und Lissabon (2009). Inzwischen kann kein Gesetz auf EU-Ebene ohne die Zustimmung der Europaabgeordneten verabschiedet werden. Nach wie vor besitzt das EU-Parlament jedoch kein Vorschlagsrecht – als wahrscheinlich einzige Volksvertretung weltweit. Dafür entscheidet es zusammen mit den Staats- und Regierungschefs («Ministerrat») über den gemeinsamen Haushalt. Und es stimmt ab über den Kommissionsvorsitz sowie die Zusammensetzung der Kommission: Immer wieder kam es in der Vergangenheit vor, dass der eine oder andere Kandidat bei den Anhörungen im Parlament durchfiel.
Die Zeiten, in denen der Spruch galt «Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa», sind vorbei. Das EU-Parlament ist heute mehr als ein Abklingbecken für altgediente Politiker aus den Mitgliedstaaten. Die Parlamentarier stehen allerdings immer wieder im Wettstreit mit den anderen Institutionen, der Kommission und vor allem der Vertretung der Mitgliedstaaten, ohne deren Willen nichts geht.
Welche Parteien treten an?
Im Europäischen Parlament sind zurzeit sieben Fraktionen oder Parteifamilien vertreten: die Europäische Volkspartei (Christlichdemokraten, EVP) mit 176 Parlamentariern, die Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D) mit 139 Abgeordneten, Renew Europe mit 101 Sitzen, die Grünen / Freie Europäische Allianz (FEA) mit 72 Abgeordneten, die Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) mit 69 Abgeordneten und die Linke mit 37 Abgeordneten. Seit dem Ausschluss der deutschen AfD-Delegation hat die Rechtsaussenfraktion Identität und Demokratie (ID) nur noch 49 Sitze. 61 Parlamentarier gehören keiner Fraktion an.
Nach den Wahlen schliessen sich die Parlamentarier meist einer bestehenden Fraktion an oder gründen neue Fraktionen. Darin sammeln sich Abgeordnete mit ähnlicher politischer Ausrichtung aus verschiedenen Mitgliedstaaten. Auch zu einem späteren Zeitpunkt in der Legislaturperiode können Fraktionen gebildet werden. Eine Fraktion muss aus mindestens 23 Parlamentariern bestehen, die aus wenigstens sieben Mitgliedsländern kommen.
Welche Folgen hat die Wahl für Europa?
Die letzten Wahlen von 2019 standen im Zeichen der ökologischen Wende, jetzt dominieren Fragen rund um die Wirtschaft und Migration die Diskussion. Die Auguren sagen einen Rechtsruck voraus. Dass dies zu einer scharfen Kursänderung bei den drei grossen Themen führt, ist unwahrscheinlich: der Wirtschaftspolitik, der Migrationspolitik und der Sicherheitspolitik.
In der Wirtschaftspolitik ist die EU bereits nach rechts gerückt: Das Lieferketten- und das Klimagesetz wurden gelockert. Gleichsam die Speerspitze des Widerstandes gegen die grünen Pläne waren die Landwirte. Auch sie müssen weniger Umweltauflagen befolgen als ursprünglich geplant. Vor allem die Europäische Volkspartei übte erfolgreich Druck auf die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus, die Bauern nicht zu stark mit neuen Vorschriften zu belasten. Von der Leyen fürchtet, Stimmen an rechtsnationale Parteien zu verlieren.
Verknüpft mit dem Thema Wirtschaft ist die Migration. Die europäischen Unternehmen benötigen Zuwanderung, weil sie auf dem Kontinent nicht ausreichend Fachkräfte finden. Gleichzeitig sind viele EU-Bürger der Ansicht, dass zu viele Migranten und Migrantinnen nach Europa kämen. Tritt der vorausgesagte Rechtsruck ein, wird der Druck auf den mühsam ausgehandelten Migrationspakt steigen. Der Preis, der dafür zu entrichten wäre, wollte man dieses Kompromisspaket wieder aufschnüren, wäre allerdings hoch.
Schliesslich könnten auch die Hilfe für die Ukraine und die Fortsetzung der Erweiterungspolitik von einem rechten Parlament abgebremst werden. Ein klarer Kurswechsel ist jedoch auch hier unwahrscheinlich. Zum einen weil die Rechtsaussenparteien in Bezug auf Russland und die Sicherheitspolitik unter sich zerstritten sind. Zum andern weil nicht das Parlament, sondern der Ministerrat die grossen Linien vorgibt.