Im Final der Conference League trifft Olympiakos Piräus am Mittwoch auf die Fiorentina (ab 21 Uhr). Der griechische Verein glänzt dank einem nahbaren Trainer und einem verkannten Stürmer. Der Präsident bedroht Schiedsrichter – und schreibt Schnulzen.
Noch vor wenigen Monaten deutete im griechischen Fussball wenig darauf hin, dass diese Saison historisch werden könnte.
Aus Protest gegen Drohungen und Übergriffe traten die Schiedsrichter im Dezember vorübergehend in den Streik. Kurz danach verhängte die Regierung einen kompletten Zuschauerausschluss für zwei Monate, nachdem ein Polizist an einem Volleyball-Match zwischen den Erzrivalen Olympiakos und Panathinaikos von der Leuchtrakete eines Hooligans getötet worden war. Das griechische Nationalteam verpasste im EM-Play-off wieder einmal eine Turnierqualifikation. Und der Rekordmeister Olympiakos hatte da bereits den vierten Trainer dieser Saison engagiert.
Doch wenn am Mittwoch im nahen Agia-Sofia-Stadion von AEK Athen der Final der Conference League stattfindet, ist der Klub aus Piräus nicht nur wie Phönix aus der Asche auferstanden – er fliegt sogar höher denn je. Bei der 68. Teilnahme an einem europäischen Vereinswettbewerb hat Olympiakos erstmals den Final erreicht. Der Match gegen die Fiorentina ist überhaupt erst das zweite Endspiel eines griechischen Teams nach der Niederlage von Panathinaikos 1971 im Pokal der Landesmeister. Die fussballverrückte Nation steht vor einem Titelgewinn wie beim sensationellen EM-Triumph 2004 mit dem Deutschen Otto «Rehakles» auf der Bank.
«Ich danke Sevilla für den Rauswurf»
Auch das neue Märchen vom Olymp hat viel mit einem auswärtigen Trainer zu tun. José Luis Mendilibar gewann vor einem Jahr noch die Europa League mit Sevilla, wurde dort aber bereits im Herbst wieder entlassen. Seit Februar implementiert der nahbare Baske nun in Piräus seine Prinzipien von offenem Visier, bedingungslosem Pressing und direktem Umschaltspiel. Vor seinem Engagement im FC Sevilla hatte er nie an internationalen Wettbewerben teilgenommen, nun kann Mendilibar plötzlich Fussballgeschichte schreiben – und als erster Coach in aufeinanderfolgenden Jahren mit verschiedenen Klubs einen Europacup-Titel gewinnen. «Ich danke Sevilla für den Rauswurf, sonst wäre das alles nicht passiert», sagt Mendilibar, 63, süffisant über sein neues Abenteuer.
Ομάδα και κόσμος ΕΝΑ! Σας ευχαριστούμε! 🙏🏻🔴⚪️ pic.twitter.com/v4YiNlByhf
— Olympiacos FC (@olympiacosfc) April 19, 2024
Was Mendilibar in Piräus bewerkstelligt hat, übertrifft noch den Husarenritt vom Vorjahr, als er den FC Sevilla ebenfalls während der Saison übernommen hatte. Im Achtelfinal gegen Maccabi Tel Aviv war Olympiakos nach einer 1:4-Heimniederlage praktisch erledigt – das Rückspiel gewann der Klub dann 6:1 nach Verlängerung. Im Viertelfinal gegen Fenerbahce in der «Hölle von Istanbul» parierte das von Mendilibar ins Team beorderte Goalietalent Konstantinos Tzolakis im Penaltyschiessen drei Elfmeter. Und im Halbfinal deklassierte Mendilibars Equipe den vom baskischen Landsmann und vierfachen Europa-League-Gewinner Unai Emery trainierten Premier-League-Vierten, Aston Villa – 4:2 auswärts, 2:0 daheim.
Fünf der sechs Treffer gegen die Engländer erzielte der Stürmer Ayoub al-Kaabi. Auch seine Geschichte könnte wundersamer kaum sein. Der 30-jährige Marokkaner war zwar lange einer der besten Torjäger Afrikas und noch in der WM-Qualifikation 2022 der beste Goalgetter seines Landes, ehe er überraschend aus dem Endrundenkader gestrichen wurde.
Abgesehen von einem Abstecher zu Hatayspor in die Türkei aber hatte Kaabi noch nie in Europa reüssiert oder gar im Europacup gespielt. Nun erzielte er in acht K.-o.-Spielen der Conference League zehn Treffer; immer effizient und gut postiert, bisweilen sogar spektakulär mittels Fallrückzieher. Noch ein paar Tore am Mittwoch, und Olympiakos würde als Titelträger zum leuchtenden Vorbild für Underdogs aus kleineren Ligen – ganz wie es die Uefa mit der Einführung der Conference League 2021 im Sinne hatte.
Allerdings sehen die Griechen normalerweise eher die Champions League als ihr Habitat. Piräus trägt den Lorbeerkranz antiker Olympiasieger im Wappen und wird von rund einem Drittel der Griechen unterstützt. Der Verein gehört mit etwa 100 000 zahlenden Mitgliedern zu den grössten Sportklubs der Welt und entfacht bei Heimspielen eine Stimmung, die manche als eine der besten, andere als eine der gefährlichsten in Europa bezeichnen.
Der Präsident ist schwerreich und unterstützt soziale Projekte
Als ambivalente Figur gilt auch der schillernde Olympiakos-Präsident Evangelos Marinakis. Der schwerreiche Reeder, Medienunternehmer, Politiker und Philanthrop sieht sich immer einmal wieder mit Ermittlungen wegen Korruption, Schiedsrichterbeeinflussung oder sogar Beihilfe zum Heroinschmuggel konfrontiert, kann aber darauf verweisen, bisher stets freigesprochen worden zu sein. Er engagiert sich glaubwürdig mit sozialen Projekten für Flüchtlinge, die Armen oder die Umwelt.
Daneben besitzt Marinakis auch den Premier-League-Klub Nottingham Forest sowie den portugiesischen Erstligisten Rio Ave. Und wenn er nicht gerade durch das Kicken von Bällen auf den Platz einen Spielabbruch zu provozieren versucht wie in der vergangenen Saison im Spitzenspiel gegen AEK, betätigt er sich sogar als Songwriter. Der griechischen Sängerin Natasa Theodoridou schrieb er 2021 den Hit «Exapsi»: «Ich werde rot am ganzen Körper, wenn ich dich sehe / Du wirst zu einem stillen Schrei / Der Liebe geht der Atem verloren / Der Kreis des Lebens schliesst sich».
Wenn schon keinen Europacup-Titel, so könne Marinakis ja vielleicht einmal den Eurovision Song Contest gewinnen, witzelten die Fans, als der Song erschien. Doch kürzlich hat Olympiakos bereits den Titel in der Uefa Youth League errungen, durch ein 3:0 im Final gegen die AC Milan. Am Mittwoch könnte sich der Kreis auch bei den Grossen schliessen.