Vor der bretonischen Küste ragt ein Leuchtturm nur wenige Meter aus dem tosenden Meer. Der einstige Wärter hat dem Ort ein Buch gewidmet.
Jean-Pierre Abraham wurde 1936 in Nantes geboren, bis zu seinem Tod 2003 lebte er in der Bretagne. Nur einmal, fünf Jahre lang, wohnte er mit seiner Familie in der Provence. Ausgerechnet dort schrieb er das Journal über seine Erfahrungen als Leuchtturmwärter Anfang der 1960er Jahre. Er schlug sogar ein Angebot der legendären Pariser Literaturzeitschrift «Tel Quel» aus, die ihn als Mitarbeiter wollte. Auf Deutsch erschien das Buch «Der Leuchtturm» erstmals 2010, jetzt ist es wieder erhältlich in neuer Ausgabe, durchgesehen und mit einem kundigen Nachwort der Übersetzerin, die den Autor vorstellt und sein Buch deutet.
Der Leuchtturm Ar-Men («der Stein») ruht auf einem nur 100 Quadratmeter grossen Felsen vor der bretonischen Küste, er ragt kaum aus dem Meer. So muss man ständig den Eindruck haben, auf dem Nichts zu stehen. Seine Errichtung erforderte übermenschliche Anstrengungen. Vierzehn Jahre dauerte der Bau, von 1867 bis 1881, man konnte immer nur «ein paar Arbeitsstunden pro Jahr» mauern, eine Knochenarbeit, die an Sisyphos erinnert haben muss; Abraham schreibt darüber ganz am Schluss einige Sätze.
In der Hölle der Höllen
2018 erschien ein Buch mit demselben Titel des italienischen Schriftstellers Paolo Rumiz, der sich mit dem Mythos der Insel an sich beschäftigt. Abraham schaut eher auf die Elementarkräfte, denen er allein gegenübersteht. Ihm geht es um das Phänomen unbedingter Einsamkeit.
Die Leute nennen den Turm «die Hölle der Höllen». Tatsächlich scheint er sich ausserhalb dieser Welt zu befinden, mithin der richtige Ort zu sein, Abrahams Lebenswunsch zu erfüllen, nämlich «jene Einsamkeit zu erreichen, über die es nichts mehr zu sagen gibt».
Erst dann wohl hat man die pure Existenz erreicht, sie wird hier gesucht, nicht der Sinn des Lebens. Und er hat dann doch so einiges zu sagen. Erst wer die Angst kennt, kann mit Rettung rechnen, zum Beispiel. Obwohl er damals in einer Fernsehreportage versichert hat, dass er sich nicht von den Menschen abwenden wolle, hat das Unternehmen etwas Misanthropisches, vielleicht ist es nicht anders zu machen.
Zwar versieht man seinen Dienst im Leuchtturm immer zu zweit, aber der Kollege, ob er nun Martin oder Clet heisst, ist beinahe ein notwendiges Übel. Clet «redet viel zu viel». Und Martin hat einen «grässlich bleichen Schädel», der tatsächlich einem Totenkopf gleicht. Erst in der Todesgefahr, als Wasser in den Turm eindringt, erkennt er den Freund in ihm.
Die Existenz des Einsiedlers, die er im Turm zu führen lernt, bleibt ihm dennoch wichtiger, eben existenzieller: «Ich mag dieses Dasein, das sich so wenig aus der Welt da draussen macht, ich liebe seine Art, zur Ordnung zu rufen.» Das Treppenhaus des Turms: Ist es nicht eine Art Kreuzgang? Und ist der Leuchtturmwärter nicht eine Art Mönch?
In sich ruhend
Der Königsweg führt über die Geduld, damit erlernt Abraham die Intensität, hier kann man neben sich stehen und zugleich in sich ruhen. Am Ende, denkt er, kann er vielleicht sogar ein «guter Steuermann» werden, der «Sorglosigkeit und Streitsucht» in sich vereint. Es ist eine weise und humorvolle Erkenntnis.
Drei Bücher begleiten seinen Aufenthalt: ein Bildband von Vermeer, in dessen «Briefleserin» er «das blanke Antlitz der Angst» erkennt, eine Gedichtsammlung von Pierre Reverdy, einem surrealistischen, später religiösen Dichter und Freund von Picasso, Braque und Matisse, sowie ein Buch über ein Zisterzienserkloster, «das ich zweifellos nie besuchen werde», wie Abraham schreibt. Das wird er auch nicht müssen, denn er war im Leuchtturm.
Jean-Pierre Abraham: Der Leuchtturm. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Ingeborg Waldinger. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2024. 188 S., Fr. 30.90.