Um die ambitionierten Klimaschutz-Ziele zu erreichen, muss die indische Regierung aber noch einige Probleme angehen.
Die Bilder sind eindrücklich, da reihen sich Tausende blau-schwarz glänzende Photovoltaik-Anlagen aneinander, die Fotos aus den indischen Wüsten zeigen PV-Anlagen, die bis zum Horizont reichen. In den vergangenen Jahren sind in Indien zahlreiche solche grossflächige Solar-Parks entstanden. Den grössten, den Bhadla Solar Park in der westindischen Wüste von Rajasthan, sieht man sogar vom Weltraum aus. Und Bhadla wächst weiter. Indien hat in den vergangenen Jahren einen Solar-Boom erlebt.
Zwar wurden die Reformen schon von seiner Vorgängerregierung auf den Weg gebracht, aber die Regierung von Premierminister Narendra Modi setzt seit ihrem Amtsantritt 2014 konsequent auf den Ausbau von erneuerbaren Energien. Indiens Wirtschaft wächst stark und damit auch der Hunger nach Strom. Die Regierung Modi hat klargemacht, dass dieser Strom in Zukunft zu grossen Teilen nachhaltig produziert werden soll – die wichtigste Rolle spielt dabei Solarstrom.
Abhängig von Kohle
Indien ist stark vom Klimawandel betroffen und erwartet diesen Sommer wieder rekordverdächtige Hitzewellen. Gleichzeitig ist das Land abhängig von Kohle: Etwa drei Viertel des indischen Stroms werden so produziert, die ganze Wertschöpfungskette ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, davon profitieren die grossen Konglomerate, aber auch die staatliche Eisenbahn, die die Kohle transportiert.
Indien hat sich am globalen Klimagipfel 2021 in Glasgow geweigert, das Netto-Null-Ziel bereits für 2050 auszurufen, und hat sich stattdessen auf 2070 festgelegt. Vor allem im Westen sorgte das für Irritationen. Indiens Argument: Eine schnellere Reduktion von Kohle würde Indiens Wirtschaftswachstum schaden. Indien ist derzeit der viertgrösste Verursacher von Kohlendioxid hinter China, den USA und der EU – wegen Indiens riesiger Bevölkerung ist der Pro-Kopf-Ausstoss allerdings viel tiefer.
Ebenfalls am Klimagipfel 2021 hat Indien versprochen, dass es bis 2030 die Hälfte seines Stroms nachhaltig produzieren werde. Die Ziele in Indiens nationalem Elektrizitätsplan liegen leicht darunter. Bis 2032 sollen 44 Prozent des Stroms von erneuerbaren Energien produziert werden, die Mehrheit davon aus Photovoltaik.
«Wir fügen jedes Jahr viel Solarkapazität hinzu. Genug, um ein kleines Land mit Strom zu versorgen», sagt Neshwin Rodrigues vom Think-Tank Ember Climate.
Von 13 zu 81 GW in sieben Jahren
Tatsächlich sind die Wachstumszahlen bemerkenswert. Spätestens seit 2017 setzt Indien konsequent auf den Ausbau der Solarenergie. Ende März 2017 hatte das Land Kapazität von knapp 13 Gigawatt (GW) für die Produktion von Solarstrom. Ende März 2024 kann Indien laut der Regierung bereits 81 GW Solarstrom produzieren. Jährlich kommen rund 15 GW hinzu. Zum Vergleich: Die gesamte EU hat derzeit eine Kapazität von 56 GW. Ausser in den USA und China werden nirgendwo mehr Solaranlagen gebaut als in Indien.
Nur: Um die ambitionierten Pläne der Regierung zu erreichen, braucht es noch schnelleres Wachstum. Bis 2032, dem Planungshorizont für den nationalen Elektrizitätsplan, will Indien 365 GW erreichen. «Um das zu schaffen, müssten jährlich 36 GW hinzukommen», sagt Rodrigues, und das sei es, wo die Schwierigkeiten liegen.
Das erste Problem ist die Verfügbarkeit von Land. Indien hat bei seinem Photovoltaik-Ausbau bisher auf riesige Solarparks gesetzt. Anders als zum Beispiel europäische Länder wurden die Privathaushalte weniger in die Pflicht genommen.
Die riesigen Solarparks in den Wüsten des Landes waren laut Rodrigues «tief hängende Früchte». Von nun an könnte es schwieriger werden, grosse Solarparks zu bauen. Heute wird nur ein kleiner Teil des indischen Solarstroms auf den Dächern des Landes produziert. Die Regierung hat das Problem erkannt, Anfang Jahr erklärte sie, 10 Millionen Hausdächer mit Solaranlagen ausstatten zu wollen – die Haushalte erhalten mit dem Programm gratis Strom. Bisher gab es für Privathaushalte in Indien kaum einen Anreiz, eine PV-Anlage zu installieren, der Strom ist sowieso stark subventioniert, er wurde mit einer Solaranlage nicht billiger.
Ein zweites Problem für Indien ist die Speicherung des Stroms. Es gibt im Land heute kaum Speicherkapazitäten für Solarstrom, er muss dann verbraucht werden, wenn er produziert wird, sprich während des Tages. Elektrizität, die am Abend oder in der Nacht gebraucht wird, muss weiterhin mit Kohle produziert werden. Im vergangenen Jahr kam es in Indien immer wieder zu Stromausfällen – in den heisser werdenden Sommern laufen die Klimaanlagen und Ventilatoren auch am Abend. Kritiker des Solarstroms forderten im vergangenen Jahr den Bau neuer Kohlekraftwerke, um der mangelnden Stromversorgung Herr zu werden.
Und die Regierung hat dem nachgegeben: Parallel zum Ausbau der Solarenergie baut Indien auch neue Kohlekraftwerke, um Stromausfälle zu verhindern.
Einmischung in die Produktion
Aber das vielleicht grösste Problem, um schnell mehr Solarstrom zu produzieren, ist ein hausgemachtes. Die indische Regierung möchte die Herstellung, eigentlich die ganze Wertschöpfungskette des Solarstroms, im Land behalten. Sprich: Solarpanels, Batterien – alles soll in Indien produziert werden.
Die Regierung hat hohe Importzölle auf PV-Anlagen aus China erhoben und gleichzeitig mehrere Massnahmen erlassen, um die lokale Produktion anzukurbeln. Betreiber von Solarprojekten müssen ihre Infrastruktur von sogenannten «genehmigten Herstellern» einkaufen. Die Liste wurde von der Regierung erstellt. Sie gilt für alle Projekte, in denen die Regierung irgendwie involviert ist – also fast alle. Auf der Liste sind nur indische Hersteller.
Vibhuti Garg ist Südasien-Analystin des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) und sagt, in den vergangenen Jahren seien immer wieder Projekte aufgeschoben worden, weil regulatorische Unklarheit geherrscht habe. So wurde die Liste mit den genehmigten Herstellern letztes Jahr ausgesetzt und ist nun wieder aktiv. Die heimische Produktion sei zum Flaschenhals geworden für den schnellen Ausbau der Solarinfrastruktur, sagt Garg. Zwar sei die lokale Herstellung von Solaranlagen stark gewachsen, «aber sie kann den nötigen jährlichen Solar-Ausbau nicht bewerkstelligen. In zwei Jahren werden wir genug eigene Anlagen herstellen, um das Ausbauziel zu erreichen, aber im Moment noch nicht.»
Der Eingriff der Regierung führt zu Verwirrung, weil sie einerseits Produktion für lokale Projekte will, aber auch den Export ankurbeln möchte. Indiens Exporte von PV-Anlagen in die USA wachsen – die USA bauen mehr und mehr Solaranlagen und verlassen sich dabei vermehrt nicht mehr auf chinesische, sondern auf indische Hersteller. Diese Anlagen fehlen in Indien selber. So dass am Ende doch wieder PV-Anlagen aus China importiert werden müssen.
Riesiges Potenzial
Findet Indien einen Weg, in den nächsten Jahren all diese Probleme anzugehen und seine Solarkapazitäten schneller auszubauen, ist das Potenzial für Solarenergie in Indien enorm – da sind sich die befragten Experten einig. Auch Windkraft dürfte bei Indiens Übergang zu erneuerbaren Energien eine Rolle spielen, Indien hat in den windigeren Küstenregionen Windparks gebaut. Aber mit 300 Sonnentagen im Jahr ist Indien prädestiniert für Solarstrom.
Der indische Übergang von Kohle zu erneuerbaren Energien hat auch das Interesse von internationalen Investoren geweckt. 6,1 Milliarden Dollar ausländischer Direktinvestitionen sollen laut der Regierung seit 2020 in Indiens Photovoltaik-Sektor geflossen sein. Ob das reicht, um die Wachstumsziele zu schaffen, ist unklar. Laut einem Bericht von Ember Climate benötigt Indien zur Erreichung seiner Ziele bis 2032 insgesamt 293 Milliarden Dollar – diese müssten in Solarparks, Batterien und auch in die Netzübertragung investiert werden.
Selbst wenn Indien sein Ziel von 365 GW bis 2032 verpassen sollte, werde es dennoch eine eindrückliche Zahl an Solarkapazität aufgebaut haben, ist sich Fernandes von Ember Climate sicher: «Vielleicht sind auch 300 GW genug, um unsere Emissionsziele zu erreichen.»
Garg vom IEEFA ist vorsichtiger, sie sagt: «Wir haben riesiges Potenzial in der Solarenergie. Und die Regierung hat erkannt, dass wir derzeit nicht genug Kapazitäten hinzufügen.» Die ersten Massnahmen seien auf dem Weg, dieses Jahr sollen dem Netz 18 GW Solarstrom-Kapazität hinzugefügt werden.