Der Justizminister geht an seine Schmerzgrenze und stellt sogar Schengen infrage.
Beat Jans dürfte am Freitagvormittag Höllenqualen ausgestanden haben. Die Schweizer Landesregierung hat an ihrer Sitzung beschlossen, bis im September strengere Grenzkontrollen einzuführen. Noch vor gut einem Monat hatte der SP-Bundesrat in einem Interview gesagt, Personenkontrollen finde er «unschön».
Damit kritisierte er zum wiederholten Mal das Vorgehen der deutschen Innenministerin Nancy Faeser. Diese hat bereits im vergangenen Herbst strengere Kontrollen an den deutschen Landesgrenzen zur Schweiz, zu Polen und zu Tschechien eingeführt – mitten im Schengenraum, der einst ein Europa ohne Grenzkontrollen vorsah.
Beat Jans, ein EU-Turbo aus dem kontrollarmen Dreiländereck, haderte lange mit der Politik seiner Amts- und Parteigenossin Faeser. «Das tut weh», sagte er nach einem gemeinsamen Treffen in Basel über das strenge Regime im Nachbarland. Nun ist es ausgerechnet Jans, der seinen Bundesratskollegen beantragte, die Kontrollen auch an den Schweizer Grenzen zu intensivieren.
Gössi: Bundesrat «endlich erwacht»
Gemäss dem Antrag will man während der Fussball-EM in Deutschland und der Olympischen Sommerspiele in Frankreich die Kontrollen über die Sommermonate verstärken. Dies aufgrund der erhöhten Terrorgefahr. Der Islamische Staat habe zu Angriffen auf die Grossanlässe aufgerufen. Die Schweiz stehe zwar weniger im Fokus, so der Bundesrat, dennoch gebe es auch hierzulande potenzielle Angriffsziele im öffentlichen Raum, etwa bei Public Viewings.
Mit der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock Mitte Juni steht zudem ein Grossanlass auf dem Programm, der die Schweiz exponieren wird. Der Bundesrat legte bei der Kommunikation viel Wert darauf, kein allzu grosses Aufheben rund um den Entscheid zu machen. Die verstärkten Kontrollen würden im Rahmen des bestehenden Zolldispositivs gemacht. Das heisst, dass die bisherigen Kontrollen an den neuralgischen Übergängen intensiviert werden. Als Nichtmitglied der Europäischen Zollunion hat die Schweiz hier etwas Spielraum.
Gleichzeitig dürfte Bundesrat Jans auch den Eindruck vermeiden wollen, dass er seine bisherige Politik gleich ganz über den Haufen werfen muss. Strengere Grenzkontrollen tun ihm nicht nur weh. Der Justizminister betonte auch immer wieder, dass er sie – im Gegensatz zu Faeser in Deutschland – für nutzlos hält. «Die Wirkung ist klein, aber der Aufwand dafür ist gewaltig. Hinzu kommen negative Folgen wie Staus an den Grenzübergängen», sagte Jans nach hundert Tagen im Amt.
Die Medien folgten ihm. Grenzkontrollen seien «billige Symbolpolitik» und würden «überschätzt», kommentierten die Zeitungen der TX Group. Die Debatte bezog sich bis dato vor allem auf die illegale Migration, die Probleme im Asylbereich und auf den Druck der SVP. Die grösste Fraktion im Bundeshaus versammelte sich diese Woche vor dem Bundeshaus West, wo Jans’ Justizdepartement untergebracht ist, um die Lancierung ihrer Grenzschutzinitiative zu verkünden.
Ist die Wirkung intensivierter Kontrollen bei Terrorgefahr höher als bei illegaler Migration? Und ist die Schweizer Bevölkerung nach den Grossanlässen im Ausland wieder sicherer? Man habe weiterhin «keine einschlägigen Hinweise» dafür, dass verstärkte Grenzkontrollen ein wirksames Instrument «zur Eindämmung der irregulären Migration» seien, schreibt das Justizdepartement.
Was nicht weiter erstaunt, zumal Jans dahin gehend auch noch gar nichts unternommen hat, illegale Grenzübertritte engmaschiger zu kontrollieren. Petra Gössi jedenfalls ist froh, dass der Bundesrat «endlich erwacht» sei. Für die FDP-Ständerätin spiele es in der Praxis keine Rolle, ob die Grenzwächter nach illegalen Migranten oder terroristischen Gefährdern Ausschau halten müssten. Der politische Wille und die Ressourcen seien entscheidend.
Parmelin wollte mehr
Auch die SVP unterscheidet nicht zwischen den Gründen für eine verstärkte Kontrolle. Sie sieht sich im bundesrätlichen Entscheid vom Mittwoch vor allem bestärkt. Dieser sei ein «unfreiwilliges Geständnis» der Landesregierung, dass systematische Grenzkontrollen sehr wohl etwas brächten. Und auch Jans selbst glaubt ganz offensichtlich daran, dass sich eine Landesgrenze sichern lässt. Der Justizminister soll an seine Schmerzgrenze gegangen sein und seinen Bundesratskollegen zwei Varianten vorgeschlagen haben. Die beschlossene im Rahmen des bisherigen Dispositivs. Und eine, die weiter gegangen wäre.
Dem Vernehmen nach soll Jans auch die formelle Einführung von Binnengrenzkontrollen nach dem Beispiel Deutschlands zur Debatte gestellt haben. Dafür hätte der Bundesrat jedoch die EU-Kommission in Brüssel begrüssen müssen – was wiederum das Schengener Abkommen infrage gestellt hätte. Den Vorschlag aus dem Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin, diese Variante zu wählen, hat der Bundesrat aber abgelehnt. Was bei den herrschenden Mehrheitsverhältnissen darauf hinweisen könnte, dass es die Schengen-kritische Variante auch bei den FDP-Bundesräten schwer gehabt hat. So schmerzhaft der Entscheid für Jans ist, er könnte erst der Anfang eines Leidenswegs sein.