Sie übernehmen das Co-Präsidium der Sozialdemokraten: die wichtigsten Antworten zu Michèle Dünki-Bättig und Jean-Daniel Strub.
Die zweitstärkste Partei im Kanton Zürich bekommt an diesem Samstag ein neues Co-Präsidium. Die Kantonsrätin Michèle Dünki-Bättig aus Glattfelden und der langjährige Stadtzürcher Gemeinderat Jean-Daniel Strub treten ohne Konkurrenz zur Wahl an.
Wo wollen sie die Zürcher SP hinführen?
Ihr erklärtes Ziel ist es, den zweiten Zürcher Regierungssitz zurückzuholen, der durch den Parteiaustritt von Mario Fehr verlorenging, und im Kantonsrat zuzulegen. Deshalb wollen sie in der Agglomeration und in ländlichen Gebieten punkten. Inhaltlich setzen sie dabei vor allem auf das Thema Kaufkraft, insbesondere auf eine Reduktion der Wohnkosten. Auch die Preise für den öffentlichen Verkehr sollen sinken.
Ist ein spürbarer Kurswechsel zu erwarten?
Kaum, ihre Wahl steht für Kontinuität. Die Parallelen zur bisherigen SP-Führung gehen so weit, dass man von einem 1:1-Ersatz sprechen kann.
Michèle Dünki-Bättig ist als Gemeinderätin im ländlichen Glattfelden wie zuvor Priska Seiler Graf eine Garantin dafür, dass in der SP auch Lebensrealitäten ausserhalb der grossen Städte Gehör finden. Zudem ist sie eine klassische Gewerkschafterin, die sich für die Interessen der Staatsangestellten einsetzen wird, wie es zuvor Andreas Daurù getan hat: Sie steht wie ihr Vorgänger dem Zürcher Verband des Personals öffentlicher Dienste vor.
Der Stadtzürcher Jean-Daniel Strub vertritt wie der Winterthurer Daurù eine urbane SP. Und genau wie dieser ist er kein ideologischer Lautsprecher, sondern gilt als moderater, konsensorientierter Sozialdemokrat, der offen für andere Meinungen ist.
Einen eigenen Akzent setzt das Duo allenfalls bei der Digitalisierung und künstlicher Intelligenz in der Arbeitswelt, für die sich beide stark interessieren. Sie betonen statt der Risiken die Chancen und pochen darauf, dass die Produktivitätsgewinne den Angestellten zugutekommen müssen – gerade im Gesundheitswesen. Konkret fordern sie bessere Abläufe und kürzere Arbeitstage.
Er kommt aus der Stadt, sie vom Land: Jean-Daniel Strub und Michèle Dünki-Bättig.
Wächst der Einfluss der kompromisslosen Stadtzürcher SP?
In der Stadt Zürich ist die SP eine andere Partei als in Bülach oder Hinwil: kompromissloser in ihrer Agenda, die sie als progressiv versteht. Das färbt auf die Kantonalpartei ab, denn fast die Hälfte der rund 6000 Parteimitglieder lebt in Zürich – und macht sich bemerkbar, wenn Richtungsentscheide gefällt werden, zum Beispiel zur Genderquote.
Im kantonalen SP-Präsidium war die Stadtzürcher Sektion jedoch seit 2008 nicht mehr vertreten. Stattdessen übernahm für einige Jahre mit Daniel Frei aus dem Zürcher Unterland sogar ein Vertreter jenes sozialliberalen Parteiflügels, an dem sich linke SP-Mitglieder stark reiben.
Mit Jean-Daniel Strub kommt jetzt ein Vertreter der Stadtpartei an die Macht, aber ein untypischer. Einer, der eher einmal den Kompromiss sucht – wie die ländlichen Sozialdemokraten, die aus einer Minderheitsposition politisieren. Das neue Co-Präsidium verspricht, dass in der SP keine Sektion zu viel Gewicht erhalten solle. Fürs gegenseitige Verständnis sei es hilfreich, dass sie beide einen unterschiedlichen Hintergrund mitbrächten.
Was sagen politische Gegner über die neue SP-Führung?
Jean-Daniel Strub galt unter Bürgerlichen im Zürcher Gemeinderat, wo er jahrelang politisierte, als Ausnahmeerscheinung: ein Sozialdemokrat, der ungeachtet der Machtfülle seiner Partei konziliant blieb. Kein Scharfmacher, sondern ein überlegter und bisweilen etwas verkopfter Sachpolitiker, der trotz allen Differenzen auf die andere Seite zuging.
In den Nationalratswahlen wurde Strub auf der SP-Liste jeweils nach hinten gereicht – es schien, als seien solche Typen in der Partei nicht mehr gefragt. Daher ist man bei der FDP und der SVP positiv überrascht, dass er es jetzt an die Spitze der kantonalen SP schafft.
Inhaltlich habe Strub zwar Offenheit für Themen abseits des SP-Mainstreams gezeigt, zum Beispiel für die Sorgen des Gewerbes. Er politisiere aber voll auf Linie seiner Partei – und habe sich im Gegensatz zu manchen Altlinken auch neue, woke Anliegen zu eigen gemacht.
Auch Michèle Dünki-Bättig ist in den Augen ihrer politischen Gegner eine Linke ohne Wenn und Aber. Aber auch sie fällt ihren Gegnern durch ihre Art positiv auf. Mit ihren erst 35 Jahren werde sie vielleicht unterschätzt, aber im Kantonsrat beweise sie viel Reife.
Sie zeichne sich durch Direktheit aus, sei speditiv und gut organisiert, habe Humor und schaffe es, die Vertreter anderer Parteien abzuholen. Das liege wohl daran, dass sie darin als einzige Linke in einem bürgerlich geprägten Gemeinderat Übung habe.
Linksaussen oder in der Mitte: Wo stehen die beiden?
Die Smartvote-Profile zeigen, dass beide am äusseren linken Rand ihrer Partei zu verorten sind. Sie schrecken auch vor starken Eingriffen des Staates nicht zurück – etwa beim Klimaschutz. Beide halten nichts davon, nur auf Anreize statt auf Verbote zu setzen. Sonst gelange man nicht ans Ziel, davon ist Strub überzeugt.
Dünki-Bättig sprach sich während der Pandemie auch für einen Impfzwang aus. Strub, der ein Buch über den Freiheitsbegriff aus linker Optik veröffentlicht hat, zeigt sich in dieser Frage eine Spur vorsichtiger. Etwas liberaler als seine gewerkschaftlich geprägte Co-Präsidentin ist er auch in der Frage der Ladenöffnungszeiten. Da ist er punktuell für Lockerungen zu haben.
Wie halten sie es mit woken Juso-Forderungen?
Die Juso und mit ihr der SP-Nachwuchs erwarten vom nächsten Präsidium, dass es dezidierter Stellung bezieht für Queer-Feminismus und gegen die Klimakrise, den Kapitalismus und Rechtsextremismus.
Dünki-Bättig und Strub sind nicht als Avantgarde einer solchen Programmatik aufgefallen. Da sind andere wie die LGBTQ-Aktivistin und Polit-Influencerin Anna Rosenwasser präsenter, die sich in den letzten Nationalratswahlen prompt an den beiden vorbeischob. Und als Dünki-Bättig in einem SP-Podcast einmal gefragt wurde, ob der Kapitalismus überwunden werden müsse, zögerte sie und sagte dann: «Das stelle ich mir recht schwierig vor.»
Dennoch kündigt das neue Duo an, dem Anspruch der Juso «nach Kräften gerecht zu werden» – es handle sich dabei um «ursozialdemokratische» Anliegen.
Beide haben die Gleichstellung in der Vergangenheit als zentrales Anliegen bezeichnet – ausdrücklich auch jene von queeren und trans Personen. Strub hinterfragt als Präsident des Vereins Männer.ch patriarchale Normen aus einer männlichen Optik. Er spricht sich für ein drittes Geschlecht aus und ist auch offen für die Idee, bis zum 18. Lebensjahr ganz auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten.
Beide wollen zudem mit der SP der «schleichenden Normalisierung gewisser weit rechts stehender Tendenzen» entgegentreten. Dünki-Bättig bezeichnete es 2020 öffentlich als positiv, dass Black-Lives-Matter-Proteste wie in den USA auch in der Schweiz stattfanden. Die hiesige Gesellschaft müsse sich ihrem strukturellen Rassismus stellen.