Seit den 2010er Jahren fühlen sich immer mehr junge Menschen im falschen Körper. Die Zahl der Geschlechtsoperationen ist stark gestiegen. Mediziner vermuten dahinter auch ein soziales Phänomen.
Die Diagnose «Störung der Geschlechtsidentität» hat sich in der Altersgruppe der Fünf- bis Vierundzwanzigjährigen innerhalb von zehn Jahren verachtfacht. Das geht aus den Ergebnissen einer repräsentativen Studie hervor, in der zum ersten Mal deutschlandweite Abrechnungsdaten der kassenärztlichen Vereinigungen von 2013 bis 2022 ausgewertet wurden.
Die Daten zeigen, dass im Jahr 2013 lediglich 22,5 von 100 000 männlichen und weiblichen Versicherten die Diagnose Transsexualismus erhielten. Im Jahr 2022 lag die Zahl bei 175 je 100 000 Versicherten. Bei Mädchen im Teenageralter ist die Diagnose in allen untersuchten Jahren besonders häufig.
Ausserdem stellte sich heraus, dass eine Mehrheit der Kinder und jungen Erwachsenen mit einer gestörten Geschlechtsidentität im Jahr 2022 auch mindestens eine weitere psychische Diagnose erhalten hatte, beispielsweise depressive Verstimmungen oder eine Borderline-Störung. Bei den Knaben waren etwa 67 Prozent und bei den Mädchen etwa 76 Prozent betroffen.
Diagnose trans ein Zeitgeistphänomen?
Zahlen von «Statista» zeichnen ein ähnliches Bild. Die sogenannten geschlechtsangleichenden Operationen sind in Deutschland im Zeitraum von 2016 bis 2021 stark gestiegen, die meisten Patienten sind weiblich. Während es im Jahr 2016 rund 1500 dieser Operationen gab, waren es im Jahr 2021 knapp 2600 – ein Anstieg von 70 Prozent. In der Schweiz ist eine ähnliche Zunahme zu verzeichnen.
Für den rasanten Anstieg der Diagnose transgender sehen Experten mehrere mögliche Gründe. Ein Grund könnte das erhöhte Bewusstsein für Transsexualität sein. Ein anderer das Phänomen der sozialen Ansteckung. Soziale Ansteckung bedeutet, dass bestimmte Verhaltensweisen oder Überzeugungen in einer Gruppe geradezu ansteckend wirken, ähnlich wie sich eine Viruskrankheit verbreiten würde.
Beim Thema transgender scheinen besonders junge Menschen betroffen zu sein. Der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte wies im Gespräch mit der NZZ darauf hin, dass für junge Menschen die Diagnose ein Zeitgeistphänomen sei, das durch soziale Netzwerke und Influencer verstärkt werde. Bei älteren Menschen gebe es keinen vergleichbaren Anstieg der Diagnose.
Meist hält die Diagnose dem Test der Zeit nicht stand: Nach fünf Jahren hat laut den Studienergebnissen nur noch etwa ein Drittel der Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren eine gestörte Geschlechtsidentität. Bei den Mädchen im selben Alter waren es sogar nur rund 27 Prozent, bei denen die Diagnose bestehen blieb. Ein ähnlicher Trend zeigt sich in internationalen Studien.