Langwierige Verfahren, Kritik von internationalen Instanzen, Verdacht mangelnder Unabhängigkeit: Die Schweizer Sportgerichtsbarkeit gibt ein schlechtes Bild ab. Jetzt kommt es zu einer Reform.
Wenigstens in einer Sache sind sich die Dopingjäger von Swiss Sport Integrity (SSI) und die Unterstützer von Mathias Flückiger einig: Der Streit darüber, ob der Mountainbiker vor knapp zwei Jahren zu einer illegalen Substanz gegriffen habe, dauert schon viel zu lange.
Vor wenigen Tagen sprach die Disziplinarkammer des Schweizer Sports (DK) den Athleten frei, doch jetzt steht ein Rekurs vor dem Internationalen Sportgerichtshof im Raum. In der NZZ hat ein unabhängiger Toxikologe Zweifel an der Aussage von Flückigers Verteidigern angemeldet, die Dopingprobe sei unbrauchbar gewesen.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens wirft der zeitliche Ablauf Fragen auf. Neun Monate und sieben Tage vergingen vom Antrag von SSI, ein Disziplinarverfahren zu eröffnen, bis zum Urteil. Der Fall wirkt wie eine Bestätigung für die Kritik der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) an der Schweizer Sportsgerichtsbarkeit. In internen Berichten bemängelte die Wada zuletzt das schleppende Verfahrenstempo in der Schweiz. Die Unzufriedenheit ist begründbar: Ziehen sich Untersuchungen bei Doping-Verdachtsfällen in die Länge, kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen.
Potenzielle Richter erhielten keine Aufträge
Die Disziplinarkammer wird vom Basler Juristen Carl-Gustav Mez präsidiert. Das Arbeitspensum des Gremiums hat sich massiv ausgeweitet, seit es nicht mehr ausschliesslich Entscheide in Dopingverfahren zu fällen hat, sondern auch Ethik-Fälle beurteilen muss. Das erklärt die Verzögerungen jedoch nur teilweise. Anwälte, die seit Jahren zum Richterpool der DK gehören, wurden laut eigenen Aussagen von Mez mit keinem einzigen Fall betraut. Er arbeite nur mit einem kleinen Kreis von Personen zusammen, heisst es.
Mehrfach wurden unter Mez gefällte Urteile vom Internationalen Sportgerichtshof (TAS) wieder revidiert. Vor Grossanlässen kam es unter ihm plötzlich doch zu schnellen Entscheiden, in denen die DK beschuldigten Athleten weit entgegenkam. Im Sommer 2021 hob das Gremium beispielsweise die Suspendierung des Sprinters Alex Wilson auf. Er wäre an den Olympischen Spielen in Tokio gestartet, hätte das TAS seine Teilnahme nicht doch noch verhindert. Mittlerweile ist erwiesen, dass Wilson einem internationalen Dopingnetzwerk angehörte.
Wenige Monate später sperrte die DK die Rollstuhl-Curlerin Françoise Jaquerod nach einem positiven Test nur für zehn Tage. Sie konnte daraufhin an den Paralympics in Peking teilnehmen, doch anschliessend verlängerte das TAS ihre Sperre auf sechs Monate. Jetzt ist nicht auszuschliessen, dass sich nach den Sommerspielen in Paris rund um den Mountainbiker Flückiger ein ähnliches Szenario abspielt, falls das TAS erneut anders entscheiden sollte als die DK.
Fragwürdige Vorfälle beschränken sich unterdessen nicht auf den Dopingbereich. Als eine Trainerin des Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrums Liestal in Verdacht geriet, Kinder und Jugendliche misshandelt zu haben, trat Mez zunächst nicht in den Ausstand, als die DK die Suspendierung der Trainerin wieder aufhob. Dann berichtete das SRF, Mez kenne den Geschäftsleiter des Trainingszentrums seit Jahrzehnten privat, die beiden hätten derselben Pfadi angehört.
Künftig sollen Entscheide schneller fallen
Jetzt kommt es zu einer Reform: Die Disziplinarkammer wird in ihrer jetzigen Form abgeschafft. Ab Juli ist stattdessen die neu gegründete Stiftung Schweizer Sportgericht für die Sanktionierung von Doping- und Ethikverstössen zuständig. Die Stiftungspräsidentin Raphaëlle Favre kündigt im Gespräch an, dass nach dem Start des neuen Rechtsorgans einiges anders laufen soll.
«Unsere oberste Priorität lautet, das Verfahrenstempo bei der Untersuchung potenzieller Doping- und Ethikverstösse zu erhöhen», sagt Favre. «Wir werden ein Beschleunigungsgebot einführen, mit Vorgaben sowohl für die Verfahren als auch für das Verfassen der Urteilsbegründungen.» Im Sport sei es entscheidend, wie schnell Verdachtsfälle bestätigt oder widerlegt seien. Wer Missstände vorbringe, müsse in kurzer Frist angehört und ernst genommen werden.
Ermöglicht werden soll das höhere Tempo durch eine professionellere Administration. Eine Geschäftsstelle soll den Richtern, welche künftig Schiedsrichter genannt werden, Fälle zuweisen. Neu wird es ein Zweikammersystem geben, die Zuständigkeiten für Doping- und Ethikverfahren werden somit klarer getrennt. Darüber hinaus kündigt Favre an, den Schiedsrichterpool auf etwa 20 bis 30 Personen zu erhöhen. Infrage kommende Juristen hätten bereits Interesse für die Zeit ab 2025 angemeldet.
Ob Mez über 2024 hinaus in dem neuen Gremium bleibt, ist offen. Er selbst sagt auf Anfrage: «Ich bin in dieser Sache nur der Empfänger der Informationen.» Auch die Stiftungspräsidentin Favre äussert sich dazu nicht. In jedem Fall verliert Mez ab Juli sein Präsidentenamt, diesen Posten gibt es nicht mehr. Als gewöhnlicher Schiedsrichter soll er bis Ende Jahr laufende Verfahren abschliessen. Zur Kritik, die Verfahren der DK dauerten zu lange, sagt der Jurist: «Wenn wir schnelle Entscheide fällen, werden wir kritisiert. Wenn wir uns Zeit lassen, ebenfalls. Allen werden wir es nie recht machen können, das wäre die Quadratur des Kreises.»
Favre will unterdessen ausschliesslich nach vorne schauen. Sie sagt: «Wir hoffen, dass wir für den Schweizer Sport etwas Gutes bewirken können.»
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