Am meisten fürchtet sich Daniel Bischofberger, der Konzernchef des Turboladerherstellers Accelleron, dass sich die Treibstoffkosten wieder ermässigen. Die deutlich gestiegene Bewertung der Accelleron-Aktien ist gerechtfertigt.
Klein, aber fein: Die seit Herbst 2022 als Accelleron firmierende Turboladersparte von ABB hat sich in ihrer kurzen Geschichte als kotiertes Unternehmen zu einem Börsenstar entwickelt.
Seit dem Börsengang Anfang Oktober 2022 hat sich der Unternehmenswert verdoppelt. Für ein Traditionsunternehmen, das in einem (scheinbar) gesättigten, beständig, aber nur langsam wachsenden Industriebereich tätig ist, war das nicht zu erwarten. Als The Market Anfang 2023 mit Daniel Bischofberger sprach, charakterisierte der Accelleron-Chef den Markt selbst als «träge».
Wie war diese Überperformance möglich? Und kann es im gleichen Tempo so weitergehen?
Aktien von Accelleron schlagen den Markt um Längen
Als The Market den 58-jährigen Schweizer Konzernchef vergangene Woche erneut im Badener Hauptsitz besuchte, war von Euphorie oder Überschwänglichkeit wegen der Kurshausse nichts zu spüren. Wie ein langsam drehender Zweitaktmotor eines Frachtschiffs, den ein Accelleron-Turbolader effizienter macht, scheint das Accelleron-Management an ihrer langfristig ausgerichteten Strategie festzuhalten.
Diese Beständigkeit zahlt sich aus und macht die Accelleron-Aktien zu einem Investment, das über einen langen Zeitraum in einem Wertschriftenportefeuille Platz haben kann.
Das gute Abschneiden nach dem Börsengang ist auch für Bischofberger überraschend gekommen. Es sei wohl einfach das Resultat des guten Geschäftsverlaufs, erklärt er sich die spektakuläre Kursavance.
Das vergangene Geschäftsjahr verlief tatsächlich überaus gut. In einer durchschnittlich 1 bis 2% pro Jahr wachsenden Industrie ein organisches Umsatzwachstum von 15,5% zu erwirtschaften, ist keine alltägliche Leistung. Das Unternehmen profitierte denn auch von einer Kumulation günstiger Trends. Zum einen profitierte es von den gut ausgelasteten Werften, wo die Kapazitäten ausgebaut werden, was mehr Schiffe und entsprechend mehr Turbolader für Schiffsmotoren bedeutet. Und es wurden 2023 überdurchschnittlich viele Schiffe einer alle fünf bis sechs Jahre fälligen Grossrevision unterzogen.
Zum anderen habe in den USA das Geschäft mit Gaskompressoren «extrem geboomt», weil die sprunghaft gestiegene Nachfrage nach Flüssigerdgas auch mehr Turbolader für stationäre Kompressoren erforderte. Weil Kunden «eher etwas zu viel bestellten», habe die Nachfrage in diesem Segment enorm zugenommen. Laut Bischofberger sei das Geschäft mit Schieferöl und -gas ein ausserordentlich volatiles Gebiet, weshalb er in diesem Bereich mit einer Normalisierung rechnet.
Auch bei den Schiffswartungen rechnet Bischof mit einer Normalisierung. Entsprechend vorsichtig waren denn Ende März auch die Prognosen für das laufende Geschäftsjahr: Ein Umsatzwachstum von 4 bis 6%, wovon allein die akquirierte Firma OMT 4 Prozentpunkte beisteuert, sowie eine gute, aber unveränderte operative Ebita-Marge von 24,5% (i. V. 24,4) seien budgetiert.
Schon zu ABB-Zeiten effizient unterwegs gewesen
Am Geschäftsgang allein kann es also nicht gelegen haben, weshalb sich der Unternehmenswert von Accelleron innerhalb von eineinhalb Jahren verdoppelt hat. Zudem war das Unternehmen nicht schlecht geführt. Schon zu Zeiten von ABB seien sowohl die Produktion als auch das Servicegeschäft fit gewesen, bestätigt Bischofberger. «Wir wären nicht so erfolgreich, wenn wir nicht laufend unsere Produktivität verbessert hätten.»
Das bedeutet indes nicht, dass sich eine unabhängige Accelleron nicht schlanker aufstellen kann. Anfänglich seien einfach die bisherigen Abläufe übernommen worden, sagt Bischofberger. Dabei sei oft auf «nicht billige» Drittanbieter zurückgegriffen worden. «Nun machen wir es vermehrt selbst.» Zum Beispiel in der Personalbeschaffung. An den kleinen Standorten sei das nun Chefsache. «Auch die Kaffeebohnen müssen sie nun selbst einkaufen.»
Der Accelleron-Chef stellt fest, dass die Firmenkultur unternehmerischer geworden ist. Entscheidungskompetenzen seien in die unteren Führungsebenen gedrückt worden. «Auch ich habe sie delegiert», sagt Bischofberger. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sei dies von den Mitarbeitenden als befreiend empfunden worden.
Markt hat Accelleron unterschätzt
Die Erklärung für die Kursavancen von Accelleron muss wohl mit einer anfänglichen Fehleinschätzung durch die Börse zusammenhängen. Einen vergleichbaren Konkurrenten, an dem sich die Bewertung orientieren konnte, gibt es nicht. Auch ein Vergleich mit Schweizer Industriefirmen wie Sulzer, ABB und Burckhardt Compression hinkt. Weil sich Accelleron im Bereich fossiler Energien bewegt, wird das Unternehmen unter den nach ESG-Standards anlegenden Investoren – bis jetzt – mit einem Abschlag gebüsst. Hinzu kommt, dass das Unternehmen seine Eigenständigkeit im Rahmen eines Spin-offs erlangte. Es gab keinen Verkäufer, der nach einem möglichst hohen Preis trachtete.
Kurz nach dem Börsengang drückten amerikanische sowie Large-Cap-Investoren, die sich umgehend von ihren Accelleron-Papieren trennten, den Kurs. Der Verkaufsüberhang hielt an, bis sich Sommer 2023 auch die ABB-Grossaktionäre Investor AB (14,1%) und Cevian (3,42%) von ihren Anteilen trennten. Abgelöst wurden sie von Schweizer und europäischen Investoren, «die uns bewusst gewählt haben», meint Bischofberger.
Nach dieser Bereinigung begann eine bemerkenswerte Bewertungskorrektur. Den Investoren wurde zunehmend bewusst, dass das Unternehmen nicht ein Verlierer der Dekarbonisierung ist, sondern mit seinen Produkten sogar dazu beiträgt. Während die Accelleron-Aktien beim Börsengang noch mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 11 verkehrten, ist es mittlerweile das Doppelte. Mit Blick auf die Gewinnkraft des Unternehmens und seine dominante Marktposition ist dieses Niveau gerechtfertigt. Für eine weitere Bewertungsausdehnung müsste es indes neue Argumente geben.
«Akquisitionen gehören zu unserer Strategie»
An der strategischen Leitlinie hält der Accelleron-Chef prinzipiell fest. Weiterhin soll dem organischen Wachstum Priorität eingeräumt werden, obwohl das Unternehmen mit einem Anteil von rund 45% bereits Weltmarktführer bei Turboladern für Grossmotoren ist. Dank einem einzigartigen Servicenetz könnten sie für ihre Produkte und Dienstleistungen eine Prämie verlangen. «Die Konkurrenten nutzen uns als Benchmark bei der Preisfestsetzung. Deshalb können wir eine Prämie verlangen», sagt Bischofberger. Die Hersteller von Zweitaktmotoren würden dem Endkunden immer Turbolader von drei verschiedenen Herstellern offerieren. Ausschlaggebend für Accelleron ist es, wie viel über den gesamten Lebenszyklus eines Motors, der zwanzig bis dreissig Jahre dauern kann, zu verdienen ist.
Die hohen Gewinnmargen erwirtschaftet das Unternehmen mit der Wartung der Turbolader, vor allem mit Ersatzteilen. Über den gesamten Lebenszyklus kann es damit drei bis vier Mal so viel einnehmen, wie ein bis 100’000 $ teurer Turbolader gekostet hat. Sind die Frachtraten hoch, versuchen die Schiffsbesitzer damit zuzuwarten. Laut Bischofberger sei mit eher geringeren Raten gerechnet worden, weil die vielen 2021 und 2022 bestellten Containerschiffe nun vom Stapel laufen und das Angebot an Frachtvolumen erhöhen. Wegen der Probleme im Suezkanal werden nun die Schiffsrouten indes wieder länger, und das zusätzliche Angebot wird mehr als absorbiert.
Das Unternehmen will indes auch akquisitorisch wachsen: «Akquisitionen gehören zu unserer Strategie», meint Bischofberger. Ein strategischer Wurf ist dem Unternehmen im vergangenen Jahr mit dem Kauf von OMT für knapp 100 Mio. $ gelungen. Das Turiner Unternehmen verfügt mit seinen Einspritzsystemen für Zweitaktmotoren über eine ähnlich gute Marktposition wie Accelleron bei den Turboladern. OMT ist in diesem Bereich mit einem Anteil von mehr als 40% weltweit führend. Rund 70% der Einnahmen werden im Servicegeschäft erwirtschaftet. Bei Accelleron sind es sogar rund 75%.
Weil künftig alle Schiffsantriebe Dual-Fuel-Motoren sein werden, also mit zwei verschiedenen Treibstoffen betrieben werden können, und es dafür zwei verschiedene Einspritzdüsen braucht, eröffnet dies OMT ein besonders grosses Potenzial. Laut Bischofberger wachse dieser Markt derzeit mehr als doppelt so stark. Durch den zunehmenden Einsatz alternativer Treibstoffe (Methanol, Ammoniak, Wasserstoff) würden die Einspritzsysteme komplexer und müssten resistenter gebaut werden. Die neuen Kraftstoffe reagieren aggressiver auf die Motorenteile und hinterlassen mehr Rückstände. Die Komponenten müssen also mit höherwertigen, teuren Materialien gebaut und die Wartungszyklen verkürzt werden. Accelleron kann dies alles nur recht sein.
Mit der Verschiebung der Testinfrastruktur ins neue Testzentrum werden bei OMT Produktionskapazitäten geschaffen. Der Bau des Testzentrums kostet 5 Mio. $. Bald dürfte jedoch eine neue Fabrik nötig sein: «Wir schauen uns das an.» Die Kosten veranschlagt Bischofberger auf einen niedrigen, zweistelligen Millionenbetrag, «alles im machbaren Bereich».
Als nächster akquisitorischer Schritt scheint das Accelleron-Management das digitale Geschäft im Auge zu haben. Mit ihrer Software Tekomar Xpert hat das Unternehmen schon jetzt eine eigene Lösung, mit der alle Parameter eines Schiffs, die den Wirkungsgrad beeinflussen und den CO2-Ausstoss erfassen, analysierbar sind. Weshalb dafür ein Hersteller von Turboladern geeignet sein soll, erschliesst sich nicht sofort. Für Bischofberger ist es jedoch eine logische Erweiterung, um mit dem Endkunden auf Augenhöhe zu diskutieren und ihm Verbesserungen vorzuschlagen. Es gehe darum, in diesem Geschäft relevant zu bleiben und mit der Software möglichst viele Schiffe abzudecken.
Bereit für grüne Treibstoffe
Der Accelleron-Chef ist überzeugt, dass sich im Marinebereich Ammoniak und Methanol als Treibstoffe durchsetzen werden, im stationären Bereich eher Wasserstoff. Schon jetzt verkehren mit Methanol betriebene Schiffe. Bei Ammoniak wisse man zumindest, dass es technisch funktioniere. Die ersten Schiffe werden 2025 den Betrieb aufnehmen.
Was immer die Frachtschiffe der Zukunft antreiben wird, ein Accelleron-Turbolader funktioniert immer. Noch sind die synthetischen Treibstoffe acht- bis zehnmal so teuer wie Schiffsdiesel. Parallel dazu werden die fossilen stärker besteuert, um sie zu verteuern. «Am Schluss werden alternativen Treibstoffe zwei- bis dreimal so viel kosten», denn die nötige Infrastruktur (Lieferketten, Elektrolyseure, Kraftwerke) müsse zuerst aufgebaut werden.
Auf das grösste Risiko angesprochen sagt Bischofberger: «Wenn die Dekarbonisierung gestoppt und der Treibstoff wieder billiger würde, wäre der Wirkungsgrad für die Schiffsbauer finanziell nicht mehr so wichtig.» Davon geht er indes nicht aus, obwohl die Entwicklung in jüngster Zeit etwas an Schwung verloren hat. Accelleron wird sich jedem Szenario anpassen können.
Finanziellen Spielraum bewahren
Den ersten kleinen Dämpfer hat das Accelleron-Management vor wenigen Wochen erhalten. An der Generalversammlung wollte es sich von den Aktionären die Einführung eines Kapitalbands bewilligen lassen. Was als administrative Anpassung ans neue Aktionärsrecht gedacht war und eine genehmigte Kapitalerhöhung hätte ersetzen sollen, erwies sich als Rohrkrepierer. Gewisse Aktionäre rebellierten, weil sie nicht einverstanden waren, dass damit so viele neue Aktien ohne Bezugsrecht hätten geschaffen werden können. Das Traktandum wurde im letzten Moment zurückgezogen. «Wir haben den Einwand zur Kenntnis genommen und werden an der nächsten Generalversammlung einen anderen Vorschlag unterbreiten», sagt Bischofberger dazu.
Die Opposition hängt wohl mit der neuen Kapitalallokationsstrategie zusammen. Anfänglich orientierte sich die Dividende allein an der Verschuldungsquote (Nettoschulden im Verhältnis zum Ebitda). Liegt sie unter 1, würden bis zu 100% des Gewinns ausgeschüttet. Schon bei kleineren Akquisitionen wäre diese Marke überschritten und die Dividende gekürzt worden, was sich schlecht mit einer versprochenen «stabilen, wachsenden Ausschüttung» vertragen hätte.
Laut Bischofberger würden die Aktionäre Aktienrückkäufe begrüssen; eine deutliche Mehrheit hätten sich in direkten Gesprächen dafür ausgesprochen. Die ZKB-Analysten gehen davon aus, dass künftig rund drei Viertel als Dividende und der Rest als Aktienrückkäufe den Aktionären zugutekommen werden.
Angesichts des stabilen, wenig kapitalintensiven Geschäftsmodells von Accelleron, wird sich das Unternehmen eines hohen freien Cashflows erfreuen können.
Die solide Marktposition mit hohen Einstiegsbarrieren für Konkurrenten erlaubt es dem Unternehmen zudem, kontinuierlich hohen Kapitalrendite zu erwirtschaften. Die Analysten von UBS rechnen für die kommenden Jahre mit einem ROIC (Return on Invested Capital) von über 40%. Die Prognosen der ZKB bewegen sich auf ähnlich hohen Niveaus.
Auch in Zukunft wird das meiste davon an die Accelleron-Aktionäre gehen – wie es sich für einen attraktiven Dividendentitel gehört.