Als Präsident des Brauers Heineken hat Jean-Marc Huët überzeugt. Beim Pharmahersteller Lonza ist er mit der Herausforderung konfrontiert, Stabilität in das Management zu bringen. Die vielen Wechsel unter seinem Vorgänger Albert Baehny stifteten Verunsicherung.
Historiker machen normalerweise keine Karriere als Manager. Sie stehen im Ruf, als Geschichtslehrer, in einem Archiv oder als Museumsmitarbeiter zu enden. So will es zumindest das Klischee.
Präsident von zwei Weltkonzernen
Jean-Marc Huët, der neue Verwaltungsratspräsident des Basler Pharmaherstellers Lonza, hat es in der Unternehmenswelt gleichwohl bis ganz nach oben geschafft. Seit zehn Jahren steht der Historiker bereits dem niederländischen Brauereikonzern Heineken vor. Das Unternehmen zählt mit einem Umsatz von 30 Milliarden Euro zu den weltgrössten Bierherstellern. Als Huët sein Amt antrat, lag der Konzernerlös erst bei knapp 20 Milliarden Euro. Mehrere Akquisitionen vorab in Schwellenländern haben Heineken deutlich grösser werden lassen. Zugleich entwickelte sich die Umsatzrendite auf Stufe Betriebsergebnis (Ebit) mit rund 14 Prozent auf einem stabil ansprechenden Niveau.
Auch die Firma Lonza ist in ihrer Branche eine grosse Nummer: Sie gilt als weltweit führender Auftragsfertiger von Medikamenten. Huët wurde vor einem knappen Monat erstmals in den Verwaltungsrat von Lonza gewählt. Die Aktionäre erkoren den 55-jährigen Niederländer dabei auch gleich zum Präsidenten.
Langjährige Erfahrung als Finanzchef
Noch ist Huët, der den altershalber zurückgetretenen Albert Baehny ersetzte, stark damit beschäftigt, sich in seine neue Aufgabe einzuarbeiten. Lonza kannte er bis anhin mehr vom Hörensagen als von direkten Kontakten. Zwar sammelte Huët auch als ehemaliger Finanzchef bei Grossfirmen reichlich Erfahrung in der internationalen Geschäftswelt, doch seine bisherige Tätigkeit in der Pharmabranche beschränkte sich auf zwei Jahre beim US-Medikamentenhersteller Bristol-Myers Squibb, wo er von 2008 bis 2009 wirkte.
Zuvor hatte Huët erst als Analyst für die Investmentbank Goldman Sachs und anschliessend, erstmals in der Funktion eines Finanzchefs, für den niederländischen Hersteller von Babynahrung Numico (heute Teil von Danone) gearbeitet. Von 2010 bis 2015 stand er ebenfalls als Finanzchef beim britischen Konsumgüterriesen Unilever im Einsatz.
Als er diesen Posten verliess, mutmassten Marktbeobachter, er habe sich bewusst ein Jahr zuvor als Chairman von Heineken wählen lassen. Angesichts seines grossen Ehrgeizes hätte er wohl lieber die Konzernführung bei Unilever übernommen, doch habe ihm, schrieb die «Financial Times», der seinerzeitige CEO Paul Polman nicht rechtzeitig Platz gemacht.
Diese Erfahrung war wohl die einzige wirklich bittere in der sonst makellos anmutenden Karriere Huëts. Als damals 46-Jähriger wäre er im idealen Alter gewesen, um Konzernchef zu werden.
Am Genfersee aufgewachsen
Was Huët angetrieben hat, laufend mehr Verantwortung zu übernehmen und seine Tätigkeit fast ausschliesslich auf Industrieriesen zu konzentrieren, hängt möglicherweise mit seiner Jugend zusammen. Er wuchs zusammen mit einer Schwester und zwei älteren Brüdern auf der Waadtländer Seite am Genfersee auf, und Rivalitäten gehörten zum Alltag in der Familie. Beide Brüder zogen fürs Studium in den englischsprachigen Raum, nach Grossbritannien und in die USA. Was er vom einen Bruder aus Amerika vernommen habe, sei für ihn reizvoller gewesen als das, was der andere aus Oxford berichtet habe. «So fiel meine Wahl auf das Dartmouth College in New Hampshire.»
Obwohl diese Universität Teil der sogenannten Ivy League ist und damit zu den besten Amerikas zählt, fiel auch Huët als Historiker der Berufseinstieg nicht leicht. Er habe nach seinem Abschluss 1991 grosse Mühe gehabt, eine Arbeitsstelle zu finden. «Ich erhielt Absage um Absage.»
Doch der Zufall wollte es, dass Huët an einem Sonntagabend einen Geschäftsmann traf, der ihm eine Stelle als kaufmännischer Leiter bei einem kleinen italienischen Hersteller von Veloreifen anbot. Wenn der neue Lonza-Präsident aus seinem bisherigen Leben berichtet, tut er dies anekdotenreich und hinterlässt damit den Eindruck, als ob er, ganz Historiker, bereits an seiner eigenen Biografie arbeiten würde. Was seinen ersten Job betreffe, erzählt er, sei ihm dieser unter der Bedingung offeriert worden, ihn unverzüglich anzutreten. Und so habe er sich dann auch gleich am Montag in ein Flugzeug nach Italien gesetzt.
Raus aus der Komfortzone
Zu Goldman Sachs wechselte Huët, im ebenfalls noch jungen Alter von 23, zwei Jahre später. Auch da sei er ins kalte Wasser geworfen worden. Huët möchte die insgesamt zehn Jahre, die er bei der für ihre harte Arbeitskultur bekannten amerikanischen Investmentbank verbrachte, aber auf keinen Fall missen. Die Zeit bei Goldman Sachs sei gewissermassen sein Wirtschaftsstudium gewesen. Zugleich habe er dort gelernt, sich durchzubeissen und mitunter auch scharfe Kritik von Vorgesetzten einzustecken.
Huët, der selber Vater von vier Kindern im Alter zwischen 11 und 19 ist und mittlerweile bei Gstaad im Berner Saanenland wohnt, empfiehlt allen jungen Erwachsenen, bei der Wahl der Ausbildung und des Jobs nicht den einfachsten Weg zu gehen. Wer nur in ruhiger See übe, werde kein guter Segler. Huët liebt es, seine Ausführungen genauso wie mit Anekdoten auch mit Bildern zu schmücken.
Nach Rolf Soiron ein weiterer Historiker im Präsidium
Sein grosses Interesse an Geschichte hat der neue Präsident von Lonza bis heute bewahrt. Er ist davon überzeugt, dass Manager bei ihrer Arbeit nur davon profitieren können, wenn sie auch über die Vergangenheit eines Unternehmens Bescheid wissen. Natürlich gebe es noch viele weitere Erfolgsfaktoren bei der Geschäftsführung, doch wer könne schon eine Traditionsfirma wie Lonza ohne Kenntnisse ihrer 127-jährigen Geschichte verstehen?
Die heutige Lonza, die ihr Geschäft fast ausschliesslich auf den Pharma- und Biotechnologiesektor ausgerichtet hat, ist kaum noch mit dem breit aufgestellten Chemiekonzern aus der Vergangenheit zu vergleichen. Unter der Präsidentschaft Baehnys wurden die Aktivitäten im Bereich Spezialitätenchemie 2021 an Finanzinvestoren veräussert. Baehny vollendete damit einen Strategiewechsel, den bereits Huëts Vorvorgänger Rolf Soiron angestossen hatte. Soiron, der den Verwaltungsrat von Lonza von 2005 bis 2018 präsidierte, ist interessanterweise auch Historiker. Und er schlug ebenso – nach einem kurzen Zwischenspiel als Lehrer – eine erfolgreiche Laufbahn als Manager ein, die ihn unter anderem auch ins Präsidium des Zementherstellers Holcim führte.
Kein Interesse am Doppelmandat
Huët imponiert, wie im riesigen Stammwerk in Visp nach wie vor Leute mitwirken, deren Väter oder sogar Grossväter schon für das Unternehmen gearbeitet haben. Zu dieser grossen Verbundenheit gelte es Sorge zu tragen, sagt er. Huët sieht es als seine Aufgabe, in erster Linie Stabilität in das Management des Konzerns zu bringen. Diese litt unter der Führung Baehnys. Zweimal musste ein neu ernannter CEO schon nach kurzer Zeit gehen, weil er die Erwartungen des Verwaltungsrats nicht erfüllte. Da unmittelbar kein Ersatz zur Verfügung stand, war Baehny gezwungen, beide Male ad interim die Geschäftsleitung zu übernehmen.
Für Huët ist das Doppelmandat keine Option. Seine Ernennung verkörpere auch einen Generationenwechsel. Und für ihn sei klar, dass der CEO und nicht der Präsident die Geschäfte führe.
Mit Wolfgang Wienand erhält Lonza auch einen neuen Konzernchef. Wienand, der bis anhin den kleineren Konkurrenten Siegfried geleitet hat, wird im Verlauf dieses Sommers sein neues Amt antreten. «Wechsel in Toppositionen sollten besser gestaffelt erfolgen», räumt Huët ein. Zugleich ist er der festen Ansicht, dank seiner vielfältigen operativen und strategischen Erfahrung bei Grosskonzernen zusammen mit dem Branchenexperten Wienand ein bestgeeignetes Gespann zu bilden.