Der skandalumwitterte Klub Fenerbahce Istanbul hat mit grossem Tamtam seinen neuen Trainer vorgestellt. Dank Mourinho darf sich der türkische Fussball auf eine der interessantesten Saisons seit Jahren freuen.
Niemand sorgte beim Champions-League-Final für mehr Wirbel als José Mourinho. Dabei coachte er anders als in anderen Jahren dieses Mal keine der beiden Mannschaften. Der Trainer war stattdessen auf Einladung des britischen TV-Senders TNT zu Gast und nutzte seinen vielbeachteten Auftritt vor der Kamera vor allem in eigener Sache: Er rührte kräftig die Werbetrommel für seinen am nächsten Tag verkündeten Wechsel zu Fenerbahce Istanbul. Auf die Frage des Experten-Kollegen Rio Ferdinand, wer sein berühmtester Telefonkontakt sei, antwortete Mourinho auf seine typische Art: «der Präsident von Fenerbahce».
Die Reklame für seinen neuen Job in der türkischen Liga machte sich bezahlt. Seine Ankunft am Bosporus am Sonntag glich einem triumphalen Empfang, als hätte er für seinen zukünftigen Klub bereits den Henkelpokal gewonnen. Abertausende Fans wohnten der Vorstellung des 61-Jährigen im Sukru-Saracoglu-Stadion bei und verehrten den Portugiesen wie einen Fussballmessias. Sie liessen ihn kaum zu Wort kommen und zündeten Bengalos auf den Tribünen. Mourinho nickte anerkennend und wedelte zwei Klubschals durch die Luft.
Bale: «I loved working with Mourinho»
Mourinho: “At that time he was already thinking about winning Augusta.”
Never change, Jose 🤣 pic.twitter.com/49uNUVYPEr
— Football on TNT Sports (@footballontnt) June 3, 2024
Mourinho weiss, wie er die Fenerbahce-Fans für sich gewinnt
Mit einer Mischung aus Charme, Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit verführte Mourinho auch diesmal die Anhänger. Er rief ihnen zu, was sie von ihm hören wollten: emotionale Liebessentenzen. Normalerweise werde ein Trainer erst nach Siegen verehrt, setzte Mourinho an. Doch er habe das Gefühl, schon jetzt geliebt zu werden. Zudem wolle er der Coach aller Fans sein, ihre Träume seien auch seine. Und er versprach, von nun an zur Familie des Vereins zu gehören.
«Dieses Shirt ist meine Haut», verkündete er pathetisch. In der Hand hielt er das Fenerbahce-Trikot. Mourinhos Rede verfolgten eine Viertelmillion Menschen im Livestream des Klubs. Das Aufsehen erinnerte an den Wechsel des mittlerweile zurückgetretenen türkischstämmigen Ausnahmespielers Mesut Özil vom FC Arsenal zu Fenerbahce im Winter 2021.
Der Traditionsklub hat seinen Sitz auf der anatolischen Seite Istanbuls und ist im türkischen Fussball der ewige Gegenspieler der Stadtnachbarn Galatasaray und Besiktas. Die drei Klubs machen fast jede Meisterschaft unter sich aus. Allerdings ist Fenerbahce im Duell mit Galatasaray um den Status des Rekordmeisters zuletzt abgehängt worden. Der letzte Meistertitel datiert von 2014, seither errang Galatasaray fünf weitere Titel und liegt nun mit 24 zu 19 Meisterschaften vorn, Besiktas kommt auf 16. In der vergangenen Saison scheiterte Fenerbahce trotz langer Tabellenführung knapp an Galatasaray. So wirkt Mourinhos Engagement wie eine Reaktion auf die vermaledeite Bilanz.
Mit seinen bisherigen Vereinen, FC Porto, FC Chelsea, Inter Mailand, Real Madrid, Manchester United und AS Rom, gewann Mourinho Titel um Titel, insgesamt 26, darunter 8 Meisterschaften und 5 Europacup-Siege. Er steht im Ruf, Erfolge beinahe zu garantieren. Nur mit Tottenham Hotspur gelang ihm kein Triumph; dort wurde er unmittelbar vor dem League-Cup-Final im April 2021 entlassen. Seine Stationen verdeutlichen, dass Mourinho eher kein Trainer für einen Provinzverein ist. Er benötigt den grossen Auflauf, wie zuletzt bei der AS Roma – und nun bei Fenerbahce.
Nur bei Porto und Inter zog Mourinho von sich aus weiter
Zwar hat die Mannschaft um die Altstars Dusan Tadic und Edin Dzeko nicht das Niveau jener Teams, die Mourinho in seiner Laufbahn grösstenteils angeleitet hat. Doch der Portugiese, der bei Topklubs nicht zuletzt wegen seines streitbaren Charakters an Wert verloren hat, verlor nie die Liebe zum Spiel. Und er ist sich dafür auch nicht zu schade, auf niedrigerem Niveau zu agieren, solange eben Aussichten auf Titel bestehen.
Bei Fenerbahce setzt Mourinho die Reihe international erlauchter Trainer fort. Vor ihm waren schon Guus Hiddink, Joachim Löw, Christoph Daum, Zico, Luis Aragonés und Dick Advocaat angestellt. Viele von ihnen hielten es nur eine Saison aus, aber die kurze Verweildauer schreckt ihn nicht ab: Mourinho weiss, wie es ist, irgendwann entlassen zu werden, nur bei Porto und Inter zog er von sich aus weiter.
Fenerbahce ist berüchtigt für sein volatiles Umfeld und steht immer wieder im Mittelpunkt von Skandalen. Der Klub sieht sich meist als Opfer, kritisiert mit drastischen Worten den türkischen Verband. Im Frühjahr eskalierte die Situation, als das eigene Team von gegnerischen Fans bei einem Platzsturm angegriffen wurde und der Verein kurz danach wegen Unstimmigkeiten bei der Terminwahl den Supercup-Final boykottierte. Fenerbahces betont systemkritischer Präsident Ali Koc, der aus einer der reichsten türkischen Familien stammt, berief eine ausserordentliche Sitzung ein und liess über einen Liga-Austritt entscheiden. Die Abstimmung scheiterte.
Dank der Anwesenheit von José Mourinho darf sich der türkische Fussball auf eine der interessantesten Saisons seit Jahren freuen. Er könne zwar kein Titelversprechen abgeben, aber durch sein Mitwirken werde sich die Attraktivität und Reichweite der Liga in Europa erhöhen, sagte er. Falls erforderlich, wird er dafür wohl weiter Werbung machen.
Mondays like these… 🥰#MOUtime pic.twitter.com/Np5HUmJ3Ze
— Fenerbahçe English (@Fenerbahce_EN) June 3, 2024