Die hartnäckige Polin bezwingt im Halbfinal Coco Cauff. Damit festigt Swiatek ihre Position an der Ranking-Spitze.
Man spricht in Roland-Garros dieser Tage viel von den Männern. Von Rafael Nadal und der Hoffnung, den spanischen Dominator an der Port d’Auteuil noch einmal spielen zu sehen. Von Novak Djokovic und wie schwerwiegend dessen Meniskusverletzung tatsächlich ist. Und natürlich von der neuen, aufregenden Generation, die mittlerweile die Männer-Tour dominiert. Carlos Alcaraz war im vergangenen Jahr bereits während insgesamt 36 Wochen die Nummer 1 im Ranking. Am Montag wird auf dieser Position erstmals Jannik Sinner erscheinen. Am Freitag spielen die beiden im Halbfinal gegeneinander.
Doch auch die Frauen spielen in Roland-Garros. Über Jahre suchte die WTA-Tour erfolglos nach einem neuen Aushängeschild. Immer wieder tauchten andere Spielerinnen auf, denen man zutraute, dereinst in die grossen Fussstapfen von Serena Williams zu treten. Früher oder später scheiterten sie alle an der Aufgabe, die mittlerweile 42-jährige Amerikanerin vergessen zu machen. Wie sollte man Williams auch vergessen? 23 Major-Siege und 319 Wochen an der Ranking-Spitze sind Werte, die so schnell keine ihrer Nachfolgerinnen übertreffen wird.
Osaka, Gauff und nun Swiatek
Ursprünglich schien Naomi Osaka am ehesten in der Lage zu sein, das Erbe der jüngeren der beiden Williams-Schwestern übernehmen zu können. Die amerikanisch-japanische Doppelbürgerin war zwar schnell ein Marketingwunder. Doch die Aufmerksamkeit und der Druck, die mit dieser Rolle einhergehen, lasteten schwer auf Osakas Schultern. Sie verabschiedete sich vorübergehend aus dem Circuit, kam zurück und wurde bald darauf schwanger. Mittlerweile ist sie 26 Jahre alt, im Ranking liegt sie noch auf Platz 134. Ob sie es noch einmal bis ganz vorne an die Weltranglistenspitze schaffen wird, ist trotz ihrem relativ jungen Alter unsicher.
Auf Osaka folgte Coco Gauff, eine Spielerin, die von Roger Federers Agentur Team 8 und deren Leiter Tony Godsick betreut wird. 2017 und im Alter von gerade einmal 15 Jahren und 106 Tagen qualifizierte sie sich als bisher jüngste Spielerin der Open-Ära für das Hauptturnier von Wimbledon. In der ersten Runde gewann sie dort gegen die fast dreimal so alte Venus Williams, ehe sie nach zwei weiteren Siegen im Achtelfinal an der späteren Turniersiegerin Simona Halep scheiterte. Im vergangenen Spätsommer gewann Gauff am US Open in New York ihren ersten Major-Titel.
Gauff ist mittlerweile 20 Jahre alt, liegt im Ranking auf Position 3 und scheint damit auf gutem Weg, den hohen Erwartungen, die in sie gesetzt worden sind, gerecht zu werden. Wie Osaka erfüllt sie mit gelegentlichen politischen Statements die Ansprüche des Publikums, neben einer hervorragenden Sportlerin auch eine Meinungsführerin zu sein. Und doch ist das Gesicht der WTA-Tour eine andere Spielerin, nämlich jene, die Gauff am Donnerstag im Halbfinal von Roland-Garros schlug.
Iga Swiatek steht am Samstag im Final von Roland-Garros, zum vierten Mal nach 2020, 2022 und 2023. Zudem gewann sie 2022 auch das US Open. Seit 104 Wochen führt sie das Ranking der Frauen an. Und ihr Vorsprung auf die Weissrussin Aryna Sabalenka war vor Roland-Garros derart gross (3557 Punkte), dass schon vor Turnierbeginn feststand, dass Swiatek über Roland-Garros hinaus die Nummer 1 im Frauentennis bleiben würde.
Swiatek hat dem volatilen Frauentennis, bei dem eine Spielerin an der Spitze von der nächsten in kurzen Abständen abgelöst wurde, jene Stabilität zurückgegeben, die ihm seit dem Rückzug von Serena Williams gefehlt hatte. Insbesondere auf Sand ist Swiatek eine Macht. Auf dieser Unterlage hat sie die letzten 18 Partien in Folge gewonnen. Ihre Saison-Bilanz steht bei 38:4-Siegen. In Paris war die 23-jährige Polin in ihrer Zweitrunden-Partie gegen Naomi Osaka praktisch schon ausgeschieden. Im dritten und entscheidenden Satz lag sie 2:5 zurück, hatte einen Matchball gegen sich. Doch dann versagten Osakas Nerven. Mit einfachen Fehlern schenkte sie ihrer Konkurrentin den Sieg mehr oder weniger (6:7, 6:1, 5:7).
Populärer als Robert Lewandowski und Adam Malysz
In den folgenden vier Partien bis in den Final hat Swiatek nur noch 14 Games abgegeben. Den Court Philippe Chatrier in Roland-Garros ziert der Slogan: «Victory belongs to the most tenacious» – der Sieg gehört den Hartnäckigsten. Und die Hartnäckigste auf der Frauen-Tour ist derzeit Iga Swiatek. Es ist eines ihrer Merkmale, dass sie nur sehr schwierig von ihrer Linie abzubringen ist. In Polen wird sie deshalb verehrt. Sie ist mittlerweile populärer als Barcelonas Stürmer Robert Lewandowski oder der ehemalige Skispringer Adam Malysz.
Dabei hätte Swiatek ihre Karriere 2017 nach einer längeren Verletzungspause beinahe beendet. Ohne die Einnahmen von der Tour fehlte ihr das Geld, um weiterhin um die Welt zu reisen. Trotzdem versuchte sie es weiter, und mittlerweile sind die Finanzen kein Thema mehr. Bis heute hat sie rund 29 Millionen Dollar Preisgeld gewonnen. Am Samstag könnten weitere 2,4 Millionen dazukommen.
Und doch bleibt ein letzter Schatten. Swiatek mangle es an Ausstrahlung, sagen notorische Nörgler. Doch was strahlt mehr als konstanter Erfolg? In diesem Tennisjahr hat Swiatek in ihren Matches 23-mal einen Satz zu null gewonnen. Im Achtelfinal bezwang sie die Russin Anastassia Potapowa gar 6:0, 6:0. Nun trennt sie noch ein weiterer Sieg vom vierten Titel in Paris. Im Final vom Samstag trifft Swiatek auf Jasmine Paolini.